Dokudrama "14" auf Arte:Lehrstück gegen Krieg und Vernichtung

14 Ð Tagebücher des Ersten Weltkriegs: Der Abgrund

Im Sommer 1914 beginnt der Krieg. Elfriede Kuhr (Elisa Monse, Mitte, mit Runa Greiner, li.) glaubt an den Sieg.

(Foto: Looks Film/Tobias Fritzsch/NDR)

Vierzehn Helden hat das Dokudrama, es ist aufgebaut wie eine Serie. In dem internationalen Projekt "14 - Tagebücher des Ersten Weltkriegs" geht es fast acht Stunden lang um Leid und Zerstörung - aber auch um die Zukunft des Fernsehens.

Von Claudia Tieschky

Am 7. August 1914 beginnt die 13-jährige Marie Luise von Holzing, später verheiratete Kaschnitz, in Berlin auf Betreiben der Erwachsenen ein Kriegstagebuch. Wie viele Kinder notiert sie von nun an Ereignisse zum Kriegsfortgang ("Unsere Kriegsschiffe haben Algier verlassen. Hurrah!") mit viel Patriotismus und einiger Naivität. "Ob wir überhaupt Papas schöne Pferde wiedersehen werden?", fragt sich das junge Mädchen aber doch.

Das Deutsche Literaturarchiv Marbach hat das Kriegsbüchlein der Marie Luise in der bemerkenswerten Ausstellung August 1914. Literatur und Krieg gezeigt, die nun nach Oxford und Straßburg weiterzieht. Aufzeichnungen wie diese sind mit der gebotenen Vorsicht zu genießen, aber sie spielen im großen Gedenkjahr aus naheliegenden Gründen eine wichtige Rolle, und sogar das Geschichtsfernsehen stellt sich darauf ein. Man kann es ungewöhnlich finden, dass die Wahrer des Kulturerbes in Marbach und die Massenschleuder TV methodisch so ähnlich vorgehen, doch es gibt dafür einen ganz schlichten Grund: Inzwischen lebt praktisch kein Zeitzeuge mehr, der vor der Kamera erzählen könnte, woran er sich zu erinnern glaubt. Tagebücher lügen natürlich auch, aber wer ein Tagebuch führt, weiß noch nichts von der Geschichte, die er später vielleicht gerne fälschen würde.

In dem Großprojekt 14 - Die Tagebücher des Ersten Weltkriegs bilden nun solche mehr oder weniger privaten Notate die Grundlage für ein Dokudrama, das die Geschichte von vierzehn Menschen unterschiedlicher Nationalität zwischen 1914 und 1918 erzählt. Marie Luise von Holzing ist nicht dabei, wohl aber Käthe Kollwitz, die ihren Sohn in den Krieg schickte, wo er bereits am 24. Oktober 1914 fiel, oder Ernst Jünger, von dem man in Marbach bei der Rückkehr zur Front lesen konnte: "Mama brachte mir noch eine letzte Tasse Kaffee".

Die modernen Epen werden als Drehbücher geschrieben - für Menschen, die mit dem digital gelieferten Fernsehstoff das Gleiche machen wie seit jeher mit dicken Büchern: Stundenlang darin abtauchen. Serien sind in einer dauervernetzten und ständig quasselnden Welt das einzige Produkt, das annähernd zur Lebensform des Einzelgängers passt.

Sie passen möglicherweise trotzdem zur gefühlsbetriebenen Massenmaschine des guten alten Fernsehens. Nur scheuen sich speziell die öffentlich-rechtlichen Programmstrategen im Allgemeinen, Serienstoff so zu zeigen, wie es sich gehört: In mehreren Folgen hintereinander an einem Abend. Darum ist es bemerkenswert, dass sich selbst die ARD bei 14 für Doppelfolgen entschied. Bei Arte, wo man Serien schon öfter als Langstrecke zeigte, kommen drei Episoden pro Abend.

Produzenten sind Menschen, ohne die es kein Fernsehen gäbe, sie wirken manchmal wie Jongleure, in bestimmten Phasen auch wie Hasardeure. Ihr Gewerbe besteht aus der Paradoxie, eine mehr oder weniger wahnsinnige Idee durch Kalkulation in die Welt zu setzen. Die wahnsinnige Idee des Leipziger Produzenten Gunnar Dedio, 44, war ein achtteiliges Dokudrama, das den Krieg aus Sicht vieler Nationen gleichzeitig zeigt. Möglich gemacht hat er das mit 52 Partnern aus fast allen Nationen, die einst an diesem Krieg beteiligt waren.

Großes, emphatisches Requiem

14 ist keine Fiktion. Dedios recht gewagte Arbeitshypothese war vor allem: Serielles Erzählen passt nicht nur zu all den Sagas von Macht, Leidenschaft und Verderben wie House of Cards - sondern auch zu nicht fiktionalem Fernsehen. In gewisser Weise versucht 14, Geschichte eben genau als das zu erzählen - als Saga von Macht, Leidenschaft und Verderben, so wie das gute Historiker schon immer konnten. Dabei ließ sich angesichts des Themas natürlich nicht immer die moralfreie Kaltblütigkeit herstellen, aus der moderne TV-Epen ihre Sogwirkung wesentlich beziehen. Die Produktion will opulent und mit vielen Schauplätzen die Jahre 1914 bis 1918 erzählen, aber sie will eben und sie muss es bei ihren Quellen geradezu - auch ein Lehrstück gegen Krieg und Vernichtung sein, ein großes, emphatisches Requiem.

Die Autoren um Jan Peter und Yuri Winterberg erzählen mit vierzehn Protagonisten Geschichten vom Krieg, die man kennt, oder zumindest zu kennen glaubt: Von einem kriegsbegeisterten - und natürlich eifrig Tagebuch schreibenden - Mädchen Elfriede (Elisa Monse) aus Pommern, das einen Verehrer abweist und bald an seinem Grab steht. Sie erzählen aber - auf Grundlage von Dokumenten aus siebzig Archiven - noch viel mehr. Die 14 Jahre alte Marina Yurlova (Natalia Witmer) schließt sich als merkwürdige Kindersoldatin den zarentreuen Kuban-Kosaken an, dann droht ihr nach einer Verwundung die Beinamputation. Die Krankenschwester Sarah Macnaughton (Celia Bannerman) hört an der russisch-osmanischen Front von unfassbaren Gräultaten an den Armeniern. Vicenzo D'Aquila (Jacopo Menicagli) gibt sein neues Leben in Amerika auf, um für Italien zu kämpfen, und endet umnachtet in der Nervenheilanstalt. Vier Jahre folgt das Drama seinen Helden.

"Fernsehen braucht Events, um zu überleben"

Wenn man in einem Satz sagen müsste, worum es in 14 geht, dann wäre es der in den Tagebüchern dokumentierte Vorgang, wie der Krieg sich allmählich so in den Hirnen festsetzt, dass die Rückkehr in die alte Gesellschaft nicht mehr möglich ist.

Dedio, der Produzent, denkt viel über das Fernsehen nach, und er meint nicht Wetten, dass..? wenn er sagt: "Fernsehen braucht Events, um zu überleben." In seinem Dokudrama kommen 23 Sprachen vor, von den sechs Millionen Euro Budget brachten die Arte-Partner aus Deutschland (NDR, SWR, WDR) und Frankreich zwei auf, den Rest gaben Firmen von Kanada bis Australien. Dabei sind unter anderem BBC und Discovery, die Schweden von SVT und NTR aus den Niederlanden. Die US-Videoplattform Netflix hat die Lizenzrechte gekauft.

Dabei geht es doch um einen längst toten Krieg, nicht wahr? Ja, es geht fast acht Stunden lang um einen vergangenen Krieg. Und für die Sender hundert Jahre später um die Suche nach der Zukunft des Fernsehens.

Moderne Epen werden als Drehbücher geschrieben. Was nicht im Drehbuch stand: Als Gunnar Dedio bei der Vorstellung des Dokudramas vorige Woche in einem Kino in Moskau saß, meinte er, vorübergehend doppelt zu sehen. Auf der Kinowand zeigte er den Krieg, aber die Zuschauer hatten Angst vor einem neuen.

14 - Tagebücher des Ersten Weltkriegs, Arte, acht Folgen, 29. April, 20.15 und 21.10 Uhr, 6. und 13. Mai jeweils 20.15, 21.05 und 22 Uhr; die ARD zeigt eine Fassung mit vier Folgen am 27. und 28. Mai um jeweils 21.45 und 23 Uhr. Webspecial bei www.arte.tv. Begleitausstellung im Militärhistorischen Museum Dresden von 1. August an.

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