Dokumentation:Gefangene einer Tragödie

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Shlomit Romano war erst wenige Monate alt, als ihr Vater, der Ringer Jossef Romano, in München umgebracht wurde. Später wurde sie die erste Fluglotsin Israels. (Foto: Moritz Frisch/Sky Deutschland)

Sky zeigt die sehenswerte Rekonstruktion "1972 - Münchens schwarzer September".

Von Holger Gertz

Gar nicht leicht, im Dickicht der Dokumentationen, Bücher, Podcasts zum Thema "München 1972" sichtbar zu bleiben, bei Sky Documentaries versuchen sie es mit einem Dokudrama, "1972 - Münchens schwarzer September". Die Geiselnahme der israelischen Olympiasportler durch palästinensische Terroristen wird rekonstruiert mithilfe von Interviews, Archivmaterial, und - immer ein Wagnis - Spielszenen. Im TV-Film "München 72 - Das Attentat" von 2011 etwa sahen viele Schauspieler aus, als hätten sie eine Einladung zu einer 70er-Mottoparty angenommen. Im Sky-Stück der Regisseure Christian Stiefenhofer und Mohamad Abou Falah dagegen steht nicht nur Waldi stilecht auf dem Röhrenfernseher, sondern auch ein Paradebayer als Spardose nebendran - so was gab es damals wirklich. An der Liebe zum Detail, mit der noch die verrauchteste Kickerkneipe ausstaffiert ist, erkannt man, mit welch fürsorglichem Interesse die Filmemacher von Sky Studios und der Bilderfest GmbH am Werk gewesen sind.

Das Geschehen wird erzählt aus verschiedenen Perspektiven, Täter, Opfer, Retter, da ähnelt die Doku dem Vierteiler, der gerade in der ARD-Mediathek zu sehen ist. Dort sprechen zwei Terroristen, hier spricht nur einer. Dort treten ZDF-Reporter wie Harry Valérien aus den Archiven hervor, hier hört man die altbekannte Stimme des BR-Mannes Dagobert Lindlau wieder. Was diese Sky-Doku nun aber von der anderen unterscheidet, ist der klug geknüpfte emotionale rote Faden. Alle Archivsequenzen und jedes Reenactment sind um eine Reise herum angeordnet, die Reise Guido Schlossers nach Tel Aviv.

Guido Schlosser stellt sich seit 50 Jahren eine Frage: Wie schwer wiegt meine Schuld?

Schlosser war als ganz junger Polizist bei der missglückten Geiselbefreiung am Flugplatz Fürstenfeldbruck dabei. Er hatte, mit anderen Kollegen eines Freiwilligenkommandos, in jenem Flugzeug warten sollen, mit dem Terroristen und Geiseln außer Landes gebracht werden sollten, scheinbar. In Wahrheit sollten Schlosser und die anderen Beamten die Terroristen bei Eintritt in die Maschine erschießen, aber der Plan war nicht durchdacht, die Polizisten waren komplett überfordert, die Aktion wurde abgebrochen. Am Ende waren alle Geiseln tot. Und Schlosser fragt sich, er fragt sich das seit fünfzig Jahren, er quält sich mit dieser Erkundung seines Inneren: Wie schwer wiegt meine Schuld?

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Es gibt beim Bayerischen Rundfunk den Podcast Himmelfahrtskommando von Schlosser und seiner Tochter Patrizia, der ist so hörenswert, wie diese Doku sehenswert ist. Guido Schlosser, ein freundlicher, lauterer, ehrlich aufgeregter Mann, besucht also Ankie Spitzer, die Witwe des in Fürstenfeldbruck ermordeten Fechttrainers André. Ankie Spitzer ist Sprecherin der Hinterbliebenen, sie ist es, die seit damals auf das Versagen der Deutschen hinweist - und auf fehlende Schuldeingeständnisse. Schlosser stellt sich sozusagen stellvertretend bei ihr vor: um sich zu erklären, um Entschuldigung zu bitten. Es ist eine schwere Reise, man merkt es allen an. Und am Ende gibt es fast so etwas wie einen Moment der Versöhnung, nur zwischen diesen beiden Menschen, zwei Gefangenen einer Tragödie.

Ab 4. September 2022 auf Sky Documentaries, vorher bereits auf Abruf

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