"Die Kaiserin" auf Netflix:Hofstaat in Bewegung

"Die Kaiserin" auf Netflix: Bravsein wird nicht mal mehr im 19. Jahrhundert belohnt: Devrim Lingnau als Sisi.

Bravsein wird nicht mal mehr im 19. Jahrhundert belohnt: Devrim Lingnau als Sisi.

(Foto: Julia Terjung/Netflix)

Netflix hat eine "Sisi"-Serie gemacht, der historische Sensibilitäten herzlich egal sind. Aber unterhaltsam ist sie!

Von Kathleen Hildebrand

Eigentlich bräuchte es endlich einmal eine Serie zur Ehrenrettung der Angepassten. Eine Miniserie wenigstens, für Figuren wie Helene, Herzogin in Bayern und ältere Schwester von Sisi. Die Frau, die eigentlich vorgesehen war für den Kaiserinnenthron, die Franz Josef I. aber verschmähte, weil er sich in Elisabeth verguckt hatte. Denn es ist ja schon fies: Da bereitet man sich seine ganzen Mädchenjahre auf diese Hochzeit vor, lernt Böhmisch, übt Sticken, bis die Finger bluten, kennt wahrscheinlich den kompletten Stammbaum der Habsburger auswendig - und dann ringt sich der fesche junge Kaiser (Philip Froissant) nur ein mattes Höflichkeitslächeln ab für das Taschentüchlein mit dem "F" und den blauen Blumen, das man ihm gehandarbeitet hat. Wird Bravsein denn nirgends mehr belohnt? Nicht mal im 19. Jahrhundert?

"Was, wenn er mich langweilig findet?", fragt Helene ihre kleine Schwester (Devrim Lingnau) am Abend vor dem Kennenlernen, und so kommt es dann leider tatsächlich. Als wäre er ein Start-up-Chef im modernen Kreativkapitalismus und nicht der Monarch eines großen alten Reichs, wählt Franz Sisi, die Unangepasste, die "anders denkt als die anderen". Nicht die mit dem perfekten Lebenslauf.

Es spricht unbedingt für die Serie von Hauptautorin und Showrunnerin Katharina Eyssen, dass man beim Schauen so ein Mitgefühl für die Nebenfiguren entwickelt. Die Serie, die sich einreiht in die verblüffend vielen Sisi-Projekte der letzten Monate, hat Zeit zum Erzählen, fast sechs Stunden nur für den Beginn der Ehe, und verwendet sie klug. Franz Josefs Mutter muss nicht nur stählern die Zügel des Reichs festhalten, sie bekommt auch eine Sehnsucht nach Liebe und Sex (bei dem sie regelmäßig eine ihrer Hofdamen beobachtet) und einen tiefen Schmerz über ihre jung gestorbenen Kinder eingeschrieben. Von so viel Komplexität konnte die strenge Kaisermutter in den Sissi-Filmen nicht einmal träumen. Des Kaisers jüngerer Bruder, Nicht-Thronfolger und schlimmer Hallodri, wird gleich in der ersten Folge als Rivale um Sisis Zuneigung ins Spiel gebracht: lauter bewährte, aber sehr zugkräftige und hervorragend umgesetzte Drehbuchideen, die diese Serie allein schon gut über mehrere Staffeln tragen könnten.

Devrim Lingnau ist eine gute Sisi, frisch wie Romy Schneider, aber weniger herzig

Dazu kommt noch einiges an Kriegs- und Infrastrukturpolitik sowie ein Revolutionsplot, der bis in die Kammer der Kaiserin reicht. Denn im österreich-ungarischen Volke brodelt es. Die Hochzeit soll die Unzufriedenen mit Liebe und royalem Glamour ablenken. Das klappt nur leider ein bisschen zu gut: Das Volk ist schon so unruhig, dass die schöne Sisi, die man als die erste Vertreterin der Celebrity-Kultur bezeichnen könnte, seine Gefühle zum Überkochen bringt. Als sie in der gläsernen Kutsche durch Wien zur Trauung gefahren wird, schlagen die Leute vor Leidenschaft beängstigend heftig gegen die Scheiben.

Die Mischung aus Stolz und Furcht der Braut sieht man in Devrim Lingnaus katzenhaftem und doch kindlich-vollen Gesicht deutlich. Sie ist eine gute Sisi, frisch, wie Romy Schneider es in der Rolle war, aber weniger herzig und deshalb modern. Das passt, denn auch wenn man in Die Kaiserin ein bisschen Geschichte vermittelt bekommt, ist die Serie doch spürbar wenig an historischer Authentizität interessiert. Als ihm Bankiers einen Kredit für ein Eisenbahnprojekt verweigern, sagt Franz Josef zu seinem Innenminister: "Scheiße!" Bei der Hochzeit tanzt der Hofstaat, als wäre er in einem Rihanna-Musikvideo. Wer wissen will, wie sie denn nun wirklich war, die Sisi, ist hier falsch. Diese Kaiserin ist ganz und gar von heute.

Sechs Folgen, Netflix.

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