Jobportal "Linkedin":Von der Lebenslauf-Kartei zum Newsfeed

Lesezeit: 4 min

Linkedin ist mit 645 Millionen Mitgliedern auch eine Konkurrenz für Facebook. (Foto: Jens Büttner/dpa)
  • Linkedin ist für 645 Millionen Mitgliedern eine Kartei für Lebensläufe und ein Portal zum Vernetzen.
  • Nun kuratiert eine kleine Redaktion auch Nachrichten für ihre Nutzer - und tritt damit in Konkurrenz zu anderen sozialen Netzwerken.
  • Auch Amazon, Apple und Facebook investieren in Journalismus und werben damit Journalisten von Medienhäusern ab.

Von Adrian Lobe

Die amerikanische Karriereplattform Linkedin ist in den vergangenen Jahren im Windschatten von Facebook zu einem der größten sozialen Netzwerke avanciert. 645 Millionen Mitglieder zählt sie heute. Die Nutzer sehen dort nicht nur geschäftliche Aktivitäten ihrer Kontakte, sondern auch Artikel, die im Netzwerk favorisiert oder kommentiert wurden. Die Reihenfolge, in der all das beim Nutzer angezeigt wird, ist ähnlich wie bei Facebook von einem Algorithmus sortiert - maßgeschneidert, sozusagen.

Die Kombination von Artikeln und Stellenanzeigen ist eigentlich das klassische Geschäftsmodell von Zeitungen. Linkedin hat es adaptiert - und für sich optimiert. 2011 hat die Plattform eine kleine Redaktion aufgebaut, die mit dem Kuratieren des Feeds betraut wurde. Für den in einem Tech-Konzern eher unüblichen Posten eines Chefredakteurs wurde Daniel Roth eingesetzt, ein erfahrener Printjournalist, der zuvor beim Magazin Forbes arbeitete. Noch im selben Jahr lancierte die Karriereplattform den Dienst Linkedin Today, eine auf individuelle Bedürfnisse zugeschnittene Nachrichtenauslese.

Nach welchen Kriterien sich die dort erstellte Digitalzeitung zusammensetzt, wird geheim gehalten. Chefredakteur Roth sagte dem Portal Business Insider nur so viel: "Über die Geschichten, die ein kleines bisschen Feuer in sich tragen, gießen wir noch ein bisschen Öl." Das Konzept scheint aufzugehen: Das "Engagement", die Kennzahl im Geschäft sozialer Netzwerke, ist seit dem Start rasant gestiegen. Da das Netzwerk in aller Regel die Jobposition seiner Nutzer kennt, kann es auch berufsgruppen- oder unternehmensspezifische Nachrichten zuordnen. So wurden etwa mit Hilfe eines Generators automatisiert Meldungen über die Insolvenz des Reiseveranstalters Thomas Cook an alle auf Linkedin registrierten Mitarbeiter verschickt. Die Plattform wurde so zu einer Art informellem Intranet. Ergänzt wird das Angebot von wöchentlichen Podcasts und Newslettern der Linkedin-Redaktion.

Apple, Amazon und Facebook: Alle investieren in Journalismus

Es ist nicht das einzige Technologieunternehmen, das in Journalismus investiert. Apple hat einen eigenen Newsroom unter der Leitung der Magazinjournalistin Lauren Kern (sie war zuvor beim New York Times Magazine) aufgebaut, um digitale Kanäle mit Inhalten zu bespielen. Amazon Tochterunternehmen Ring hat für seine App "Neighbors" - einer Mischung aus digitaler Bürgerwehr und sozialem Netzwerk, in dem Mitglieder Fotos und Videos von Einbrüchen und Paketdiebstählen teilen - einen Redakteur angeheuert. Und Facebook plant, für sein Nachrichtenfeature "News Tab" zehn Journalisten einzustellen. Dass Facebook dabei auch Inhalte der rechten Nachrichtenseite "Breitbart" einkauft, trug dem Konzern heftige Kritik ein.

Nic Newman, Journalismusforscher am Reuters Institute for the Study of Journalism, bewertet die Initiativen der Konzerne unterschiedlich. Während Apple mit seinem Streamingdienst Apple TV Plus und dem Nachrichtendienst Apple News Plus nach alternativen Erlösquellen für die rückläufigen Smartphone-Verkäufe suche, gehe es Facebook vor allem um Imagepflege.

Nachdem bekannt wurde, dass Facebook im August 2016, wenige Wochen vor der US-Präsidentschaftswahl, sein Team für Trending News entlassen hatte und infolgedessen auch automatisiert Falschnachrichten in das Modul eingespeist wurden, geriet das Unternehmen unter Druck. Offenbar hat das Management nun eingesehen, dass wichtige Meldungen verlässlicher von Menschen statt von Maschinen ausgewählt werden.

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Nur: Der Konzern verfolgt damit natürlich - anders als klassische Medienhäuser - die Strategie, mit Nachrichten ein attraktives Werbeumfeld zu schaffen. Daher finanziert der Konzern lokaljournalistische Projekte mit 300 Millionen Dollar und wildert dabei auch im Personalpool von Verlagen. So warb Facebook Deutschland den Geschäftsführer von Spiegel Online und Verlagsleiter im Spiegel Verlag, Jesper Doub, sowie den früheren Social-Media-Chef des Spiegel, Torsten Beeck, ab, die sich nun um Medienpartnerschaften des Konzerns kümmern.

Ziel: Die Nutzer sollen immer wieder zurückkehren

Das Karriereportal Linkedin, das seit 2016 zu Microsoft gehört, war zu Beginn eine lieblos arrangierte Kartei von Lebensläufen. Mit Nachrichten schafft die Plattform für seine Nutzer einen Anreiz, auf die Plattform zurückzukommen - und gleichzeitig einen Hebel, diese Inhalte etwa durch Premiummitgliedschaften oder Events zu Geld zu machen. Im Gegensatz zu Facebook oder Twitter will Linkedin seine Nutzer nicht so lange wie möglich auf der Plattform halten, sondern dafür sorgen, dass sie immer wieder zurückkehren.

"Wir leiten die gesamten Besucherströme wieder heraus, weil wir die Leute nicht auf Linkedin halten wollen", sagte Chefredakteur Roth. Wie ein Sprecher CNN Business mitteilte, ist die Frequenz, mit der Nutzer auf die Plattform zurückkehren, in einem Intervall von 30 Minuten um 27 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. Ein wichtiger Grund: Nachrichten.

Linkedin organisiert diese nicht über einen Newsroom, wie in Redaktionen üblich, sondern über einen Pool vernetzter Kuratoren. Isabelle Roughol, zuvor bei der französischen Zeitung Le Figaro, leitete etwa bis 2018 von London aus den Ausbau des internationalen Teams. Es umfasst derzeit 65 Redakteurinnen und Redakteure sowie Dependancen in Australien, Brasilien, Deutschland, Frankreich, Singapur und Spanien. In den USA, wo Linkedin Redaktionsbüros in San Francisco und New York hat, arbeiten rund zwanzig Journalisten. Im Oktober 2018 trat mit Jessi Hempel vom Magazin Wired eine weitere renommierte Journalistin in die Redaktion ein.

Chefredakteur Roth, der einmal als "mächtigster Wirtschaftsjournalist im Internet" bezeichnet wurde, will das Team weiter vergrößern. Wo traditionelle Medienhäuser Stellen abbauen, stellen finanzkräftige Unternehmen aus dem Silicon Valley neue Journalisten ein. Die Pointe ist, dass Konzerne in erster Linie nicht selbst journalistischen Inhalte produzieren, sondern diese vor allem verbreiten.

Linkedin will verstärkt journalistische Inhalte auf seine Plattform holen und nicht mehr bloß eine Datenbank für Lebensläufe sein. "Das Gros der Arbeit besteht darin, Inhalte zu kuratieren und die Linkedin-Mitglieder zu überzeugen, interessante Sachen dort und nicht auf der Plattform Medium oder Facebook zu posten", erklärt Medienforscher Newman. In den Podcasts und Newslettern, die Linkedin produziert, erwachse für die Verlage zwar Konkurrenz. Eine Bedrohung für das Geschäftsmodell sei das aber noch nicht, so Newman. "Ich sehe nicht, dass es negative wirtschaftliche Auswirkungen auf den Umsatz der Verlage hat."

© SZ vom 25.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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