Spickzettel unter dem Taschenrechner oder auf dem Etikett der Wasserflasche sind zwar jahrzehntelang erprobt, aber alles andere als sicher vor Entdeckung. Um beim Spicken nicht aufzufallen, hat ein junges Mädchen daher einen ganz besonderen Tipp parat: "Wenn man einen Rock trägt, kann man sich das auf die Oberschenkel schreiben. Der Lehrer kann ja niemanden zwingen, den Rock anzuheben."
Die findige Schülerin kommt in der 3sat-Dokumentation Lügen und Betrügen zu Wort und findet ein wenig Betrug im Sinne der besseren Zensur völlig unbedenklich. Die Autorinnen Andrea Hauner und Helga Ettenhuber führen zudem Zahlen an, die belegen, dass die Akzeptanz von Schummeleien in der Schule mit dem Alter der Schüler steigt. Demnach findet in der sechsten Klasse nur jeder Fünfte das Betrügen in Ordnung, in der zwölften Klasse sind es jedoch bereits 80 Prozent.
Mogeln als Jugendsünde?
Nun sind diese Zahlen wenig überraschend und klingen subjektiv betrachtet eher zu niedrig als sonderlich hoch. Auch dass ein betreten dreinblickender Gymnasiallehrer einräumt: "Die Schüler sind uns immer einen Schritt voraus", hat kein gesteigertes Aufregerpotenzial. Die Frage, die der Film ob der Situation in Deutschlands Schulen stellt, ist dafür umso spannender. "Ist das Mogeln an Schulen wirklich noch eine harmlose Jugendsünde oder entwickelt sich hier eine Betrugskultur, die sich in Hochschulen und in der Wissenschaft fortsetzt?"
Dass sich der Wunsch nach dem Erreichen guter Noten - und später auch nach akademischen Graden - ohne allzu große Anstrengung an den Universitäten fortsetzt, bestätigen in der Folge diverse Experten. Kurse für korrektes wissenschaftliches Arbeiten würden immer noch viel zu selten angeboten, obendrein führe ein System, in dem nur die Besten nach dem Bachelor auch einen Masterstudienplatz bekommen, zu immensem Leistungsdruck - der sich in Plagiaten und Betrügereien Bahn breche. Soziologe Sebastian Sattler erklärt pragmatisch: "Wenn man lernt, dass man damit durchkommt, fragt man sich: Warum soll ich das nicht nochmal probieren?"
"Erfolgreich sein hieß nicht, gute Forschung zu betreiben"
Mit dem Fakt - irgendwo müssen prominente Fälle von Guttenberg bis Koch-Mehrin ja herkommen -, dass sich das Erfinden eigener und Abschreiben fremder Erkenntnisse auch in der Forschung fortsetzt, beschäftigt sich die Dokumentation leider erst in ihrer zweiten Hälfte. Dort erzählt der Sozialpsychologe Diederik Stapel erstmals vor einer Fernsehkamera von seiner gescheiterten Karriere als Wissenschaftler.
Jahrelang hatte der Niederländer Untersuchungsergebnisse gefälscht, erfunden oder seiner Thesen entsprechend zurechtgebogen. Kollegen hätten es schon merkwürdig gefunden, erzählt Stapel, dass er seine Daten immer alleine erhoben habe. Trotzdem konnte er mehr als 150 Studien mit insgesamt 70 Co-Autoren veröffentlichen, bis ihn zwei Doktoranden aus seinem Team und ein junger Wissenschaftler bei der Hochschulleitung anzeigten. "Erfolgreich sein hieß nicht, gute Forschung zu betreiben, sondern viel zu publizieren", erklärt Stapel seine Taten heute. In diesem System habe er irgendwann den falschen Weg eingeschlagen.
Was das nun bedeutet, ob man die Wissenschaft tatsächlich entschleunigen muss und wie das funktionieren könnte, darauf kann der Film freilich keine abschließende Antwort liefern. Wäre von einer 45-minütigen Produktion aber auch etwas zu viel verlangt gewesen.
Lügen und Betrügen , 3sat, Donnerstag, 20.15 Uhr oder online hier