Die Deutschen und das Verbrechen:"Mein Kopf raucht weiter"

Eric Gauthier bei Soko Stuttgart

Warum wollt ihr so etwas Vorhersehbares jeden Tag haben und beklagt euch dann, dass es so vorhersehbar ist? Hier ermittelt gerade die Soko Stuttgart.

(Foto: Jan-Philipp Strobel/dpa)

"Tatort" hier, Polizeiruf 110" dort, Soko eigentlich überall: Warum haben wir so viele Krimis im deutschen Fernsehen? Über die Verfasstheit eines Genres - und dessen Kritiker.

Ein Gastbeitrag von Fernseh-Kommissarin Caroline Peters

Wo waren Sie um 20.15 Uhr? Eine Frage, die mir durch den Kopf schießt, als ich eines Morgens meine E-Mails checken will. Im Netz lese ich wieder einmal Sätze wie diese: "Auch dieser Tatort eine kaum aushaltbare Tragödie." Ist das gut oder schlecht, frage ich mich etwas verschlafen. "In diesem Krimi ging es schlüpfrig zur Sache." Was soll denn das bedeuten: schlüpfrig? Wer oder was schlüpfte, wie, wo und wann? Ich bin noch nicht wach. Oder: "Vom Engagement dieses Teams hatte man sich mehr versprochen." Hatte man wirklich? Und wer ist denn man? Was genau hatte sich die dritte Person Singular undefiniert mehr versprochen? Was genau kann sich die dritte Person Singular von ihrem allabendlichen Krimi im Fernsehen noch versprechen, frage ich mich, während das Internet in tausend Foren schreit: Tatort, Tatort, Tatort!

Was genau also ist dieser deutsche Fernsehkrimi, bei dem alle mitreden und von dem keiner genug bekommt?

Unter Kollegen, also unter Schauspielkollegen, nicht Kriminalkommissarkollegen, sind die Erwartungen einigermaßen klar: Regelmäßige, kontinuierliche Dreharbeiten stehen ins Haus, sobald man einem Kommissariat beitritt. Eine gute Rolle , anspruchsvolle Geschichten über die ewige Frage der Schuld, klare Spielregeln, gute Regisseure und viele andere Annehmlichkeiten mehr.

Die Fragen, die wir Fernsehkommissare uns gegenseitig stellen - und nicht unseren "Verdächtigen" - sind auch eindeutig: Hältst du bei Szenen mit gezogener Waffe den Zeigefinger am Abzug oder legst du ihn am Lauf der Waffe an, wie der Waffenexperte am Set erklärt hat? Wie sieht deine Waffe aus? Trägst du Holster? Ah, sie kann auch nur in der Handtasche getragen werden - cool.

Der Kommissar als Einzelgänger scheint nicht aktuell zu sein

Und deine Wache? Wie sieht die aus? Warst du schon mal in der Superwache in Köln, in der im Keller Verhörräume und Untersuchungszimmer der Pathologie von gefühlten 20 verschiedenen Produktionen stehen? Da liegen überall Tatort-Fotos, DNA-Befunde und Spusi-Berichte aus etlichen Jahren TV-Kriminologie herum, und aus jeder Schublade sieht man die Fotos blutverschmierter Kollegen blitzen.

Manchmal fragt man sich so unter Fernsehkommissaren gegenseitig auch nach dem Privatleben der Polizeidienststellenleiter aus. Dabei erfährt man oft irre Geschichten: getrennt, geschieden, mit der Ex auf Streife, Probleme mit der Liebe sowieso, aber auch mit halbwüchsigen Kindern.

Einsam sind sie alle, aber meist nicht mehr allein. Der Kommissar als eigenbrötlerischer, wortkarger Einzelgänger scheint nicht aktuell zu sein. Vielleicht, weil überdurchschnittlich viele Frauen bei der Fernseh-Mordkommission arbeiten, viel mehr als im Leben. Und die stellt man sich nicht gern alleine vor. Mein Kopf raucht weiter, schwache Indizienlage, alle Fragen weiter offen. Auf jeden Fall sehr viel Schicksal.

Eine Gewohnheit braucht immer eine Abwechslung

Mord mit Aussicht, III. Staffel

Caroline Peters, 42, ist Schauspielerin und am Wiener Burgtheater engagiert. Im September geht der genreprägende Eifelkrimi "Mord mit Aussicht" mit ihr als Kriminaloberkommissarin Sophie Haas (im Bild) bei der ARD in die dritte Staffel.

(Foto: ARD/Jens van Zoest)

Ich lese weiter im Netz. "Abgründe" gibt es im Fernsehkrimi. Oh Gott, welcher Art? Seelischer, politischer, modischer oder gar geografischer Art? Ein anderer Film komme "konventionell und ohne Spannung daher". Wann ist denn ein Krimi unkonventionell? Wenn er keine Schuldfrage klärt und keine Unordnung mehr in Ordnung zurückführt?

Oder wie jetzt? Lieber Internet-Redakteur, antworte mir: Warum müssen wir überhaupt jeden Tag jemanden abgeführt in Handschellen sehen, der Schuld hat und sie nachgewiesen bekam? Und das, so banal es ist, dann bitte unkonventionell? Warum wollt ihr so etwas Vorhersehbares jeden Tag haben und beklagt euch dann, dass es vorhersehbar ist?

In Interviews werde ich das selbst immer mal wieder gefragt: Warum haben wir so viele Krimis im deutschen Fernsehen? Normalerweise stammele ich mir dann irgendwas zurecht vom Tatort als kollektiver Gewohnheit, die Deutschland ähnlich wie Fußball zu gemeinsamer Identität verhilft. Aber, fragt die Kommissarin in mir, ist das wirklich ein Motiv? Und kann ich es beweisen?

Eine Gewohnheit braucht doch auch immer eine Abwechslung. In den 80er-Jahren habe ich als heranwachsende, sehr eifrige Fernsehzuschauerin auf wenigen und dann immer mehr Kanälen die Kulturtechnik des Fernsehens kleinteilig erarbeitet: Tatort, Derrick, Der Alte, später Der Fahnder, Kottan ermittelt. Dazu die Amerikaner: Trio mit 4 Fäusten (sehr lustig), Ein Colt für alle Fälle (eigentlich Stuntman, auch interessant), Remington Steele (soooo attraktiv), Hart aber herzlich - und diverse Familien-Serien: Dallas, Denver Clan und die Drombuschs.

Eine Detektivgeschichte, die keine mehr sein wollte

Doch die Abwechslung kam dann im Schüleraustausch 1987 in den USA. Nahe den Niagarafällen - eine Offenbarung: Moonlighting. Bruce Willis' erste große Rolle. Eine Detektivgeschichte, die keine mehr sein wollte. Die beiden Detektive Bruce Willis und Cybill Shepherd in eine unmögliche wie unauflösliche Liebesgeschichte verstrickt und verstritten. Schauspieler, die sich in Frösche aus Knetgummi verzaubern ließen oder die Tür des Büros im 28. Stock aufmachten und auf dem Studiogelände landeten. Bruce Willis in Unterhose, wie er seinen und Cybills Fötus in deren Bauch spielt und mit einem Agenten Gottes diskutiert, ob er geboren werden will - und sich dann doch dagegen entscheidet. Da war was los. Passiert so etwas hier irgendwann auch?

Ein Krimi, der kein Krimi mehr sein will, aber noch nicht weiß, wie er sich von der Blutlache hin zum Familienepos entwickeln soll?

Ich habe jetzt schon wieder vergessen, wo ich gestern Abend um 20.15 Uhr war. Aber bitte antworten Sie mir. Und wenn es weit weg von einem Krimi war, dann beschreiben Sie bitte ganz genau, wo es war, wie es da ausgesehen hat, wer alles anwesend war, und ob wir alle demnächst dorthin mitkommen können.

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