Doku zu Clausnitz:"Monika, deine Bude brennt morgen"

Der Bus, der Mob und das Dorf

Luai Katoun wurde von der Polizei aus dem Bus gezerrt - jetzt möchte er trotzdem gerne Polizist werden.

(Foto: NDR/Nikolas Migut)

Die TV-Dokumentation "Der Bus, der Mob, das Dorf" zeigt, wie das sächsische Clausnitz zum Symbol für deutschen Fremdenhass wurde. Und dass Läuterung im Kleinen möglich ist.

Von Cornelius Pollmer

Leben ist eine Frage der Perspektive, und um diesen noch sehr losen Gedanken möglichst fest in der Wirklichkeit zu vertäuen, werden gleich Frau Sadia Azizi und ein gewisser Heinz in den Zeugenstand gebeten. Die erstaunliche Frau Azizi war der deutschen Öffentlichkeit ein erstes Mal am 20. Februar 2016 entgegengetreten. Vor wechselnden Kameras stand sie in einem Treppenhaus im sächsischen Clausnitz und gab geduldig Interviews, mehr noch, Azizi bewahrte als einzige die Ruhe. Um sie herum: verängstigte Geflüchtete, die zwei Abende zuvor mit einem Bus der Firma "Reisegenuss" nach Clausnitz gekommen waren - und denen sich am vorläufigen Ziel ihrer Flucht ein johlender Mob in den Weg gestellt hatte. Um sie herum auch: ein deswegen nun exponiertes Dorf, in dem der aufklärerische Druck der Öffentlichkeit in den folgenden Tagen und Wochen auch vieles kaputt machen würde.

Wie kann Gemeinsamkeit entstehen zwischen Menschen, die so vieles trennt?

Clausnitz wurde zu einem symbolischen Ort, bei Debatten im Bundestag, im libanesischen Fernsehen, bei den bequem Empörten auf Facebook. Und Clausnitz wurde auch zum konkreten Beleg eines allgemeinen Gefühls, das viele in Bezug auf den Osten pflegen und dort speziell in Bezug auf die Sachsen. Diese seien nämlich wild und engherzig und auch sonst hässlich in vielen Farben.

Bald wurden die Kameras trotzdem woanders aufgebaut, und in Clausnitz ging nicht nur das Leben weiter, es ging die eigentliche Arbeit erst los. Dies trifft auch zu auf Klaus Scherer und Nikolas Migut, die ein Jahr lang immer wieder ins Erzgebirge gefahren sind, um den Ort bei seinen Wiederaufstehversuchen zu begleiten. Der Bus, der Mob, das Dorf - Letzte Ausfahrt Clausnitz heißt die sehr gute Dokumentation, in der nun also auch Heinz und Frau Azizi auftreten und klarmachen, was für eine riesige Lebenswirklichkeitsdistanz zu Beginn zwischen Einheimischen und Geflüchteten oft liegt, nicht nur in Clausnitz.

Sadia Azizi erzählt in einer Szene, dass ihr Leben in Afghanistan etwa fünf Dollar wert sei und dass sich, ginge sie dorthin zurück, gewiss schnell jemand fände, der diese fünf Dollar möglichst rasch verdienen wollen würde. Kurz darauf ist in den Schnittbildern ein alter Mann zu sehen, der auf einem Tritt in aller Ruhe den Regenschutz eines Hinweisschildes erneuert. Er heißt aller Wahrscheinlichkeit nach nicht Heinz, aber er steht da eben wie ein Denkmal des unbekannten Dorfbewohners. Wie kann Gemeinsamkeit entstehen zwischen Menschen, die so vieles trennt?

Keine Begründung für Moralisten. Aber immerhin eine Begründung

Der Film bemüht sich, die Perspektiven sehr unterschiedlicher Menschen einzunehmen, die der Weltgeist in Clausnitz zusammengewürfelt hat. Da ist Bürgermeister Michael Funke, der in immer wieder erschreckender Selbstverständlichkeit von "den Asylanten" spricht, dem aber weder die Redlichkeit seines Bemühens abzusprechen ist noch das wohltemperierte Herz. Da ist Luai Katoun, der von der Polizei ruppig von seinem Sitz nach draußen gezerrt wurde und deswegen von einigen Medien den groschenromandoofen Beinamen "der Junge aus dem Bus" bekam. In Luais Kinderzimmer steht heute ein kleines Polizeiauto und wenn ihn die Autoren der Dokumentation fragen, warum sein Berufswunsch der des Polizisten sei, antwortet Luai auf Deutsch: "Weil, ist meine Liebe."

Da ist auch der in Sachsen lebende Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU), der sachlich begründet, warum die Polizisten nicht einmal gerügt wurden dafür, dass sie Geflüchtete aus dem Bus rupften, aber keine Personalien von blockierenden Pöbelnden aufnahmen. Gefahrenabwehr (für die Geflüchteten) gehe über Strafverfolgung (der Pöbler). Diese Begründung sei "keine für Moralisten", bemerkt das Off, aber es ist zumindest eine Begründung. Und da ist schließlich Monika Köhler, eine Unterstützerin aus dem Kirchenkreis, in deren Geschichte sich Hoffnung und Vergeblichkeit eindrucksvoll vermischen. So kommt der Film zwar zu dem globalen Fazit, dass es einen wirklich umfassenden Neuanfang in Clausnitz nicht gegeben habe. Er erzählt aber auch von der Läuterung im Kleinen. Monika Köhler saß im Bus mit den ankommenden Geflüchteten. Als sie ausstieg, sagte einer aus der Masse: "Monika, deine Bude brennt morgen." Der Mann wurde identifiziert, angezeigt, den Strafbefehl über 3600 Euro akzeptierte er. Später trafen sich beide in der Kirche wieder, es folgte ein Überraschungsbesuch des Mannes. Er habe plötzlich geklingelt, erzählt Köhler, er sei aufgeregt und voller Reue gewesen "und bat mich eben um Entschuldigung. Und die habe ich angenommen."

Der Bus, der Mob und das Dorf, ARD, 22.45 Uhr.

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