Doku "Adel ohne Skrupel" im Ersten:Wie die Welfen von der Arisierung profitierten

Doku "Adel ohne Skrupel"

Von den Nazis gefoltert, von den Welfen geprellt: der jüdische Wiener Unternehmer Lothar Elbogen.

(Foto: NDR/ECO Media)

Eine ARD-Doku zeigt, wie auch das Adelsgeschlecht der Welfen vom Nazi-Regime profitiert hat. Die Fakten sind grausam, überraschend sind sie nicht. Dennoch hätte der Film moralisch überzeugender gelingen können.

Von Gustav Seibt

Als die Welfen 1866 ihr Königreich Hannover an Preußen verloren, verlegten sie ihren Lebens- und Wirtschaftsschwerpunkt nach Österreich, wo sie im Exil blieben, bis einer der Ihren sich wieder mit den Hohenzollern versöhnte und 1913, kurz vor dem Toresschluss der Monarchien in Deutschland, immerhin wieder Herzog von Braunschweig und Lüneburg werden konnte; dafür hatte er eine Tochter von Kaiser Wilhelm II. geheiratet. Dieser Herzog hieß Ernst August - wie sein Sohn und heute sein Enkel: Letzterer ist als "Prügelprinz" boulevardbekannt.

Österreich blieb aber ein wichtiger Standort der uradeligen Familie. Nach dem "Anschluss" im Jahr 1938 taten die Welfen in Österreich dasselbe wie die überwältigende Mehrheit der deutschen und österreichischen Unternehmer: Sie profitierten ausgiebig vom Regime.

Erstens nahmen sie günstige Gelegenheiten zu "Arisierungen" wahr, wie es im Kleinen auch eine übergroße Zahl der deutschen Volksgenossen tat, die den mobilen und immobilen Besitz ihrer verjagten und ermordeten jüdischen Nachbarn günstig erwarben.

Zweitens profitierten die Welfen in Österreich von Aufträgen des Regimes in der Rüstung, und dabei kamen, wie in Tausenden deutscher Betriebe, Zwangsarbeiter zum Einsatz, teils aus den KZs, teils aus den besetzten Gebieten Europas, unter überwiegend unmenschlichen Umständen.

Das zeigt eine filmische Recherche von Michael Wech und Thomas Schuhbauer, die überzeugender wäre, wenn sie die gut erforschten Zeitumstände gelegentlich aufscheinen ließe - nicht zur Entlastung, sondern um dem albernen Affekt vorzubeugen, schuldig seien vor allem die "anderen" (hier der Adel, sonst beliebige andere Gruppen).

Die Volksgemeinschaft konnte zuschauen

Götz Alys Monitum "Niemand ist auf der sicheren Seite" hätte den Film von falschem Tremolo entlastet und seine grausamen Fakten kühler zur Geltung gebracht. Denn auch die Nähe großer Teile des deutschen Adels und Hochadels zum Nationalsozialismus, teilweise schon vor 1933, ist seit einer Studie des Historikers Stephan Malinowski aus dem Jahr 2003 hinlänglich bekannt.

Im Übrigen liegt das einzige bis heute erhaltene, inzwischen zur Gedenkstätte gewordene Zwangsarbeiterlager in Berlin-Schöneweide inmitten eines Wohngebiets, wo es von Dutzenden Balkonen bequem einsehbar war. Schöneweide ist ein Arbeiterbezirk; die Volksgemeinschaft konnte zuschauen.

Und sie war ja auch der Hauptprofiteur der Zwangsarbeit, nicht nur in Rüstungsbetrieben, sondern auch in der Landwirtschaft und bei der Konsumgüterzeugung. Das macht um keinen Deut besser, was dieser Film zeigt: Der letzte Herzog von Braunschweig-Lüneburg kaufte von dem jüdischen Wiener Unternehmer Lothar Elbogen 1938 nach Haft und Folter durchs Regime ein Kaliwerk für die Hälfte des Verkehrswertes; außerdem erwarb er ähnlich günstig das Bau-Unternehmen Porr AG, beteiligte sich zudem an der Rüstungsfirma FMW in Wels, die Flugzeuge für die Wehrmacht reparierte und kurz vor Kriegsende noch ein Düsenflugzeug mitproduzierte, das als "Wunderwaffe" in Stollen bei Gusen fabriziert wurde, an deren Errichtung wiederum die Porr AG mitverdiente.

Nicht zwangsläufig herausragend gebildet

Das war unmenschlicher Alltag im Großdeutschen Reich. Die Welfen heute zeigen, jedenfalls in Gestalt des ausführlich zu Wort kommenden Prinzen Heinrich, ein eher unterdurchschnittliches Wissen und Bewusstsein von diesen gut bekannten Zeitumständen - je nun, Adel ist nicht zwangsläufig herausragend gebildet.

Da sind Vermutungen zum millionenschweren Verkauf des "Evangeliars Heinrichs des Löwen" 1983 (das Buch hatte bis in die Nachkriegszeit den Welfen gehört) bestenfalls ein pikanter Nachtrag: Wurden deutsche Steuergelder für "deutsches Kulturgut" über Gebühr in Anspruch genommen? Dafür spricht einiges.

Der Film wäre moralisch überzeugender, wenn er erläutert hätte, dass die deutsche Staatskasse und Zehntausende deutscher Familien, also wir alle, bis heute von zahlreichen Arisierungen profitieren - und nicht nur die wenig sympathischen Nachkommen der ältesten deutschen Dynastie. Deutsche Fürsten waren Teil der Volksgemeinschaft - ist das im Ernst eine Überraschung?

Adel ohne Skrupel, ARD, 23 Uhr.

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