"Disney Plus"-Start:Das Imperium macht Ernst

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"Baby Yoda" - eines der großen Verkaufsargumente von Disney Plus. (Foto: dpa)

Disney Plus startet am Dienstag. Mit dem Mediengiganten wird das Streaming noch komplizierter.

Von Nicolas Freund

Es werden immer mehr: Netflix, Amazon Prime Video, Apple+, Sky, Mubi - und nun auch noch Disney Plus, das am Dienstag in Deutschland startet. Nie hatte man als Zuschauer eine größere Auswahl an Inhalten, nie zuvor sind so viele Filme und Serien produziert worden, die auch noch dazu auf jedem Computer oder Smartphone praktisch überall auf der Welt abrufbar sind.

Und auch wenn wegen der Corona-Pandemie viele Filmdrehs derzeit unterbrochen sind, werden in Zukunft wohl noch mehr Inhalte produziert werden. Denn fast jeder dieser vielen Streamingdienste möchte exklusive Inhalte bieten, um sich von der Konkurrenz abzusetzen. Das geht am besten, indem selbst gedreht und nicht nur eingekauft wird. Mehr Dienste bedeutet daher mehr Filme und Serien für den Zuschauer. Klingt zunächst super, wird aber für den Nutzer schnell unpraktisch - und teuer.

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Was, wann, wo läuft im Blick zu behalten erfordert inzwischen einen nicht unerheblichen Aufwand. Wer zum Beispiel bei Star Trek auf dem Laufenden bleiben möchte, muss schon mindestens zwei Dienste abonnieren, denn Discovery läuft in Deutschland bei Netflix, Picard aber bei Amazon. Ähnlich bei The Walking Dead: Das Original läuft in Deutschland bei Sky, das Spin-Off aber wieder bei Amazon. Alles anschauen geht sowieso nicht, aber mit einem Abo ist auch schon lange nicht mehr getan. Das Abo wird immer mehr zur Wette darauf, bei welchem Anbieter wohl der nächste Serienhit zu erwarten ist. Denn ständig wechseln nervt und einfach alles abonnieren ist für die meisten Zuschauer auch keine Option.

Ein Abo aller oben genannten Dienste würde nämlich ungefähr 80 Euro im Monat kosten, dazu kommt in Deutschland der Rundfunkbeitrag. Disney Plus ist da mit 6,99 Euro im Monat vergleichsweise günstig. Wer sich aber möglichst alle Optionen offenhalten möchte, müsste aber trotzdem fast 100 Euro pro Monat für Fernsehen/Streaming ausgeben. Der Zuschauer wird immer mehr zu Goethes Zauberlehrling: In der Verfilmung der Ballade in Disneys "Fantasia" lässt Mickey Maus einen verzauberten Besen für sich Wasser aus dem Brunnen holen. Der eifrige Besen ist aber bald nicht mehr zu bremsen, selbst als die verzweifelte Maus ihn mit der Axt zerschlägt, vervielfältigt er sich nur immer weiter und bald hat eine Armee von Besen das ganze Haus unter Wasser gesetzt. "Die ich rief die Geister/werd ich nun nicht los", heißt es beim alten Goethe. Diese praktischen Streamingdienste - werden es langsam nicht doch zu viele?

Es ist unwahrscheinlich, dass Disney seine neuen Filme direkt als Stream veröffentlichen wird

Der neueste Besen im Haus ist nun also Disney Plus. Und er könnte die ganze Branche verändern. Denn zu Disney gehören inzwischen die größten Unterhaltungs-Franchises der Welt, nämlich Star Wars und die Superhelden von Marvel, dazu die Dokumentationen von National Geographic und Teile von 21st Century Fox. Auch die Simpsons und Avatar werden deshalb zum Start bei dem Streamingdienst zu sehen sein. Disney ist damit nicht weniger als das mächtigste Medienunternehmen der Welt.

Ob am Ende Fans von Disney, Star Wars und Marvel wirklich nur noch den einen Dienst brauchen, bleibt aber abzuwarten. Einerseits wird hier gebündelt, andererseits weiter aufgesplittet. Zum Start von Disney Plus im vergangenen Herbst in den USA waren die neusten Star-Wars-Filme Solo und Die letzten Jedi eben gerade nicht verfügbar, sondern noch wochenlang bei Netflix zu sehen gewesen. Das wirkte besonders eigenartig, da der neue Streamingdienst zum Beispiel in New York schon Monate vorher flächendeckend mit der neuen Star-Wars-Serie The Mandalorian beworben wurde.

Zum Start in Deutschland sollen die beiden Filme anders als in den USA verfügbar sein, die neueste Episode Der Aufstieg Skywalkers gibt es auch bei Disney Plus aber erst im Lauf des Jahres zu sehen. Die von Netflix produzierte Marvel-Serien werden dagegen wohl nicht den Anbieter wechseln. Wer Daredevil, Jessica Jones und The Punisher und ihre Ableger sehen will, braucht nach wie vor ein Netflix-Abo. Auch werden natürlich viele Filme von Disney, Marvel und Star Wars zuerst ins Kino kommen. Es ist unwahrscheinlich, dass Disney bei dem vergleichsweise niedrigen Abopreis seine Filme direkt als Stream veröffentlichen wird, höchstens in einigen Ausnahmen als Marketingaktion. Denn besonders Superhelden- und Kinderfilme funktionieren noch an den Kinokassen. Netflix dagegen zeigt seine großen Filme oft direkt oder sehr schnell als Stream mit nur einer kurzen oder gar keiner Kinoauswertung.

Das zeigt schon, dass sich der Konkurrenzkampf der Streamingdienste wohl vor allem zwischen Netflix und Disney entscheiden wird. Amazon Prime Video und Apple Plus funktionieren anders, sie sind eigentlich nur ergänzende Produkte für das Kerngeschäft ihrer jeweiligen Unternehmen. Prime Video soll Abonnenten werben, die dann möglichst auch andere Amazon-Dienste nutzen und Waren bestellen. Apple verdient sein Geld vor allem mit dem Verkauf von Geräten wie dem iPhone, der eigene Streamingdienst ist ein weiteres Kaufargument für interessierte Kunden, aber für das Unternehmen nicht entscheidend.

Auch Disney hat durch den Verkauf von Merchandise und seine Kinofilme noch andere Umsatzbereiche. Entscheidend wird der Streamingsektor in Zukunft trotzdem sein, gerade jetzt, wenn die ohnehin schon oft unberechenbare Auswertung von Filmen im Kino nun durch den Corona-Ausbruch zeitweise ganz stillgelegt wurde.

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Disney Plus soll seit dem US-Start mehr als 28 Millionen Nutzer gewonnen haben. Netflix hat zum Vergleich knapp 170 Millionen zahlende Abonnenten und gilt als der Inbegriff des Streamingdienstes. Eine Million Kunden soll laut Schätzungen Netflix der Start von Disney Plus in den USA gekostet haben, bis Ende des Jahres rechneten Experten mit potentiell 60 Millionen Disney Plus-Abonnenten. Der Konzern selbst peilt nach eigener Aussage 90 Millionen Abonnenten bis Ende 2024 an. In diesem Jahr soll eine Milliarde Dollar in Eigenproduktionen investiert werden, bis 2024 soll der Betrag auf 2,5 Milliarden Dollar ansteigen. Klingt erstmal viel, aber Netflix soll 2019 laut Schätzungen 15 Milliarden Dollar für eigene Inhalte ausgegeben haben. Dafür kommen bei Disney noch die Kinoproduktionen dazu.

Für Nutzer könnte dieser Konkurrenzkampf Auswirkungen auf die in Zukunft produzierten Inhalte haben. Netflix versuchte zuletzt, etablierte Hollywood-Regisseure wie Martin Scorsese für Produktionen zu gewinnen, die sich an ein erwachsenes und filmaffines Publikum richten. Disney setzt dagegen derzeit noch voll auf Kinderfilme und Blockbuster mit Superhelden oder Raumschiffen. Eigentlich ein guter Ansatz zur Koexistenz - es ist aber anzunehmen, dass beide versuchen werden, dem Konkurrenten Marktanteile abzujagen. Und dass deshalb vor allem die Superhelden- und Raumschiffdichte noch zunehmen wird - oder dass Disney versuchen muss, auch Inhalte für andere Zielgruppen zu produzieren. Geplant sein sollen, wie bei Netflix, auch regionale Disney-Inhalte. Ein Team soll bereits daran arbeiten, Details sind aber noch keine bekannt. Sollte da ein deutscher Superheld auf uns zukommen?

Der Start in Frankreich wurde um zwei Wochen verschoben, um das Internet nicht zu belasten

Nun muss Disney Plus aber zuerst außerhalb der USA den Start schaffen. Um das Internet in der Corona-Krise nicht weiter zu belasten, wurde der Start in Frankreich schon um zwei Wochen nach hinten verschoben. Das dürfte dem programmierten Erfolg aber keinen Abbruch tun: Das Programm von Disney Plus ist, was Blockbuster und Kinderfilme angeht, natürlich einsame Weltklasse. Großen Spaß machte es in der US-Version und der Journalisten vorab zur Verfügung gestellten Testversion, in den alten, oft nicht mehr einfach aufzutreibenden Disney-Filmen zu stöbern. Andererseits hat man die dann auch schnell angesehen. Entscheidend für Disney Plus werden die neuen Inhalte sein, wenn der Streamingdienst nicht nur ein Kinderbeschäftigungsprogramm sein möchte.

Denn nicht überall auf der Welt ist das Bezahlen für Fernsehen so verbreitet wie in den Vereinigten Staaten. In Deutschland ist die Skepsis trotz Netflix nach wie vor groß. Dazu kamen Beschwerden zum US-Start. Bei manchen Inhalten wurde das Bildformat geändert, bei anderen aber nicht: Die Simpsons, die eigentlich im klassischen Fernsehformat mit einem Seitenverhältnis von 4:3 ausgestrahlt wurden, sind bei Disney Plus im breiteren Kinoformat zu sehen, weshalb ein Teil des Bildes abgeschnitten ist und manche Witze nicht mehr funktionieren. Bei anderen, alten Filmen wie Fantasia von 1940 wurde dagegen das fast quadratische Bildformat beibehalten. Letzterer hat zudem einen Hinweis bekommen, dass manche seiner kulturellen Darstellungen veraltet sein könnten. Gemeint ist in diesem Fall vermutlich eine Gruppe tanzender Pilze, die mit Schlitzaugen und breiten Hüten wie rassistische Karikaturen von Chinesen aussehen. Eigenartigerweise haben aber nicht alle Disney-Produktionen, denen man kulturelle Stereotypisierungen unterstellen könnte, diesen Hinweis verpasst bekommen.

Für Disney Plus ist das gar kein so kleines Problem, denn im Gegensatz zu den meisten anderen Streamingdiensten, die einen kleinen Satz von Eigenproduktionen mit vielen wechselnden, eingekauften Inhalten vorhalten, hat Disney einen sehr großen, aber starren Stehsatz an Inhalten, zu denen Neuproduktionen und ein paar eingekaufte Inhalte dazukommen sollen. Im Prinzip bietet Disney nun seine Filme nicht nur zum Kauf, sondern auch zum Abonnieren an. So steht Disney Plus für einen generellen Trend: Inhalte werden nicht mehr wie früher auf DVDs, CDs und Videos gekauft, sondern gemietet. Das sichert konstante Einnahmen bei den Anbietern und spart das DVD-Regal beim Nutzer. Der muss sich nur noch entscheiden, welcher Besen für ihn der richtige ist. Und wann er genug davon hat.

© SZ vom 23.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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