Manche Männer wehren sich mit aller Macht gegen das Erwachsensein, sie tragen gerne zu enge, wild bedruckte Poloshirts, ballen die Fäuste und führen auf Instagram-Videos peinliche Freudentänze auf, umgeben von sehr viel jüngeren Frauen, die regelmäßig erneuert werden müssen. Nicht nur in dieser Disziplin hat es Dieter Bohlen, 67, zu wahrer Meisterschaft gebracht. Mit nölender Beharrlichkeit gibt der Musikproduzent vielen Menschen das Gefühl, dass er, anders als die von ihm komponierten Songs, möglicherweise alterslos ist; seine Fans feiern ihn für seine Respektlosigkeit.
Die meisten Männer seines Kalibers sind schon vor vielen Jahren von den Bildschirmen verschwunden, auch Thomas Gottschalk flackert nur noch gelegentlich mal in einer der fragmentierten Shows auf, die ein Schatten der großen Leuchttürme von einst sind. Nur Bohlen, der als eine Art Jury-Diktator die Casting-Sendungen Deutschland sucht den Superstar und Das Supertalent quotenmäßig am Leben hielt, blieb wie angewurzelt sitzen, und beinahe dachte man, man müsse ihn dereinst mal aus dem grell beleuchteten Studio hinaustragen.
Vielfach ausgezeichnet und oft angefeindet
Auch deshalb ist die Nachricht, dass Bohlen nun aufhört, ein ziemlicher Hammer, wie er selbst sagen würde. Der in Ostfriesland aufgewachsene, vielfach ausgezeichnete und oft angefeindete Hitkomponist und Sänger macht Platz für jüngere, frischere Gutachter in beiden Shows. Allerdings kann man davon ausgehen, dass ein Nachfolger oder, was aus Entertainment-Sicht sicher sinnvoll wäre, eine Nachfolgerin, erst einmal ein Reichweitenproblem hat. Denn Bohlen ist ganz sicher ein Supertalent darin, viel Lärm um fast nichts zu machen. Seine geschickt gestreuten Beleidigungen im Umgang mit Kandidaten und Kollegen, seine Prolo-Darbietungen auf der Bühne, auch seine Fähigkeit, mittel- bis geringbegabte Schützlinge entweder in den Himmel zu heben oder sie vor ein paar Millionen Zuschauern bloßzustellen- all das wird nicht so rasch zu ersetzen sein. Zumal Bohlen auch einige wirkliche Entdeckungen im Showgeschäft gemacht und Talenten den Weg in die Charts gebahnt hat.
Bohlen war immer das große Kind, das beim Topfschlagen den meisten Rabatz macht; den Ehrentitel als "Poptitan", verliehen von seinen Freunden bei der Bild, trug er mit Stolz. Es ist nicht ganz unwahrscheinlich, dass RTL auch ein paar Comeback-Schlupflöcher für ihn offen lässt - schließlich ist Bohlen, der als musikalischer Quälgeist von Modern Talking in den Achtzigerjahren und später als Produzent und Werbefigur märchenhaft reich geworden ist, einfach zu wertvoll.
Wahrscheinlich grinst er sich gerade eins in seiner Villa in Hamburg-Tötensen. Denn die große Zeit der Casting-Shows ist ohnehin vorbei, nicht erst seit dem Abgang des offenbar komplett entrückten DSDS-Jurors Michael Wendler stellt sich die Frage, wer so etwas noch braucht. Dieter Bohlen jedenfalls offenbar nicht.