Doku über Corona in den USA:Nichts im Griff

Screenshot aus dem offiziellen Trailer von "Totally Under Control" von Alex Gibney

Die Dokumentation zeigt: US-Präsident Trump will seine Landsleute während der Corona-Pandemie bewusst in die Irre führen.

(Foto: Alex Gibney/Youtube)

Der heimlich produzierte Dokumentarfilm "Totally Under Control" zeichnet die vergangenen Monate in den USA nach - und zeigt, warum die Zustände aufgrund der Coronavirus-Pandemie so schlimm sind wie in kaum einem anderen Land.

Von Jürgen Schmieder

Vergangenen Donnerstag hat Donald Trump mal wieder einen rausgehauen, es ging um die Ansteckung mit dem Coronavirus. "Ihr seid nicht anfällig, auch wenn sie immer sagen, dass ihr anfällig wäret. Ihr seid die am wenigsten Anfälligen", rief er den älteren Amerikanern zu, dann sagte er: "Aber in dieser einen Sache seid ihr dann doch anfällig." Ein typischer Trump-Satz, bei dem die Leute fragen: "Moment mal: Was hat er da gesagt?" Mittlerweile jedoch liegt der Verdacht nahe, und genau das stützt auch der formidable Dokumentarfilm Totally Under Control, dass sich der US-Präsident gar nicht verhaspelt hat, sondern seine Landsleute während der Coronavirus-Pandemie bewusst in die Irre führen will, um jede Schuld von sich zu weisen.

Trump tut seit Monaten so, als habe er alles im Griff, Totally Under Control also. Alex Gibney indes, der bereits einige fantastische Filme über gesellschaftlich relevante Themen (The Inventor über Theranos-Betrügerin Elizabeth Holmes oder Going Clear über Scientology) gedreht hat, zeichnet ein anderes Bild: Die mittlerweile mehr als 200 000 toten Amerikaner, die Millionen Arbeitslosen, eine gespaltene Nation am Rande des Bürgerkriegs - all das hätte nicht sein müssen, hätte die Regierung wenigstens ein bisschen auf Wissenschaftler gehört und nicht dauernd behauptet, alles im Griff zu haben.

Seit Freitag ist der Film in Drive-in-Kinos zu sehen, von Dienstag an wird er auf Streamingportalen im Einzelverkauf erhältlich sein und von Freitag an für Abonnenten auf Hulu. Erstaunlich an dem Film ist nicht nur sein Inhalt, sondern auch die Tatsache, dass es ihn überhaupt gibt. Gibney hat die Regisseurinnen Suzanne Hillinger und Ophelia Harutyunyan verpflichtet, die drei haben monatelang autonom agiert und sind sich kein einziges Mal begegnet. Sie haben den Film weitgehend geheim gedreht, selbst die Vertriebsfirma Neon kam erst im September an Bord, und dieser Verzicht auf einen TV-Sender, Sponsoren oder externe Produzenten ermöglicht gewisse Freiheiten.

Die große Stärke des Films liegt darin, dass er keine plumpe Anklage gegen Trump ist, sondern dass anhand von Südkorea eine Alternative für den Umgang mit dem Virus auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse gezeigt wird. Es ist die Suche von drei Neugierigen, ja Verzweifelten, die sich fragten, warum die Lage ausgerechnet in den USA so schlimm ist. Der Spuk, so die Botschaft, könnte längst vorbei sein, hätte die US-Politik auf Leute gehört, die sich mit Viren und Pandemien auskennen. Trump jedoch musste ja immer alles besser wissen, und dieser Stolz wird ihm nun zum Verhängnis. Es wird gezeigt, dass er es tatsächlich besser gewusst hatte - nicht nur anhand der Aufzeichnungen des Journalisten Bob Woodward -, dass er aber aufgrund dieser einzigartigen Mischung aus Trotz und Stolz so gehandelt hat, wie er es getan hat. Und damit nicht nur verantwortlich ist für die fatale Entwicklung der Pandemie, sondern wegen seiner Rhetorik ("China-Virus", "Plage aus China") auch für rassistische Angriffe gegen Leute asiatischer Herkunft und seiner Sturheit für den Streit der Amerikaner untereinander.

Trump hat sich erst nach der Fertigstellung des Films mit dem Virus infiziert, und freilich hat er seine Rückkehr aus dem Krankenhaus mit einem Film inszeniert, der aufgrund des Pathos in Anlehnung an den englischen Titel des Leni-Riefenstahl-Propagandafilms Triumph of the Ill genannt wird, Triumph des Kranken. "Es ist wie damals bei TV-Journalist Edward R. Murrow, der vor der Kamera geraucht hatte - viele Sendungen wurden von Zigarettenherstellern gesponsert - und an Lungenkrebs erkrankte", sagt Gibney: "Es war beinahe zu erwarten."

Gibney fügte am Ende des Films nur einen kurzen Hinweis auf Trumps Krankheit ein, das genügt vollkommen. Alles, was seitdem passiert ist, die Inszenierung der mutmaßlichen Genesung oder der hanebüchene Verweis, dass Trump nun mehr Ahnung vom Virus habe als der gesunde Joe Biden, und alles, was bis zur Wahl am 3. November noch kommen wird, wird umso durchschaubarer für alle, die diesen Film gesehen haben.

Totally under Control, auf Apple TV, von 20. Oktober an auf Hulu

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