Diskussion über Snowden und NSA bei Anne Will:Austausch der Totschlagargumente

Renate Künast und Sigmar Gabriel

Renate Künast und Sigmar Gabriel im ARD-Talk von Anne Will

(Foto: NDR/Wolfgang Borrs)

In der Diskussion über die Datensammelwut der NSA hätten Gabriel und Künast nur auf die USA eindreschen müssen. Doch am Ende müssen sie sich selbst verteidigen. Und ein Teilnehmer hat eine besonders undankbare Rolle.

Eine TV-Kritik von Benjamin Romberg

Ob Edward Snowden im Transitbereich des Moskauer Flughafens Scheremetjewo einen Fernseher zur Verfügung hat? Schon möglich. Ob er sich darauf deutsche Talkshows ansieht? Wohl eher nicht. Ansonsten wäre er wohl ziemlich verwundert gewesen, wenn er am Mittwochabend die Diskussion bei Anne Will verfolgt hätte. Darüber, wie es die Runde geschafft hat, völlig vom eigentlichen Thema abzukommen. Und vor allem darüber, wie es die Politiker hinbekommen haben, bei einer für sie eigentlich dankbaren Diskussion selbst in die Defensive zu geraten. "Deutschland bespitzeln, Snowden verfolgen - sind diese Amerikaner noch unsere Freunde?" So lautete der Titel der Sendung.

Am Wochenende war bekannt geworden, dass der US-Nachrichtendienst NSA monatlich eine halbe Milliarde Kommunikationsdaten in Deutschland sammelt. Ein Großteil der Telefon- und Internetverbindungen wird nach Informationen des Spiegels systematisch überwacht. Zudem soll der Geheimdienst EU-Gebäude verwanzt haben.

Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel, Grünen-Fraktionschefin Renate Künast und Michael Grosse-Brömer, Parlamentarischer Geschäftsführer der Union, hätten also eigentlich nur auf die Amerikaner eindreschen müssen. Die undankbare Rolle, diese zu verteidigen, kam dem Politikberater Andrew B. Denison zu, einem "überzeugten Transatlantiker". Ihm zur Seite gestellt war der Historiker und Welt-Chefkorrespondent Michael Stürmer. Als Expertin ist Netzaktivistin Constanze Kurz geladen, die sich im Chaos Computer Club engagiert.

Zweikampf: Denison und Gabriel

Schnell entwickelt sich ein Zweikampf zwischen Denison und Gabriel, in den sich Künast und Stürmer hin und wieder einmischen. Denison versucht es zunächst mit Verharmlosung: "Snowden hat Geheimnisse verraten, die meiner Meinung nach legal sind." Und Beweise habe er auch noch nicht gesehen. Gabriel versucht Denison nicht zum letzten Mal an diesem Abend klarzumachen, dass die Sammelwut der NSA in Deutschland sehr wohl strafbar ist. Eine Missachtung von Artikel 10 des Grundgesetzes, dem Briefgeheimnis.

Denisons zweiter Versuch der Verharmlosung: "Man hat schon immer Daten gesammelt." Deshalb dürfe niemand überrascht sein, sagt der Amerikaner. Historiker Stürmer pflichtet ihm bei. Früher habe es das auch alles schon gegeben - und das meiste von dem, was nun an Daten gesammelt werde, sei ohnehin "banal". Außerdem findet er: Die Chinesen, die seien doch mindestens genauso schlimm, was Spionage betreffe.

Genau hier liegt das Problem: Chinesische Spitzelaktionen rufen, wenn sie bekannt werden, empörte Reaktionen in den USA und in Europa hervor. Jetzt aber, da die USA zum Täter werden, verhält sich die Bundesregierung auffallend ruhig. Zu ruhig, finden viele.

Deshalb fordert Künast ein parlamentarisches Kontrollgremium. "Es sollen nicht zwei Geheimdienste miteinander reden", sagt sie, "so ein ungeheuerlicher Vorwurf darf nicht im Geheimen geklärt werden". Der Chef der US-Geheimdienste, James Clapper, hatte Anfang der Woche erklärt, er werde Geheimdienstaktivitäten nicht öffentlich kommentieren, sondern die Sache mit der EU über "diplomatische Kanäle" besprechen.

Gabriel hält deutschen Zeugenschutz für Snowden für möglich

Der historische Vergleich, den Denison und Stürmer bemühen, hinkt ebenfalls. Früher wurden auch schon Daten gesammelt? Das mag sein. Aber macht es das besser? Und vor allem: Gibt es da nicht einen Unterschied? "Frau Kurz, vielleicht helfen Sie uns da mal", sagt Anne Will. Frau Kurz hilft. Sie erklärt, dass sich etwas erheblich verändert habe im Vergleich zu früher: die Möglichkeiten zur technologischen Verarbeitung der Daten. Geheimdienste müssen keine Textschnipsel aus Briefen mehr zusammenfügen, sie können mit vergleichsweise geringem Aufwand umfassende Profile von Menschen erstellen. Soziale Netzwerke, Suchmaschinen, geografische Daten auf Mobiltelefonen - Geheimdienste hatten es schon mal schwerer. Kurz fügt noch an: "Ich muss mich nicht dafür rechtfertigen, Privatsphäre haben zu wollen."

Denison muss gemerkt haben, dass er eine schwierige Rolle an diesem Abend hat. Doch er hat noch ein "Totschlagargument", wie Gabriel es nennt: der Kampf gegen den Terror, 9/11. Er bezeichnet die NSA als "Virenschutzprogramm der USA". Als solches dürfe der Geheimdienst Gesetze anderer Länder brechen und so viele Daten sammeln, wie er eben brauche. "An dem Tag, an dem hier ein Attentat kommt und Menschen sterben", würde Deutschland seine Meinung schon ändern, prophezeit Denison.

An dieser Stelle wird deutlich, wo der entscheidende Unterschied zwischen den USA und Deutschland liegt: Beim Zielkonflikt Sicherheit gegen Freiheit sind die Prioritäten verschieden. Netzaktivistin Kurz merkt allerdings an: "Man muss mal sagen, dass auch die Amerikaner das als Skandal empfinden."

Denison hält sich in der zweiten Hälfte der Sendung zurück, nun kommt der angenehmere Teil für ihn, die deutschen Politiker müssen sich verteidigen. Wieder einmal sagt Will: "Frau Kurz, helfen Sie uns!" Frau Kurz hilft. Sie spricht von einer "kognitiven Dissonanz" in der Politik, von Vorratsdatenspeicherung, Bestandsdatenauskunft. "Wir müssen vor unserer eigenen Tür kehren", sagt Kurz. Was sie meint: Die deutschen Politiker sollen nicht mit dem Finger auf die USA zeigen, weil es bezüglich des Datenschutzes auch in Deutschland genug zu tun gebe.

Die "richtigen" Ganoven

Gabriel und CDU-Politiker Grosse-Brömer verteidigen die Vorratsdatenspeicherung, die das Aufbewahren von Telefondaten für drei Monate ermöglicht, damit Ermittlungsbehörden im Bedarfsfall darauf zugreifen können. "Und wer kontrolliert, dass die Daten danach auch wirklich gelöscht werden?", will Denison wissen. Rollentausch. Darüber will Gabriel nicht diskutieren. Er spricht lieber über Zahlen: "Bei der Vorratsdatenspeicherung werden 5000 Daten in einem Monat gesammelt - bei der NSA sind es 500 Millionen Daten in einem Monat." Außerdem müsse man "richtige Ganoven" erwischen können. Das sei nun wiederum ein "Totschlagargument" von Gabriel, findet Kurz. Zu Recht. "Wir müssen aufhören, Berge von Daten zu sammeln - egal, ob es Grenzen dafür gibt", sagt sie.

Was der Skandal nun für die Beziehung zu den USA bedeutet, darum ging es an diesem Abend nicht. Auch über Edward Snowden sprechen die Anwesenden nur kurz. Wo soll er hin? Nach Deutschland? Grosse-Brömer stellt noch einmal die Haltung der Bundesregierung klar: "Anspruch auf Asyl besteht nicht, da gibt es klare gesetzliche Grundlagen." Snowden hatte Asyl in Deutschland beantragt, wie am Dienstag bekannt geworden war - doch Bundesinnenministerium und Auswärtiges Amt verweigerten die Aufnahme des ehemaligen Geheimdienstmitarbeiters.

Die Grünen wollen Snowden in Deutschland Zuflucht gewähren, betonte Künast noch einmal. Von der SPD-Spitze war bislang keine eindeutige Äußerung zu hören gewesen - umso gespannter wurde die Antwort des SPD-Vorsitzenden Gabriel erwartet. Der äußerte sich vorsichtig über die Möglichkeit, Snowden in ein Zeugenschutzprogramm aufzunehmen. Allerdings müsse dafür erst die Bundesanwaltschaft nach Moskau reisen und ihn befragen. "Dann muss man sehen, was Snowden weiß", so Gabriel. Einen solchen Besuch müssten aber zunächst die russischen Behörden genehmigen.

Große Hoffnungen wird sich Snowden wohl nicht machen, was das betrifft. Er wird die Sendung, sollte er sie doch gesehen haben, nicht verstanden haben. Und das liegt nicht nur an der Sprachbarriere.

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