Süddeutsche Zeitung

Digitalprojekt:Sie haben eine neue Nachricht von Kurt Eisner

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Bayern vor dem Umsturz: Die Revolution von 1918 kann man nun in Echtzeit über Whatsapp-Nachrichten und Insta-Posts miterleben. Mit 100 Jahren Verspätung zwar, dafür mit aktuellen Bezügen.

Von Stefan Fischer

In Bayern regiert ein König. Aber es läuft nicht gut für den König. Rasant verliert er an Rückhalt in der Bevölkerung, die seine Bedenkenlosigkeit und seine Arroganz zunehmend satt hat. Es ist unübersehbar: In Bayern ist die Zeit der Monarchendämmerung angebrochen. Neue Leute drängen in die politische Verantwortung.

Zwar überstrapaziert der Bayerische Rundfunk die oberflächliche Parallele der Ereignisse nicht. Aber es spielt der Kulturwelle Bayern 2 bei ihrem Digitalprojekt Ich, Eisner! durchaus in die Karten, dass auch der 14. Oktober 2018 womöglich der Beginn einer politischen Wende im Freistaat ist, wie dies hundert Jahre zuvor der 14. Oktober 1918 definitiv war. Damals ist Eisner aus dem Gefängnis in München-Stadelheim entlassen worden, wo er inhaftiert gewesen war, weil er einen Streik von Munitionsarbeitern organisiert hatte.

Keinen Monat später war er der erste Ministerpräsident des von ihm selbst ausgerufenen Freistaats Bayern. Ein weiteres Vierteljahr später war der Revolutionär tot, erschossen von einem antisemitischen Nationalisten. Mit den aktuellen Möglichkeiten berichtet Ich, Eisner! von dieser politisch extrem bewegten Zeit, aus der eben doch Brücken in die Gegenwart führen: Damals wie heute ging und geht es nicht zuletzt auch um Fake News, bürgerlichen Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit.

Wer sich im Netz unter br.de/icheisner anmeldet, bekommt seit Sonntag über die Messenger-Dienste Whatsapp und Instagram Texte, Bilder, Videos sowie Sprachnachrichten eines Kurt-Eisner-Alias. Bis zum 21. Februar, Eisners 100. Todestag, wird man in simulierter Echtzeit über die historischen Ereignisse informiert - aus der Sicht jenes Mannes, der den Umsturz bewirkt hat und in dessen kurzer Amtszeit das Land modernisiert worden ist: Das Frauenwahlrecht, der Acht-Stunden-Tag und Kündigungsfristen wurden eingeführt, zudem Maßnahmen ergriffen gegen die grassierende Wohnungsnot.

Ich, Eisner! ist der Versuch, Erzähl- und Darstellungsformen für die digitale Gegenwart auszuprobieren. Inhaltlich so authentisch wie möglich - mehrere Partner sind eingebunden, darunter das Haus der Bayerischen Geschichte -, transformiert das Digitalprojekt die Berichterstattung in zeitgemäße Kommunikationskanäle. Der Auftakt wirkt noch etwas zögerlich, als müsste Eisner sich erst vertraut machen mit den Möglichkeiten. Sollte die Sache Fahrt aufnehmen, wäre das sogar sehr charmant. Schon jetzt jedenfalls deuten Audios und Animationen das Potenzial von Ich, Eisner! an: einen recht unmittelbaren Eindruck zu ermöglichen.

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Quelle:
SZ vom 16.10.2018
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