Süddeutsche Zeitung

Doku über die Entführung der "Landshut":Sechs Tage Folter

1980 wurden mit einigen Überlebenden der "Landshut"-Entführung Interviews aufgezeichnet. 3sat zeigt nun eine Dokumentation, für die diese Gespräche neu montiert wurden. Das Ergebnis ist ganz anders als all die dröhnend nachempfundenen Mogadischu-Spielfilme, und gerade deshalb der reine Horror.

Willi Winkler

Und wenn einem das Leben doch wieder-geschenkt wird, wie soll es weitergehen? Gaby Dillmann ist zurück in Deutschland, das Taxi bringt sie nach Hause, im Taxi läuft das Radio, im Radio kommt Werbung für ein Waschmittel. Das Wasch- als Überlebensmittel, das ist die Freiheit, in die die Stewardess entlassen wird.

Gaby Dillmann gehörte zu den 87 Menschen, die sich an Bord der Landshut befanden, als das Flugzeug am 13. Oktober vor 35 Jahren auf dem Weg von Palma de Mallorca nach Frankfurt entführt wurde. Vier palästinensische Terroristen hatten die Maschine in ihre Gewalt gebracht, um die Bundesregierung zu erpressen. Sie sollte endlich die Forderung der Entführer des fünfeinhalb Wochen zuvor verschleppten Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer erfüllen und elf Terroristen aus der Haft entlassen. Der Flug ging über Rom, Larnaka, Bahrain, Dubai, Aden nach Mogadischu, wo die Geiseln wider alles Erwarten lebend und fast unversehrt befreit werden konnten.

Die Lufthansa hält bis heute die Passagierliste geheim, aber 1980, drei Jahre nach der Entführung, gelang es Ebbo Demant, ausführliche Gespräche mit elf der Davongekommenen zu führen. Die Interviews fanden teilweise Verwendung in Dokumentationen, wurden aber noch nie als Ganzes gezeigt. Ingo Helm hat sie jetzt neu montiert. Die Überlebenden sitzen in musealen Interieurs, sie tragen verbotene Brillen und Frisuren und berichten dabei in äußerster Sachlichkeit von der Folter, der sie über sechs Tage ausgesetzt waren. Als Kommentar gibt es dazu nur die Meldungen der damaligen Tagesschau sowie den Bericht des ARD-Korrespondenten Kurt Stenzel.

"Der Geist schaltet automatisch ab"

In einer wüstenheißen Röhre, in der die Toiletten überliefen nach vier Tagen und Nächten, in denen ein hysterischer, sich ausschließlich von Wachmachern nährender Anführer ständig von "Faschisten" und "Zionisten" geiferte und allen mit der Erschießung drohte, konnte niemand mehr an sein Überleben glauben. In Aden examinierte "Captain Martyr Mahmud" den Piloten Jürgen Schumann, beschimpfte ihn als "Verräter" und schoss ihm dann vor den Augen der Passagiere eine Kugel in den Kopf.

"Der Geist schaltet automatisch ab, sonst erträgt man es nicht", sagt einer der Passagiere. "Das Leben war zu Ende", sagt ein anderer. Nur einer behauptet, er habe keine Angst gehabt. Vor dem Ende des letzten Ultimatums, bereits auf dem Flughafen in Mogadischu, werden die Geiseln mit Alkohol übergossen, damit sie besser brennen. "Fast anmutig" nennt einer die Geste, mit der sie beträufelt wurden. Über Minuten hört man Gaby Dillmanns verzweifelten Appell an Bundeskanzler Helmut Schmidt, doch noch nachzugeben und ihr Leben zu retten.

Dieses Mikrodrama ist ganz anders als all die dröhnend nachempfundenen Mogadischu-Spielfilme, streng wie ein Hörspiel, ohne das geringste Zugeständnis an ein lauerndes Action-Interesse, und gerade deshalb der reine Horror. Dafür muss man dem Fernsehen dankbar sein, zumal es auf dem Bildschirm stattfindet und ihm niemand wirklich ausgesetzt wird.

Bis auf die 87 Menschen, die vor 35 Jahren im fliegenden Sarg um ihr Leben zitterten.

Im fliegenden Sarg, 3sat, 20.15 Uhr.

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SZ vom 17.10.2012/ihe
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