Doku-Drama über Konrad Adenauer:"Vergiss die Politik, wenigstens heute"

"Kitsch as Kitsch can": Ein Doku-Drama will dem Publikum das Leben Konrad Adenauers erklären. Historische Fakten und sorgfältige Recherche müssen sich der Geschichte, die erzählt werden soll, unterordnen - zugunsten von Gefühlen im Rosamunde-Pilcher-Stil.

Franziska Augstein

Die deutschen Männer, die aus dem Zweiten Weltkrieg zurückkamen, waren nicht forsch gestimmt. Die allermeisten waren einfach nur froh, überlebt zu haben. Ein paar wenige von ihnen wurden dann Politiker oder Journalisten. Zu diesen Männern gehörten Franz Josef Strauß und Rudolf Augstein. Konrad Adenauer war nicht im Krieg gewesen, er war 1939 bereits 63 Jahre alt. Als Katholik hat der damalige Kölner Oberbürgermeister die Nazis schon Anfang der 30er-Jahre verabscheut. Er wurde 1933 seines Postens enthoben. Deshalb wurde er von den englischen Besatzern nach dem Krieg in die Politik zurückgerufen.

Konrad Adenauer Ð Stunden der Entscheidung

Auch das Leben Konrad Adenauers (Joachim Bißmeier) kann man so zeigen, als handle es sich um eine Rosamunde-Pilcher-Verfilmung.

(Foto: SWR/Martin Christ)

Das zweiteilige Doku-Drama über Konrad Adenauer versucht, Adenauers Vita einem Publikum schmackhaft zu machen, dem sich die öffentlich-rechtlichen Sender sonst mit Volksmusik und kitschigen Schmonzetten anbiedern. Das Resultat ist verblüffend. Ja, es ist möglich: Auch das Leben Konrad Adenauers kann man so zeigen, als handle es sich um eine Rosamunde-Pilcher-Verfilmung. Das gilt vor allem für die NS-Zeit: "Komm, lass uns tanzen", sagt Adenauers Frau (gespielt von Caroline Vera), "vergiss die Politik, wenigstens heute."

Der Zuschauer erfährt, dass Adenauer 1933 ins Kloster Maria Laach ausweichen musste, nachdem er als Oberbürgermeister abgesetzt war. Dass in jener Zeit Sozialdemokraten und Kommunisten zu Tode geprügelt wurden, ja dass es schon vor Kriegsbeginn für Regimekritiker Konzentrationslager gab, kommt in dem Film nicht vor. Nein, allein das Schicksal der Familie Adenauer zählt. Der Kommentar aus dem Off fasst das Kriegsgeschehen zusammen: "Wann wird dieser Schrecken ein Ende haben und welches Ende?" Damit ist wenig erklärt, aber es klingt herrlich gefühlvoll.

Das Leben Adenauers und seiner Frau wird als schier furchtbar geschildert. Nachdem es Adenauer in der zweiten Hälfte der 30er-Jahre gelungen ist, per Gerichtsbeschluss durchzusetzen, dass die ihm zustehende Pension ausgezahlt wird, kann er immerhin ein schönes Haus in Rhöndorf bei Bonn erwerben. Dann aber schlägt das NS-System 1944 nochmals zu: Nach dem Attentat vom 20. Juni wird er gefangen genommen. Adenauer kann kurz darauf mit Hilfe eines Wachmanns entkommen. Seine Frau wird interniert, der Druck ist zu groß, sie verrät seinen Aufenthaltsort und macht einen (dilettantischen) Selbstmordversuch.

Leider versäumen die Filmemacher zu erklären, dass Adenauer weniger in Gefahr war als viele andere, die das NS-Regime ablehnten. Leider versäumen sie zu zeigen, dass Adenauer "für den aktiven Widerstand gegen das NS-Regime . . . kein Interesse" zeigte, wie in dem Standardwerk Geschichte der Bundesrepublik Deutschland (Hrsg. Theodor Eschenburg, 1983) zu lesen ist. Ein Treffen mit Carl Friedrich Goerdeler, dem ehemaligen Oberbürgermeister Leipzigs, der auch konservativ dachte, sich aber gegen die Nazis engagierte, lehnte Adenauer damals ab.

"Kitsch as Kitsch can", hat man vor Jahren zu einem Film gesagt, der das meiste ausblendet, was nicht zur Saga passt. Diese Redeweise stammt aus einer Zeit, als Franz Josef Strauß und Rudolf Augstein noch lebten. Der Film tut so, als seien Strauß und Augstein für Adenauer die wichtigsten Zeitgenossen gewesen; das ist Unfug. Die Schauspieler, die Strauß und Augstein darstellen (Bernhard Ulrich und Johannes Zirner), spielen diesen Unfug allerdings gut: Ulrichs bayerische Ungeduld ist überzeugend. Und Augstein war vor der Spiegel-Affäre, so sagen es mir Zeitgenossen, tatsächlich so schüchtern-höflich, wie Johannes Zirner ihn spielt (und wie ich ihn als Tochter nicht kannte).

Muffig-repressives Regiment

Komplett daneben ist aber die Vorstellung von Augstein als einem jungen Journalisten, der mit Fotoapparat gierig-devot die Treppen zu Adenauers Terrasse hinaufrennt und während der Begrüßung lauter Bildchen knipst: Augstein hat in seinem Leben niemals einen Fotoapparat, ein Tonband oder Ähnliches bedienen können. Und anlässlich des Mauerbaus 1961 hätte er nicht gesagt: "Kinder, ruft alle zusammen. Das wird die ganz große Story."

Konrad Adenauer

War das Leben von Konrad Adenauer und seiner Frau während des Zweiten Weltkriegs wirklich so furchtbar, wie es geschildert wird, und waren Strauß und Augstein wirklich die, mit denen er am meisten kämpfte?

(Foto: SWR/Martin Christ)

Niemand im Spiegel wäre damals auf die Idee gekommen, die Kollegen mit "Kinder" anzureden, schon gar nicht der Chef, der im Übrigen generell keinen Wert darauf legte, "alle" zusammenzurufen. Dergleichen hätten die Filmemacher recherchieren können. Stattdessen haben sie ihre Augstein-Figur nach dem Modell eines überdreht-engagierten Journalisten konfektioniert, wie man ihn aus Hollywood-Filmen kennt.

Adenauer hat aber nicht in erster Linie mit Strauß und Augstein gerungen. Der Spiegel war zwar in den 50er-Jahren einer der wenigen Frechdachse in der Presse, überragende Bedeutung hatte er damals indes nicht, die Auflage war noch zu klein. Und Strauß war in den Fünfzigern nur einer unter anderen aufstrebenden Politikern. Ludwig Erhard, der "Vater des Wirtschaftswunders" und später glückloser Kanzler, wird als eher nebensächlich dargestellt.

Umso leuchtender soll Adenauer glänzen. Da Adenauer die Politik der Westbindung betrieb, nahm er den Mauerbau 1961 hin. Der Film hingegen stellt es so dar, als sei er damals nur deshalb nicht sofort nach Berlin gereist, weil es gegolten habe, einen Dritten Weltkrieg zu verhindern. Dass die bundesdeutsche Gesellschaft Adenauers muffig-repressives Regiment mit der Zeit irritierend fand, wird heruntergespielt.

Der Kulturwissenschaftler Hermann Glaser hat 1997 geschrieben: "Adenauers konservativer, katholischer Lebenszuschnitt, sein anti-preußisches, dem Nationalstaat skeptisch gegenüberstehendes Geschichtsverständnis, seine paternalistisch geprägten Sozial- und Gesellschaftsvorstellungen machten ihn zur Leitfigur einer Mehrheit der Bevölkerung." Mit diesem Satz ist mehr gesagt, als die zwei Folgen Konrad Adenauer zeigen.

Weil diese Doku-Schau Rosamunde-Pilcher-mäßig das Gefühl ansprechen soll, war für vernünftige Argumentation möglicherweise keine Zeit mehr. So kommt es, dass zwei Kinder Adenauers, sein Sohn Georg und seine Tochter Libet, Konrad Adenauer in den Film-Interviews besser beschreiben, als alle Doku-Drama-Szenen es tun. Dieser Film ist Futter für alle, die das Genre Doku-Drama kritisieren.

Konrad Adenauer, Arte, 20.15 Uhr, und ARD, 5. August, 21.45 Uhr.

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