Doku:Schlappen und Schlapphüte

Früh.Warn.System.

"Brauchen wir diesen Verfassungsschutz?", lautet die angesichts der massiven Kritik keineswegs einfach zu beantwortende Frage, die in der Dokumentation "Früh.Warn.System" gestellt wird.

(Foto: SWR/Ventana-Film GmbH)

Eine Dokumentation zeigt, was immer noch beim Verfassungsschutz falsch läuft - trotz stetig steigender Etats

Von Willi Winkler

Das Thema Rechtsextremismus ist zwar alles andere als komisch, aber in der Dokumentation "Früh.Warn.System" fällt dazu dann doch ein ziemlich lustiger Satz. Thomas Haldenwang, der gegenwärtige Leiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), erklärt, er könne es "nahezu ausschließen", dass in seine Behörde "Extremisten reinkommen". Er spricht in der Gegenwartsform und übergeht damit höflich seinen Vorgänger Hans-Georg Maaßen, der es mit der Beobachtung des rechten Spektrums nicht unbedingt übertrieb, sich dafür aber über "die Medien" und "linke und grüne Politiker" beklagte, mehrmals mit Vertretern der AfD zusammentraf und sich seit seiner Entlassung immer mehr radikalisiert hat.

Das Kölner Bundesamt bekommt zwar jedes Jahr seinen Etat erhöht und ist auch jedes Jahr größer geworden, es hat aber, wie der Film von Rainald Becker und Christian Hans Schulz nicht zum ersten Mal belegt, oft genug glanzlos versagt. Die Mordtaten des sogenannten "Nationalsozialistischen Untergrund" (NSU), der Anschlag auf die Synagoge in Halle, der Mord am hessischen Landespolitiker Walter Lübcke, der Amoklauf von Hanau: Das BfV war davon jedes Mal genauso überrascht wie der gewöhnliche Tagesschaunutzer. Dabei hatten die Täter sich vorher im Internet Informationen besorgt, in Chatrooms ihren irrationalen Hass auf Ausländer, Juden, die ganze Welt jenseits ihres Computers hinausposaunt und sich online mit Gesinnungsgenossen verbrüdert. Obwohl jemand wie Stephan Ernst, der inzwischen den Mord an Lübcke gestanden hat, als rechtsradikaler und ausländerfeindlicher Gewalttäter bekannt und sogar schon verurteilt worden war, entging er jeder weiteren Überwachung. Als noch schlimmer erwies sich das Versagen der Sicherheitsbehörden im Fall des Attentäters Anis Amri, der seine Anschlagspläne sogar einem V-Mann vortragen konnte, ohne dass versucht worden wäre, sie zu vereiteln. Amri tötet im Dezember 2016 auf einem Weihnachtsmarkt in Berlin elf Menschen mit einem Lkw.

Das institutionelle Versagen hängt auch mit der föderalen Struktur Deutschlands zusammen, damit, dass jedes Bundesland seinen eigenen Verfassungsschutz und eigene Polizeibehörden hat und diese eifersüchtig schützt, Daten und Erkenntnisse also lieber für sich behält, statt sich mit den Kollegen in den anderen Bundesländern und anderen Behörden auszutauschen. Trotz der etwas überdekorativen Kameraführung von Frank-Peter Lehmann bekommt man in diesem Film einen Begriff von der unübersichtlichen Behördenstruktur und den Aufgaben, denen sich der Staatsschutz gegenübersieht.

Angeblich gibt es in Deutschland 13 000 gewaltbereite Rechtsradikale, und natürlich lassen sich die nicht alle überwachen. Sehr schön wird in einer Aktenzeichen-XY-würdigen Laiendarbietung vorgeführt, dass es manchmal dreißig Leute braucht, um einen möglichen Gefährder rund um die Uhr zu observieren.

Die Autoren begleiten einen Aussteiger, der aus Syrien zurückgekommen ist und im Gefängnis dem IS abschwor. Sie zeigen auch, wie ein Wirt in Thüringen Konzerte mit Rechtsrock veranstaltet, bei denen sich die Szene trifft und sich weitere Anhänger rekrutieren lassen, die begeistert in ihre antidemokratischen und rassistischen Lieder einfallen. Gelegentlich haben sich die Autoren vom Geheimhaltungsbedürfnis der Inlandsaufklärer anstecken lassen, löschen Namen, zeigen nur Schemen und treiben jahreszeitgerecht ein bisschen Mummenschanz mit Kapuzenpulli und Mundschutz. Alice Weidel von der AfD darf ohne Maske behaupten, dass der Verfassungsschutz nicht verfassungskonform sei, weil er nichts gegen die Flüchtlingspolitik der Regierung unternehme.

So kommen alle zu Wort: Während Vertreterinnen der Grünen und der Linken am Nutzen des Inlandsgeheimdienstes zweifeln, befürwortet der CDU-Obmann in der Parlamentarischen Kontrollkommission, Armin Schuster, den Bundestrojaner, der die Ausspähung auch noch nicht auffällig gewordener Gewalttäter ermöglichen soll.

Ehe die Grünen, in ihren Anfängen selber lange im Auge des Staatsschutzes, staatstragend und Regierungspartei wurden, forderten sie die schrittweise Abschaffung der Geheimdienste. In einer Fraktionsentschließung von 2012, unmittelbar nach der verspäteten Erkenntnis, dass Uwe Mundlos und Uwe Bönhardt unter dem Radar der Geheimdienste neun rassistische Morde begehen konnten, wurde eine "grundlegende, ursachenorientierte Zäsur in der gesamten Architektur unserer Sicherheitsorgane" verlangt. Viel mehr, als dass die Mittel aufgestockt wurden, ist seither nicht passiert, lautet das Resümee des Films. Darum erhält auch der SZ-Autor Heribert Prantl, der nicht nur ein Kollege, sondern ein Verfassungspatriot ist, das letzte Wort: "Der wahre Verfassungsschutz ist eine Zivilgesellschaft, die aufmerksam ist."

Früh.Warn.System. In der ARD-Mediathek.

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