Gedenken an den Holocaust: Stimmen, die in vielen Sprachen "Befreiung" riefen

Die Befreiung,Virtueller Rundgang und Podcast zum 75. Jubiläum der Befreiung des KZ Dachau

In Text und Bild wird der Zuschauer und Leser in "Die Befreiung" mitgenommen zu jenem Tag, dem 29. April 1945.

(Foto: Ghetto Fighters Archive/Montage: BR/Christopher Roos von Rosen)

Am 29. April 1945 erreichte die US Army das Konzentrationslager Dachau. Der BR gedenkt in einem audiovisuellen Rundgang der Befreiung - eindringlich und würdevoll zugleich.

Von Joachim Käppner

Die junge Fotojournalistin schonte weder sich noch die Leser, die ihre Bilder bald betrachten würden: Eisenbahnwaggons voller lebloser Körper. Leichen von Dachauer Häftlingen, deren aufgerissene Augen in die Kamera blicken. Und den Kanal, in dem tote SS-Männer trieben, welche die Rache der Überlebenden und von US-Soldaten getroffen hatte. Lee Millers Bilder gehören zu den eindringlichsten Dokumenten über das, was im Konzentrationslager Dachau geschah.

Ein Bild Lee Millers zeigt eine der verkommenen und überfüllten Baracken, in den die Gefangenen hausen mussten. Es ist Teil eines virtuellen Gedenkrundgangs, den der Bayerische Rundfunk in Koproduktion mit der Gedenkstätte Dachau anbietet. Die große offizielle Gedenkfeier zum 75. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers durch die 42. US-Infanteriedivision musste wegen der Corona-Pandemie ausfallen, in Dachau wie an allen anderen Erinnerungsorten. Es war eine Befreiung, die viele Opfer des Naziterrors nicht mehr erlebten - wie jene, die Lee Miller in dem aus Buchenwald gekommenen Todeszug von Dachau sah.

Wohltuenderweise haben die Macher auf Effekthascherei oder dramatische Musik verzichtet

Statt großem Festakt also: ein "audiovisueller Rundgang". Kann das gutgehen? Ja, es kann. Sehr gut sogar. In Text und Bild wird der Zuschauer und Leser mitgenommen zu jenem Tag, dem 29. April 1945, als die US Army das Lager Dachau erreichte. Wohltuenderweise haben die Macher des Projekts auf jede Effekthascherei oder dramatische Musik verzichtet. Die Tour, deren Autorinnen Eva Deinert und Yvonne Maier sind, dauert eine gute halbe Stunde. Man sieht Bilder der Schauplätze damals und heute, und was geschah, wird meist durch Augenzeugenberichte geschildert.

Für den Leutnant William Cowling war der Todeszug "der schrecklichste Anblick, den ich je gesehen hatte". Die meisten der vielen Leichen "waren nackt und alle von ihnen nur Haut und Knochen". Zu den Überlebenden im Zug gehörte Ben Lesser, der später schrieb, er und sein Cousin, dem Tode nah, hörten Stimmen, die in vielen Sprachen "Befreiung" riefen: "Wir hielten uns aneinander fest und humpelten auf zittrigen Beinen nach draußen." Dort standen zwei junge US-Soldaten: "Sie versuchten, ihr Entsetzen über unseren Anblick mit einem freundlichen Lächeln zu verbergen."

Die Befreiung macht aus der Not eine digitale Tugend, der Rundgang, fokussiert auf das Wesentliche und die Augenzeugen, wird seiner Aufgabe würdevoll gerecht. Übrigens, auch das Jewish Chamber Orchestra Munich unter Leitung von Daniel Grossmann hat trotz der Absage der eigentlichen Gedenkveranstaltung gespielt, unter Abstandsauflagen und ohne anwesende Zuschauer. Wie Grossmann in einem Interview mit BR Klassik sagte, habe man sich vor allem den Zeitzeugen verpflichtet gefühlt: "Es ist so eine Universalkatastrophe der Menschheit gewesen, dass ich mir wünsche, jeder würde sich darüber Gedanken machen."

diebefreiung.br.de

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