Süddeutsche Zeitung

Die "taz" zieht um:Kreuzberger Hausbesitzer

Sechs Millionen Euro hat die "taz" bei Unterstützern für ihren neuen Redaktionssitz eingeworben - ein schöner Coup. Doch spiegelt der Glasbau auch das Selbstverständnis und die Geschichte der Zeitung wider? In der Nachbarschaft sorgt der Neubau für Unmut.

Von Renate Meinhof

Auf dem Parkplatz neben dem Besselpark stehen 15 Bäume. Drei von ihnen tragen noch Laub, ein wenig stolzer, ein wenig höher als die anderen Bäume tragen sie es, vielleicht, weil sie die übrig gebliebenen sind, fast die letzten, die es am südlichen Ende der Berliner Friedrichstraße noch gehalten hat. Vielleicht auch, weil sie ihr Ableben ahnen und jetzt, im November, noch einmal alles geben wollen, sich aufbäumen sozusagen.

Philipp Ehlers steht in der Tür des Ladens, den er und seine Mutter Hendrikje betreiben, Schuhe Posh, Meisterbetrieb seit 1938. Von der Tür aus kann er die Bäume sehen. Er sagt, er glaube, die beiden größeren seien an die hundert Jahre alt, die Eiche daneben aber jünger. Sollte das stimmen, dann hätten die zwei großen die Königliche Sternwarte noch gesehen, die hier einmal stand, gebaut nach Plänen Karl Friedrich Schinkels, dann hätten sie das Gewimmel vor der Markthalle erlebt, und im Zweiten Krieg die Bomben.

Ehlers und seine Mutter, die beiden Schuhmacher aus der Hedemannstraße, freuen sich überhaupt nicht, dass hier bald ein neues Haus stehen wird, am östlichen Ende ihrer Straße. Für sie ist das Haus der Anfang eines Weges, an dessen Ende viele Unwägbarkeiten stehen. Eine davon ist die Miete. Werden die Mieten steigen, wenn hier, nahe dem Jüdischen Museum, ein "Kreativ-Viertel" entsteht, wie es der Bebauungsplan des Bezirkes vorsieht?

Schönes Signal der Zeitungslandschaft

Arm ist diese Gegend, an die 70 Prozent der Bewohner bekommen Hilfe vom Staat. Ehlers glaubt nicht, dass das neue Haus und dessen Gäste seine Umsätze und die Gegend beleben werden. Die taz-ler, sagt er mit einem zarten, fast ins Mitleid rutschenden Lächeln, seien doch so Schluffis, die eh keine ordentlichen Schuhe trügen.

Die taz baut also ein Haus. Ja, Sie haben richtig gelesen, die tageszeitung aus Berlin, die so oft schon am Abgrund stand und immer wieder von ihren Genossenschaftsmitgliedern und Lesern gerettet wurde, diese Zeitung baut ein neues Redaktionsgebäude. Das ist ein schönes Signal. Wir Zeitungen sterben nicht, im Gegenteil, wir werden noch viel lebendiger, so kann man es übersetzen. Und wie sie die Finanzierung hinbekommen hat, die taz, den Kauf des Grundstücks vom Land Berlin, das ist ein schöner Coup.

Also Karl-Heinz Ruch, der Geschäftsführer, den viele nur Kalle nennen, hat ganz ordentliche Schuhe an den Füßen. Sie tragen ihn über die hintersten Treppchen und verschwiegensten Gänge des taz-Hauses in der Rudi-Dutschke-Straße, ganz nahe dem Checkpoint Charlie. Sie tragen ihn auch rüber in die Charlottenstraße, wo die taz seit Jahren zwei große Etagen anmieten muss, weil das Stammhaus aus allen Nähten platzt. Und was, wenn hier die Mieten steigen, weil die Besitzer wechseln?

Der Platzmangel und die Mieten waren aber nur zwei der Gründe, sich nach Neuem umzusehen, sagt Ruch. Ein Haus zu bauen, nur 400 Meter vom alten entfernt, also in eine Immobilie zu investieren und so auf lange Sicht die Existenz der Zeitung zu sichern - das ist seine Idee. Darum geht es ihm, um eine "vermögensbildende Maßnahme". Dass es der taz aber gelingen würde, in weniger als drei Monaten sechs Millionen Euro zusammenzutragen, das hat selbst Karl-Heinz Ruch, der Volkswirt, kaum hoffen können, und auch Konny Gellenbeck nicht, zuständig für die Genossenschaft, die die taz seit 1992 ist. Sie hat jetzt gut 14 000 Mitglieder.

"Wir dachten natürlich, das dauert 'ne Weile, aber unser Modell war offenbar richtig für Menschen, die sich heute ganz genau überlegen, wo sie guten Gewissens ihr Geld investieren", sagt Ruch, und die Marke taz scheine da genau zu passen.

Karl-Heinz Ruch spricht gern vom "Glanz der Marke", und für den Glanz haben die taz-ler manches getan in den letzten Jahren. "Früher galten wir als ein Biotop", sagt Konny Gellenbeck, "aber mittlerweile ist ja weltweit die Diskussion im Gange, wie unabhängiger Journalismus überhaupt noch finanzierbar ist. Und wir haben das Unternehmensmodell dafür. Bei uns haben jetzt Menschen ihr Geld angelegt, die nicht mehr ausschließlich aus dem linken Spektrum kommen."

Vielleicht, weil die taz vielen Menschen längst als gemeinnützig erscheint, auch wenn sie die Zeitung gar nicht lesen. Vielleicht, weil die taz sogar "als Idee funktioniert", wie Karl-Heinz Ruch es gern sagt.

Die Finanzierung des Neubaus, den die Schweizer Architekten Piet und Wim Eckert entworfen haben, ruht auf vier Säulen. Eigenkapital der Genossenschaft ist eine davon. Dann gibt es gut drei Millionen Fördergelder. Gut sieben Millionen Euro sollen durch ein Bankdarlehen finanziert werden, und rund sechs Millionen kommen aus der Sammel-Kampagne. Am 25. August ist sie gestartet. Seitdem haben 827 stille Gesellschafter der taz ihr Geld für fünf oder zehn Jahre geliehen, mit Verträgen über Zinsen von 2 und 2, 5 Prozent. 357 Leser sind der Genossenschaft beigetreten, und fast 400 Mitglieder haben ihre Anteile aufgestockt. 200 000 Euro - das sei der höchste einzelne Anlagebetrag gewesen, sagt Karl-Heinz Ruch.

Das neue Haus soll 2017 bezogen werden. Das alte wird vermietet. Aber wie spiegeln sich das Selbstverständnis und die Geschichte der taz in dem Neubau wider? Wird sie nun wie alle, wenn sie umzieht in ein gläsernes Gebäude?

"Sie meinen, dass wir zu schnieke werden?", fragt Konny Gellenbeck.

Wenige Einzelbüros, viel Offenheit

Auf alle Fälle wird es sehr viel schicker werden, als es jetzt ist, im alten Haus, in das die Zeitung 1989 einzog und wo man, wie Ruch sagt, "vorne zu laut, hinten zu heiß und in der Mitte zu dunkel" sitzt. Wo es eng ist. Wo manche zwischen Bücherstapeln balancieren, wo Redakteure im Treppenhaus auf Sofas sitzen und rauchen und dann durch Türchen irgendwohin verschwinden, mit einer neuen Idee im Kopf. Wen man spricht im Haus der taz - fast alle freuen sich, dass sie umziehen können.

Auch im neuen Haus wird es wenige Einzelbüros geben, Offenheit soll das Gebäude ausstrahlen. Und die Tatsache, dass das "Gedächtnis" der taz, wie Konny Gellenbeck es nennt, also Archiv und Fotoarchiv, im oberen Doppelgeschoss nahezu inszeniert werden, auch das ist eine Aussage.

Wenn nur die Bäume bleiben könnten. "Das sind ganz tolle Bäume", sagt Karl-Heinz Ruch, "und als ich das erste Mal auf dem Parkplatz stand, da dachte ich: Wie muss man bauen, damit sie erhalten bleiben?" Ruch sieht nicht glücklich aus, wenn er von den Bäumen spricht. Ausgerechnet für die taz müssen sie fallen. "Nur wir können da gar nichts ändern", sagt er, "der Bebauungsplan ist fest". Aber natürlich werden für die acht, die gefällt werden, 39 junge Stämme gepflanzt, ganz in der Nähe.

Hendrikje Ehlers und ihr Sohn, die beiden Schuhmacher, gucken also bald nicht mehr auf die Hundertjährigen, sondern auf Kräne. "Ich sehe ganz massiv meine Existenz bedroht", sagt Frau Ehlers, "wir werden mit der Baustelle hier nämlich für Jahre Ground Zero haben."

Mal sehen, was die taz daraus macht.

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Quelle:
SZ vom 27.11.2014/danl
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