Süddeutsche Zeitung

Digitaler Radiostandard DAB+:Ein Selbstläufer, der keiner ist

Auf Dauer kann das Radio kein analoges Medium bleiben - dazu ändert sich das Nutzungsverhalten der Hörer zu gravierend. Doch obwohl der neue digitale Standard DAB+ bereits gesetzt ist, streiten sich Sender und Politik über eine neue Infrastruktur für den Hörfunk.

Von Stefan Fischer

"Eigentlich", sagt Franz Josef Pschierer, "müsste das ein Selbstläufer sein." Da täuscht er sich: Die Umstellung der analogen Verbreitung von Hörfunk mittels UKW auf eine digitale mit dem Standard DAB+ wird viel seit Jahren hergebetet, aber kommt nicht voran.

Dass die Politik daran auch Schuld trägt, will Pschierer, Staatssekretär im bayerischen Ministerium für Wirtschaft und Medien, Energie und Technologie, nicht gelten lassen. Es liege an den Sendern selbst, diese Angelegenheit endlich zu regeln, sagte er bei einer Podiumsdiskussion, die einen vom Bayerischen Rundfunk organisierten Digitalradio-Gipfel abschloss.

Ganz so sieht es BR-Intendant Ulrich Wilhelm nicht, und doch verglich er die vergleichsweise kleine Wende von der analogen zur digitalen Radioausstrahlung mit der viel aufwendigeren Energiewende - "und die soll in kürzerer Zeit geschafft werden". Es schwang deutlich mit, was er vom bisherigen Phlegma der Sender hält: Es sei höchste Zeit, endlich Fakten zu schaffen.

Es ging in München um eine Debatte, die seit Jahren geführt wird - es geht um die Frage, wann viele Millionen UKW-Radios verschrottet werden für eine Technologie, die auf dem Wunschzettel von Sendern und Politik steht. DAB+ ist der allseits gewünschte Versuch, den deutschen Radioempfang zu digitalisieren.

Die öffentlich-rechtlichen Sender bekommen für den Wandel viel Geld, und die technischen Aspekte sind inzwischen auch geklärt, aber der BR-Chef und andere wollen auch die Politik nicht aus der Pflicht entlassen. Die Digitalisierung sei nicht von ungefähr Bestandteil aller aktuellen Regierungsprogramme, wurde Pschierer auf dem Podium entgegnet. Und die Frage, wie die Kommunikations-Infrastruktur des Landes aussehen soll, gehe über das hinaus, was die Radiosender wollen.

Geeignet auch für den Polizeifunk

In Bayern soll der Versorgungsgrad 2016 schon so hoch sein wie heute bei B5 aktuell und BR Klassik mit UKW, stellte Wilhelm in Aussicht. Ein voll ausgebautes Netz kann tatsächlich für mehr genutzt werden als nur für die Verbreitung von Radio. Der Polizeifunk könnte dorthin verlagert werden, auch die Verkehrslenkung ließe sich damit steuern. Im Katastrophenfall ist dieses Netz stabiler als Internet oder Mobilfunknetze.

Außerdem ist es eine Infrastruktur, die nicht komplett in fremden Händen liegt. Zum Teil betreiben die Sender die DAB-Netze selbst, zum Teil sind es Provider, die über Verträge an die Sender gebunden sind. Deshalb ist DAB+ auch politisch gewollt.

Hinter vorgehaltener Hand berichten jedoch viele Entscheidungsträger in den Sendern, wie schwierig es dessen ungeachtet sei, Politiker für dieses Infrastruktur-Projekt zu interessieren.

Aus Sicht der Sender ist das Szenario klar, auch wenn besonders bei den Privatradios noch eine erhebliche Zögerlichkeit festzustellen ist, die fürchten, in der Übergangsphase einen Doppelbetrieb in beiden Technologien leisten zu müssen.

Auf Dauer aber kann das Radio kein analoges Medium bleiben, dazu verändert sich die Nutzungsverhalten der Hörer viel zu gravierend. Die Alternative zu DAB+ ist die Verbreitung über Breitband-Netze. Die möchten die Sender aber nur als Ergänzung zu DAB+ sehen. Aus zwei Gründen: Die Sender wären nicht mehr Herr über ihren Vertriebsweg. Wilhelm nennt Netzneutralität und Datenschutz als Konfliktfelder.

Das zweite sind die Kosten: Die Bayerische Landeszentrale für neue Medien, die die Privatradios vertritt, hat mit dem BR an der TU München ein Gutachten in Auftrag gegeben über einen Kostenvergleich von DAB+ mit Radio über Mobilfunk. Die Ergebnisse: Würde nach einer UKW-Abschaltung alles Radio über Internet verbreitet und ein Viertel davon über mobiles Internet konsumiert, lägen beim derzeitigen Datenvolumen und bei derzeitigen Preisen die Kosten bei mehr als 500 Millionen Euro pro Jahr - allein in Bayern. Zahlen müssten das die Hörer über ihre Mobilfunktarife. Die Kosten für eine Verbreitung mit DAB+ wären geringer als bei UKW.

"Die Bandbreite ist zu wertvoll, um sie für Broadcast zu verschwenden. Die brauchen wir für Peer-to-peer-Dienste", sagte Peter Blum, bei Audi für Infotainment verantwortlich.

Was er meint: Ein identisches Programm mit abertausend Eins-zu-Eins-Verbindungen zu verbreiten, ist unsinnig. Die Automobilindustrie ist wichtig für den Hörfunk, ein Sechstel des Radiokonsums findet im Auto statt.

Ähnlich argumentiert die Vereinigung europäischer Radiosender EBU: Sie möchte erreichen, dass EU-weit in alle Smartphones und Tablets der so genannte Eurochip eingebaut wird, mit dem DAB-Empfang möglich ist. Radio-Apps wären nicht mehr zwingend. Ulrich Wilhelm weckte Hoffnung: Was erst einmal Umsatzeinbußen für die Betreiber von Mobilfunknetzen bedeute, entlaste diese jedoch beim Ausbau der Kapazitäten, mit dem sie logistisch und finanziell ohnehin kaum hinterher kämen. Dieses Argument, so Wilhelm, verhalle nicht ungehört.

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SZ vom 13.3.2014/pak
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