Süddeutsche Zeitung

Doku "Die Notregierung":Schicksalhaft

In einer starken Dokumentation zeichnet Stephan Lamby das Bild der großen Koalition: als Regierung, die nicht aktiv lenkt - sondern nur reagiert.

Von Stefan Fischer

Die Ereignisse vom Samstag sind nicht zu sehen in Stephan Lambys starkem Film Die Notregierung - Ungeliebte Koalition. Gleichwohl fügt sich das Votum der SPD-Mitglieder über die neuen Parteivorsitzenden in das Bild, das Lamby zeichnet: Neuerlich ist der Koalition aus CDU, CSU und SPD etwas Verstörendes widerfahren, findet sie sich in einer Bredouille wieder.

Zu sehen ist die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer, wie sie erklärt, warum sie nach Ursula von der Leyens Ausscheiden als Verteidigungsministerin entgegen früherer Beteuerungen doch ins Kabinett eingetreten ist: "Wir sind in eine Situation gekommen ..." Das ist tatsächlich der Eindruck: Die in der Regierung vereinten Volksparteien steuern die Geschicke nicht, sondern geraten passiv in Situationen - auf die sie häufig mit geringem Geschick reagieren. Das war im Umgang mit dem Wellen schlagenden CDU-Zerstörungs-Video des Youtubers Rezo so, das war so beim Versuch, den außer Kontrolle geratenen Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen ins Amt eines Staatssekretärs wegzuloben, das ist bis heute so im Umgang mit den Klimaschutz-Demonstranten. Dazu die rüden Bloßstellungen: von Angela Merkel durch Horst Seehofer in einer Detailfrage der Flüchtlingspolitik. Von Außenminister Heiko Maas durch Kramp-Karrenbauer und umgekehrt im Streit um einen Militäreinsatz in Syrien.

Seit ihrem Zustandekommen begleitet Stephan Lamby diese aus der Not geborene Große Koalition. Er hat mit den Unions-Politikern Kramp-Karrenbauer, Seehofer und Armin Laschet gesprochen, mit Olaf Scholz, Lars Klingbeil und Kevin Kühnert von der SPD, mit Robert Habeck (Grüne) und Alice Weidel (AfD). Auch mit Rezo und der 17-jährigen Klimaaktivistin Anna Moors. Die Ex-SPD-Vorsitzende Andrea Nahles sowie Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) spielen zentrale Rollen.

Angela Merkel nicht. Ein eleganter, ein gnadenloser Kniff.

Dabei ist Lamby aufrichtig interessiert an den Menschen, die er begleitet, und an den Gründen, warum es den in der Verantwortung Stehenden misslingt, Deutschland überzeugend zu regieren. Unsouverän nennen führende Unions-Politiker die Reaktion auf das Video von Rezo. Seine Kritik nehmen sie dennoch nicht ernst. Minister loben ein Wohnungsbauprogramm, von dem Mieter in München oder Berlin jedoch nichts bemerken, und sind irritiert, dass sie für eine Kindergelderhöhung nicht gelobt werden. Verkennend, dass die Gesellschaft längst ganz andere Debatten führt und eine lebenswerte Zukunft weitaus stärker von der Klimaentwicklung abhängig macht als von ein paar Münzen mehr im Budget. Die sich über Diskriminierung erregt, während sich die CDU-Vorsitzende im Karneval über das dritte Geschlecht lustig macht.

Erneut bezieht Lamby Stellung, indem er Dinge nicht zeigt. Viele seiner Protagonisten blicken schweigend durch die Scheiben ihrer Büros. Es ist aber nicht ersichtlich, was sie dort sehen, ob sie überhaupt etwas sehen von dem, was draußen im Land vor sich geht.

Die Notregierung - Ungeliebte Koalition. Das Erste, 20.15 Uhr.

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Quelle:
SZ vom 02.12.2019
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