Digitaler Datenschutz:Rückkehr zum Recht

Das Urteil zum "Recht auf Vergessenwerden" hält Ex-Verfassungsrichter Hoffmann-Riem für misslungen. Ein Vortrag in Karlsruhe.

Von Wolfgang Janisch

Man wagte kaum noch, darauf zu hoffen, dass sich mit Paragrafen etwas gegen datenhungrige Marktgiganten ausrichten ließe. Aber seitdem der Europäische Gerichtshof (EuGH), wie vergangenes Jahr gegen Google und diese Woche in Sachen Facebook, den Datenschutz starkmacht, kehrt vorsichtiger Optimismus zurück. Wenn ein Gericht verbindliche Regeln für den wichtigen Wirtschaftsraum Europa aufstellt, dann können sich auch Weltkonzerne nicht darüber hinwegsetzen.

Wolfgang Hoffmann-Riem, der in seiner Zeit als Verfassungsrichter einige Marksteine für den Datenschutz gesetzt hatte, ist zwar nicht sonderlich zufrieden mit der Linie des EuGH. Namentlich das Google-Urteil zum "Recht auf Vergessenwerden" hält er für misslungen. Weil Google in eigener Hoheit über die Löschung beanstandeter Links entscheide, erhalte das machtvolle Unternehmen "eine zensurähnliche Macht im Bereich öffentlicher Diskurse", sagte der am Montagabend bei einer Veranstaltung der Justizpressekonferenz Karlsruhe. Denn weder die an umfassender Information interessierte Öffentlichkeit noch der Urheber der Nachricht seien in das Löschverfahren einbezogen.

Doch ungeachtet solcher Detailkritik besteht nach Hoffmann-Riems Einschätzung Anlass, auf "rechtliche Regelungsstrukturen" zu setzen - weil der Markt es eben nicht richte. Die Internetökonomie werde vom Oligopol der "Big Five" Google, Facebook, Apple, Microsoft und Amazon dominiert, und es gebe derzeit keine Anhaltspunkte für eine Korrektur. Die Balance von Angebot und Nachfrage sei im Netz beeinträchtigt, weil der Nutzer meist nicht mit Geld, sondern mit seinen persönlichen Daten bezahle - deren ökonomischen Wert er aber nicht wirklich einschätzen könne. Jedenfalls sei es "sehr zweifelhaft", ob der Markt im Internet die Freiheit aller Marktbeteiligten gewährleisten könne.

Die Rückkehr zum Recht dürfte den Juristen allerdings mindestens so viel Kreativität abfordern wie der digitalen Avantgarde im Silicon Valley. Denn der Grundrechtsschutz, vornehmlich auf die Abwehr staatlicher Eingriffe gerichtet, reiche in der privatwirtschaftlich dominierten Internetökonomie nicht aus. Die Unternehmen diktieren den Nutzern die Bedingungen, zudem sei die Datenverwertung intransparent - das mache "individuellen Rechtsschutz in großem Ausmaße wirkungslos".

Die Konsequenz kann aus Sicht des ehemaligen Richters nur sein, dass der Staat einspringt, und zwar "zum Schutz der Funktionsfähigkeit der Kommunikationsordnung insgesamt". Ein sicheres Internet sei Teil der staatlichen "Daseinsvorsorge" - wie Trinkwasser oder Energieversorgung. Das bedeutet konkret: "wirkungsvolle Sicherungen vor unerlaubten Zugriffen". Hoffmann-Riem sieht das nicht nur als politische Forderung, sondern als verfassungsrechtlichen "Schutzauftrag", der sich etwa aus dem sogenannten Computer-Grundrecht ableiten lasse - einer Karlsruher Kreation unter maßgeblicher Mitwirkung von Hoffmann-Riem.

Nun ist der Datenschutz vor allem eine internationale Angelegenheit. Hoffmann-Riems "Schutzauftrag", den er der deutschen Regierung an die Verhandlungstische mitgeben will, mag da eher wie ein erhobener Zeigefinger wirken. Der Jurist kann sich aber durchaus Situationen vorstellen, in denen ein Gericht daraus eine durchsetzbare Pflicht macht. Nämlich dann, wenn der Staat trotz erheblicher Risiken für den Datenschutz gänzlich untätig bleibe. Die laue Reaktion der Bundesregierung auf die Massenüberwachung durch US-Geheimdienste ist gar nicht so weit davon entfernt.

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