Dokumentarfilm "Die Unbeugsamen" auf 3sat:"Macht wird als unweiblich empfunden"

Die Gruenen im Bundestag; Die Unbeugsamen

Die Fraktionssprecherinnen der Grünen 1984 im Bundestag: Heidemarie Dann, Annemarie Borgmann, Antje Vollmer, Erika Hickel, Waltraud Schoppe und Christa Nickels (von links).

(Foto: Malte Ossowski/Picture Alliance/Sven Simon /Majestic)

Der Dokumentarfilmer Torsten Körner befragt "Die Unbeugsamen": Frauen der Bonner Republik, die ihre Teilhabe an der Politik erkämpft haben - von Rita Süssmuth bis Christa Nickels. Sind wir heute weiter?

Von Anna Steinbauer

Dieser Text wurde zum Kinostart des Films 2021 erstmals veröffentlicht. Zur Free-TV-Premiere publizieren wir ihn erneut.

Herbert von Karajan dirigiert die Berliner Philharmoniker mit zackigen, autoritären Bewegungen. Zu hören ist eine bombastische Bläserpassage aus Dvoraks Symphonie Nr. 9. Alle Orchestermusiker, die man im Bild sieht, sind weiß und männlich. Dazwischen sind Aufnahmen der wichtigsten Politiker aus den ersten Jahre der Bonner Republik geschnitten - von Adenauer bis Strauß. Auch alles Männer. Bereits der Beginn von Torsten Körners Dokumentarfilm "Die Unbeugsamen" macht klar, wer in den Anfängen der Bundesrepublik Deutschland - und nicht nur in dieser Zeit - das Sagen hatte.

Doch um die Männer geht es nicht in diesem aufrüttelnden, mehr als überfälligen filmischen Streifzug durch siebzig Jahre politischer Geschichte. Körner widmet seinen Film den zahlreichen weiblichen Polit-Pionierinnen der Bonner Republik und lässt diese in historischen Archivaufnahmen und in aktuellen Interviews, die an ihren alten Wirkungsstätten geführt wurden, zu Wort kommen. Denn auch, wenn nun seit sechzehn Jahren eine Frau an der Spitze der deutschen Politik steht - der Frauenanteil im Bundestag ist nach zwanzig Jahren wieder zurückgegangen und beträgt 2021 nur noch 31 Prozent. Dieser Rückgang ist maßgeblich auf den Eintritt der AfD in den Bundestag zurückzuführen, die mit knapp über zehn Prozent den niedrigsten Frauenanteil aller Bundestagsfraktionen hat. Ein antifeministischer Backlash?

"Macht wird als unweiblich empfunden", sagt die SPD-Politikerin Renate Schmidt im Interview. Lässt man Körners Film auf sich wirken, stellt sich bald der unangenehme Gedanke ein, dass für die Frauen nicht wirklich etwas vorangeht. Sind die Kämpfe, die die Protagonistinnen auf der politischen Bühne seit Jahrzehnten ausgefochten haben, und die Fragen, die sie sich von Journalisten gefallen lassen mussten, etwa immer noch dieselben, mit denen heute die grüne Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock konfrontiert wird? Wie man Beruf und Familie vereinen könne und ob man als Frau kompetent genug sei, ein Land zu regieren? So muss etwa im Jahr 1961 Elisabeth Schwarzhaupt (CDU) als Gesundheitsministerin sehr höflich in einem Fernsehinterview erklären, dass die Anrede "Frau Ministerin" für sie von der deutschen Sprache logisch vorgegeben sei. Es gab vor ihr halt nur keine Ministerin in der Bundesrepublik.

In der Rückschau werden auch peinliche Wahrheiten aufgedeckt

In zwölf Kapiteln spannt der Film einen Bogen von den Fünfzigerjahren bis hin zur Wiedervereinigung und zeigt bewegende Momente feministischer Errungenschaften - inklusive der Kämpfe, Schwierigkeiten und Demütigungen, denen politisch aktive Frauen ausgesetzt waren. So erinnern sich "Unbeugsame" wie Ursula Männle (CSU), Christa Nickels (Die Grünen), Ingrid Matthäus-Maier (FDP/SPD), Rita Süssmuth (CDU) und die schon genannte Renate Schmidt an sexistische Übergriffe im Bundestag und an Journalisten, die sie nicht ernst nahmen, aber auch an die parteiübergreifende Solidarität der Frauen untereinander. In der Rückschau werden peinliche Wahrheiten über die wichtigsten Entscheidungsträger des Landes aufgedeckt und Misogynie auf der politischen Bühne entlarvt.

Körner verzichtet auf einen Kommentar und lässt einige beeindruckende Archivfunde für sich sprechen, dazwischen schneidet er statische Architekturaufnahmen der leeren Bonner Regierungsgebäude, die wie größenwahnsinnige Mahnmale wirken. So verfolgt man die Rede von Hildegard Hamm-Brücher (FDP), die 1982 angesichts des Misstrauensvotums zum Sturz von Helmut Schmidt gegen ihre eigene Parteiführung rebelliert und sich für Neuwahlen ausspricht, oder Waltraud Schoppes Vortrag von 1983 anlässlich der Diskussion um den umstrittenen Abtreibungsparagrafen 218, bei dem die Politikerin der Grünen sich für das Selbstbestimmungsrecht der Frau und Strafe bei Vergewaltigung in der Ehe stark macht, und daraufhin im Plenum von den männlichen Kollegen ausgelacht und als Hexe verhöhnt wird. Beschämende Zeugnisse eines tiefsitzenden Sexismus und männlichen Hegemonialgehabes angesichts kluger, schlagfertiger Kolleginnen.

"Die Unbeugsamen" zeigt all diese beeindruckend souveränen Politikerinnen und noch andere, wie Petra Kelly, in alten Ausschnitten. Das macht deutlich, dass es zu allen Zeiten mutige Frauen gab, die für ihre Meinung einstanden. Indem der Film diese feministischen Vorbilder sichtbar macht, verändert er auch die Perspektive auf historische Debatten und Ereignisse, die bis dato stark männlich geprägt sind. Andererseits ist es erschreckend zu sehen, dass auch nach so vielen Jahre Emanzipationsgeschichte bestimmte Themen immer wiederkehren: So wurde eine Art "Me Too"-Diskussion schon vor Jahrzehnten geführt, wie der Vorfall um Helga Schuchardt (FDP) zeigt, bei der ein männlicher Abgeordneter mitten im Bundestag zu ertasten versuchte, ob sie einen BH trug, weil er eine Wette in der CSU-Fraktion darüber laufen hatte. Plausibel scheint angesichts solcher Übergriffigkeit Schoppes provokante Aussage zum Nato-Doppelbeschluss: "Wir brauchen keine neuen Raketen. Wir brauchen neue Männer in diesem Land."

Dokumentarfilm "Die Unbeugsamen" auf 3sat: Christa Nickels (Die Grünen) und Ingrid Matthäus-Maier (FDP/SPD) im Gespräch in "Die Unbeugsamen".

Christa Nickels (Die Grünen) und Ingrid Matthäus-Maier (FDP/SPD) im Gespräch in "Die Unbeugsamen".

(Foto: Verleih)

Eine Kanzlerin erschien damals noch unvorstellbar, erinnert sich Christa Nickels von den Grünen: "Wenn die Wahl gewesen wäre zwischen der besten Frau von allen in den Siebzigern und einem dummen August, dann wäre der dumme August Kanzler geworden." Dennoch ist die Frau an der Spitze mit Angela Merkel Realität geworden - und vielleicht auch in anderen Bereichen ein bisschen selbstverständlicher.

"Die Unbeugsamen" schließt mit Aufnahmen der jungen Dirigentin Mirga Gražinytė-Tyla ab, die mit großem Körpereinsatz und langem, wehenden Haar das City of Birmingham Symphony Orchestra leitet. Das Orchester spielt Beethovens Leonoren-Overtüre, seine Besetzung ist weiblicher und diverser geworden. Dann sieht man, wie sich alle Interviewpartnerinnen aus dem Film zum Klassenfoto aufstellen. Ursula Männle sagt, vielleicht habe sich in einem weiteren Vierteljahrhundert die Idee der Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau endgültig in den Köpfen der Menschen verankert. Ihre Worte klingen zuversichtlich, aber ihr zögerlicher Gesichtsausdruck sagt das Gegenteil.

"Die Unbeugsamen", Mittwoch, 8. März, 3sat, 20.15 Uhr.

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