Es ist schade, dass die ARD Glauben, Leben, Sterben. Menschen im Dreißigjährigen Krieg wochentags zu fast nachtschlafender Zeit ausstrahlt. Denn in diesem Dokudrama werden nicht nur anregende, ja kühne Thesen formuliert, es wird nicht nur der Blick aus der Perspektive von historisch unmittelbar Beteiligten gewagt, hier kommen mit Herfried Münkler, Christoph Kampmann, Georg Schmidt, Christian Ortner und Maren Lorenz, um nur einige zu nennen, auch führende Historiker zu Wort, die alles andere als Schön-dass-wir-auch mal-verschwurbelt-darüber-geredet-haben-Intellektuelle sind. Mit anderen Worten: Dieser Film (Buch und Regie: Stefan Ludwig) hätte einen weitaus besseren Sendeplatz verdient, gerade wegen seiner konsequent durchgehaltenen Anlage, aktuelle Religionskonflikte und die dadurch verursachten Massenmigrationen plausibel mit dem historischen Stoff zu verknüpfen.
Menschen, die heute vom Dreißigjährigen Krieg kaum mehr wissen als seine Dauer, verbuchen ihn unter Religionskrieg: Altkatholen gegen aufmüpfige Neuprotestanten und Reformierte. Das stimmt einerseits, aber es stimmt auch nur insofern, als Religion schon damals nur die bequem ausgerollte Folie abgab, um eigene Machtinteressen mit einem angeblichen Willen Gottes und seiner Vorsehung zu verbrämen. Das Dokudrama belegt dies eindrücklich durch authentische Zeugnisse. Etwa das eines Kriegsprofiteurs: Hans de Witte. Er finanziert die quer durch Europa marodierenden Warlords, so den katholischen Feldherrn Wallenstein. Zunächst flutet de Witte das ohnehin labile Wirtschaftssystem des Reiches mit gepanschtem Geld, später übervorteilt er es mit seinem Kreditsystem. Als Calvinist gehört er allerdings jener Konfession an, die der Kaiser verfolgen lässt, etwa durch Wallensteins Söldner. De Witte bleibt solange obenauf, bis Wallenstein vom Kaiser entlassen wird, mit dem Geld(wasch)-System bricht auch de Wittes Existenz zusammen.
Diese Biografie sowie vier weitere wurden aus autobiografischen Dokumenten rekonstruiert. Die als Spielszenen einfließenden Mikroperspektiven machen den Film lebendig. Flankiert von Forschungsergebnissen des Anthropologen Andreas Lutz entsteht so ein vieldimensionales Bild des alles zermalmenden Dauerkrieges, den seine Verursacher stets für gerecht, notwendig und alternativlos erklärten. Das war damals nicht anders als heute, überhaupt gleichen sich die Argumentationslinien erschütternd. Herfried Münkler meint denn auch, wir sollten "diesen Krieg als einen fernen Spiegel betrachten, in dem wir die Vergangenheit sehen und in der Vergangenheit auch unsere eigene Gegenwart."
Das große Sterben, die Not und die Massenfluchten des Dreißigjährigen Krieges, die vor genau vierhundert Jahren unsere Vorfahren dahinrafften oder vertrieben und heimatlos machten - daran sollte sich ein bayerischer Ministerpräsident erinnern, der heute so geschichtsvergessen wie unchristlich von "Asyltourismus" daherschwafelt.
Glauben, Leben, Sterben. Menschen im Dreißigjährigen Krieg , Das Erste, 22.30 Uhr.