TV-Vorschau: Unser täglich Gift:Die Angst isst mit

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Mit kaum etwas befasst sich die moderne Gesellschaft so obsessiv wie mit ihrem Essen. Ein Dokumentarfilm über Pestizide in Lebensmitteln will erklären, wie krank uns unsere Nahrung macht.

Anne Alichmann

Als Arte vor drei Jahren die Dokumentation Monsanto - Mit Gift und Genen zeigte, stellten die Senderstrategen des Kulturkanals einen erstaunlichen Effekt fest. 1,8 Millionen Menschen sahen zunächst die Fernsehausstrahlung in Frankreich und Deutschland. In den folgenden sieben Tagen jedoch - so lange stehen Filme bei Arte in der Mediathek - wurde die Doku über den umstrittenen Hersteller von genverändertem Saatgut noch einmal 217586 Mal im Internet abgerufen. Ein erstaunlicher Wert für das sehr spezielle Thema.

Die Autorin Marie-Monique Robin will in ihrem Dokumentarfilm Unser täglich Gift das Thema "vom Acker des Bauern bis zum Teller des Verbrauchers" untersuchen. Schon mit ihrem Film über den Genmais Monsanto erregte sie viel Aufsehen. (Foto: dpa)

Aufmerksam registrierte man beim Sender auch im Mai 2010 das große Interesse an einem Film über das Bienensterben. Mehr als eine halbe Million Menschen schalteten in Deutschland ein. Nun zeigt der französisch-deutsche Kanal erneut eine Dokumentation über Umweltgifte. Autorin Marie-Monique Robin hat sich drei Jahre nach ihrem Film über Monsanto mit chemischen Zusatzstoffen in unserer Nahrung auseinandergesetzt - also mit Pestiziden, Weichmachern, Farbstoffen, Geschmacksverstärkern.

Mit kaum etwas befasst sich die moderne Gesellschaft so obsessiv wie mit ihrem Essen - und es ist eine Geschichte der Beunruhigung. Fast fünfzig Jahre ist es her, dass der Familienvater Nicolas seinem Ärger Luft machte, in einem Schwarzweißfilm des Wissenschaftsjournalisten Jean Lallier zum Thema Ernährung. Eine Szene aus Le Pain et le Vin de l'an 2000 sieht man am Anfang von Robins Film.

Nicolas ist das Oberhaupt einer französischen Musterfamilie, aber während seine Frau und seine zwei Kinder am gedeckten Tisch brav essen, schimpft er nur vor sich hin. Er hat gehört, dass die Industrie nun auch noch ein Mittel entdeckt hat, das sein Brot besonders weich machen soll. Die Äpfel mit Insektiziden bespritzt und dann auch noch die Farbstoffe im Wein - oh là là! Es reicht ihm langsam. Nicolas findet, dass Studien gestartet werden sollten, um zu untersuchen, ob diese vielen Zusatzstoffe nicht gefährlich sind. "Wir müssten Experten dazu befragen."

Das war 1964 ein aufklärerischer Film, aber seine Fragen sind immer noch aktuell. Welche Auswirkungen haben Farbstoffe oder Rückstände von Pestiziden auf die Gesundheit? Bio-Boom, die Existenz einer Organisation wie Foodwatch und unzählige Magazinveröffentlichungen zu Ernährung, Allergien und anderen Krankheiten sprechen für das große Misstrauen in der Gesellschaft beim Thema Lebensmittelsicherheit.

Marie-Monique Robin gilt als engagierte Rechercheurin, die Provokationen nicht scheut; angreifbar hat sie sich 1995 mit einem Film über Organhandel gemacht, bei dem Details nicht stimmten. Für ihre Dokumentation Unser täglich Gift hat sie zwei Jahre lang in Europa, Nordamerika und Asien recherchiert. Ihr Film ist trotz des komplexen Themas sehr anschaulich: Fachbegriffe, Definitionen, Formeln und Zahlen weiß die Autorin zu erklären, und sie mischt die Daten mit Zeichnungen und historischem Filmmaterial. Sie demonstriert sozusagen Verständlichkeit als Mittel der Glaubwürdigkeit - umso dubioser wirkt da das Schweigen mancher Hersteller.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie Robin das System der Lebensmittelindustrie nachzeichnet.

Robin will ihr Thema "vom Acker des Bauern bis zum Teller des Verbrauchers" untersuchen. So hat sie zunächst eine Gruppe von Landwirten in der französischen Provinz aufgetan, die an chronischen Krankheiten leiden und das Arbeiten mit Pestiziden dafür verantwortlich machen. Den Bauern Gilbert Vendé etwa, der einen Giftstoff eingeatmet hatte und später Parkinson bekam. Betroffene wie er bekommen Unterstützung von der Krankenkasse: Da Studien den Zusammenhang zwischen dem Umgang mit Pestiziden und einer Parkinson-Erkrankung belegen, wird diese bei vielen Landwirten als Berufskrankheit anerkannt. Ein alarmierendes Signal.

Wenn nun Pestizide so giftig sind, dass sie die Landwirte krank machen, wie gefährlich sind dann Rückstände dieser Stoffe in Obst und Gemüse? Die Autorin beleuchtet auch Zulassungsverfahren für chemische Zusatzstoffe. Sie zeichnet ein System nach, das sie als willkürlich und unzuverlässig einstuft - da die zugehörigen Studien in vielen Fällen von der Lebensmittelindustrie selbst in Auftrag gegeben worden seien. Die Interessen der Industrie, konstatiert Robin, stünden über dem Wohlergehen der Verbraucher. Für sie ist am Ende klar: Industriell gefertigte Nahrungsmittel sind schuld an der "seuchenartigen Ausbreitung chronischer Krankheiten in der westlichen Welt".

Robin hat Archive durchsucht und sich durch Studien gearbeitet. Sie diskutierte mit Wissenschaftlern und konfrontierte Vertreter von Behörden mit kritischen Fragen - die Konzerne kommen nicht zu Wort. Im Abspann sind Gespräche zu hören, in denen Hersteller von Pestiziden Interviewanfragen ablehnen. Das suggeriert, dass solche Absagen typisch sind - welche Konzerne Robin darüber hinaus angefragt hat, erfährt man nicht.

Einige Befürworter der Lebensmittelchemie kommen zu Wort, aber ein unparteiischer Film ist Unser täglich Gift sicher nicht und will es gar nicht sein. "Was mich betrifft, ich habe eigentlich alles geändert zu Hause", sagt Marie-Monique Robin im Interview auf der Website von Arte. Sie habe drei Kinder und koche so viel wie möglich mit biologisch erzeugten Produkten; zudem hat sie Wasserflaschen aus Plastik und die üblichen Konserven komplett verbannt.

Unser täglich Gift, Arte, 20.15 Uhr. Anschließend Diskussion mit Gästen. Ein Video-Interview mit der Filmautorin auf der Website www.arte.de

© SZ vom 15.03.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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