Doku "Die Wahrheit und ihr Preis":Die Schattenseite der Aufklärung

Die Wahrheit und ihr Preis

Achtung, Kontrolle: Ein Pharmahändler prüft eine Lieferung.

(Foto: Walter Harrich/ZDF)

Sie haben viel riskiert, als sie ihrem Gewissen gefolgt sind - und einige von ihnen hat das ruiniert. Ein Film über Whistleblower aus der Pharmabranche.

Von Werner Bartens

Anderswo gelten sie als Helden - in Deutschland als Verräter. So lautet das Fazit derer, die alles riskiert haben, um die Wahrheit ans Licht zu bringen. Anders als Edward Snowden, Julian Assange oder Chelsea Manning haben sie es nicht in die Hauptnachrichten geschafft. Kein Ruhm, sondern ein Leben im Ungefähren, das von der diffusen Furcht vor Racheakten ebenso geprägt ist wie von der Frage, wovon sie ihre Existenz bestreiten sollen.

"Whistleblower" ist ein seltsamer Begriff. Wer die Pfeife bläst und dazu beiträgt, dass üble Machenschaften aufgedeckt werden, hat schnell den Ruf weg, jemanden verpfiffen zu haben. Daniel Harrich nährt sich in seinem 37-Grad-Beitrag Die Wahrheit und ihr Preis behutsam zwei deutschen Informanten, die ihrem Gewissen gefolgt sind und es nicht ertragen konnten, dass sich Einzelne auf Kosten der Gesundheit anderer bereichern und Krebsmittel verkaufen, in denen gar kein oder viel zu wenig Wirkstoff enthalten ist.

Ohne Rücksicht auf eigene Nachteile an die Öffentlichkeit gehen

Der kaufmännische Leiter einer Apotheke in Bottrop schildert, wie schwer es für ihn war, seinen einstigen Chef zu belasten. Nachdem Gerüchte über gepanschte Medikamente nicht abreißen, forscht er nach und bemerkt, dass die eingekaufte Wirkstoffmenge weit unter dem liegt, was als Krebsarznei verkauft wird. Der Apotheker sitzt seit 2016 in Haft, die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, in 60 000 Fällen Arzneimittel "entgegen der pharmazeutischen Kunst" hergestellt und in 50 000 Fällen falsch abgerechnet zu haben - der Schaden allein für die Krankenkassen beläuft sich laut Anklage auf 56 Millionen Euro.

Um unterdosierte Krebsmittel ging es auch in der Holmsland-Affäre. Etwas mehr als 300 Apotheken in Deutschland dürfen Krebsmittel herstellen, der Aufwand ist groß, Reinraumbedingungen und geschulte Mitarbeiter sind dazu notwendig. 80 dieser Apotheken nahm die Staatsanwaltschaft von 2005 an unter die Lupe: Nachdem ihm große Gewinne angeboten wurden, hatte ein Pharmahändler die Arzneien analysieren lassen. Bald war er auf gestreckte Krebsmittel fast ohne Wirkstoff gestoßen - und informierte die Behörden.

Der Whistleblower schildert, dass für ihn "der Worst Case eingetreten ist dadurch, dass ich an die Öffentlichkeit gegangen bin. Man hat mich ruiniert." Harrich kommt den Informanten nahe. Während sonst die Skrupellosigkeit der Täter oder die Folgen für Patienten im Vordergrund stehen, werden hier die Konsequenzen für jene gezeigt, die zunächst nicht glauben können, was in ihrem Umfeld geschieht - und die dann ohne Rücksicht auf eigene Nachteile an die Öffentlichkeit gehen. Jetzt sind sie arbeitslos, ausgegrenzt, bedroht und krank.

Panikattacken, Depressionen, schlaflose Nächte - es ist alles andere als ein Helden-Tableau, was hier gezeichnet wird. Harrich, der für seine investigativen Spielfilme bekannt ist und schon das Oktoberfestattentat (Der blinde Fleck), illegale Waffenexporte (Meister des Todes) und verunreinigte Arzneimittel aus Drittweltländern (Gift) seiner beharrlichen Analyse unterzogen hat, gibt hier denen Gesicht und Geschichte, ohne die solche Aufklärung kaum möglich wäre.

Die Wahrheit und ihr Preis, ZDF, 22.15 Uhr.

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