"Die Asylentscheider" auf Arte:"Kann man nicht auch mal ein Auge zudrücken?"

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Asylentscheiderin Sybille Thomsen bei der Arbeit: Anhörung in der BAMF-Außenstelle Hamburg. (Foto: ZDF und Marcus Winterbauer)

Eine Dokumentation hat drei Asylentscheider bei ihrer Arbeit begleitet. Der Film zeigt, wie schwer es ist, zu bestimmen, wer bleiben darf - und wer gehen muss.

Von Kathleen Hildebrand

Ein Amtsgebäude in Bingen. Die Wände sind weiß, die Büromöbel lichtgrau, draußen kriecht der Rhein durch eine Flussbiegung. Ruhig und beschaulich ist es hier. Der junge Asylentscheider sieht aufgeräumt aus, frisch geduscht. Doch auch wenn es so aussieht, im Morgenlicht, das durch die Amtsstubenfenster scheint: Klinisch und klar ist hier gar nichts.

Herr Frosting befragt heute Ashkan, einen Mann Mitte zwanzig aus Iran, der mindestens zehn Jahre älter aussieht. Sein Nachname wird nicht genannt in der Dokumentation "Auf dünnem Eis - Die Asylentscheider", die drei Verfahren in Bingen und Hamburg begleitet hat. Die Regisseurinnen Sandra Budesheim und Sabine Zimmer zeigen, wie schwer es ist, zu entscheiden, welcher Flüchtling in Deutschland bleiben darf - und wer wieder zurückgeschickt wird. Dorthin, von wo er oder sie dringend weg wollte.

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Ashkan, zum Beispiel. Ein Christ aus Iran, er hat 2009 gegen die Regierung demonstriert. Dann wurde er verhaftet. Fünf Jahre Gefängnis, kein Prozess. Er trat in Hungerstreik, bis er ins Krankenhaus musste. Dann floh er. Seine Mutter ist bereits in Deutschland, sie hat Asyl bekommen. Nun geht es um den Sohn.

Fünf Jahre Haft ohne Prozess wegen der Teilnahme an einer friedlichen Demonstration? Die Geschichte klingt eindeutig. Aber Herr Frosting hat noch ein paar andere Fragen auf seiner Liste stehen. Ob Ashkan die Länder aufzählen könne, die er auf seinem Weg nach Deutschland durchreist hat? Nein, kann er nicht. Und ob er seine Fingerabdrücke in Griechenland abgegeben habe, da seien nämlich welche in seiner Akte. Nein, sagt Ashkan, er habe seine Fingerabdrücke nicht in Griechenland abgegeben. Wie sie dann in seine Akte gekommen sind? Das wisse er nicht.

Herr Frosting spricht seine Fragen und Antworten in eine Art Telefonhörer, der ein Diktiergerät ist. Seine Stimme klingt neutral. Ein Übersetzer übersetzt. Herr Frosting ist korrekt. Er fragt nach, wenn etwas nicht zusammenzupassen scheint. Er gleicht, was er hört, mit detaillierten Länderinformationen aus der Datenbank des Bundesamts für Migration ab.

In der Pause redet Herr Frosting mit seinem Kollegen. Der hat gerade einen anderen Flüchtling befragt, Ali aus Somalia. In dessen Geschichte passt chronologisch Einiges nicht zusammen, nicht einmal das Alter seiner kleinen Tochter kann der junge Mann angeben. Alis Antrag wird abgelehnt werden. Ashkan hingegen wird bleiben dürfen. Er konnte den Grundriss seiner Zelle in Iran aufmalen ohne zu zögern. Herr Frosting glaubt ihm.

Man versteht schnell, was hier das Dilemma ist: Ein deutscher Asylentscheider, der in einem der friedlichsten Länder der Welt lebt und mittags mit dem Kollegen Fleischklops beim Metzger essen geht, muss entscheiden, ob diese furchtbaren Leidensgeschichten, die er täglich zu hören bekommt, auch wirklich glaubwürdig sind. Man sieht, wie die Sachbearbeiter mit ihren Entscheidungen ringen. Aber kann ein Mensch, der fern von Krieg und Bedrohung groß geworden ist, sich vorstellen, was es mit der eigenen Erinnerung macht, wenn man Jahre der Gefahr und Monate in einem brutalen libyschen Gefängnis verbracht hat? Kann man mit Sicherheit sagen, dass man selbst in so einer Lage nicht das Geburtsdatum der Tochter vergessen würde, die zur Welt kam, als man gerade eine Wüste durchquerte?

Die Entscheider hadern mit ihrer Machtposition

Wahrscheinlich geht es nicht anders als mit dieser Art distanzierter Korrektheit. Und doch bleibt beim Zusehen ein leichtes Unwohlsein ob dieser Diskrepanz. Das friedliche Amt. Die Asylentscheiderin in Hamburg, die nach Feierabend ihre Zimmerpflanzen im Büro gießt und dann nach Hause geht. Sie hat zu entscheiden, ob Hamid zurück muss nach Afghanistan. Ein kluger, freundlicher, optimistischer junger Mann, der schon sehr gut Deutsch gelernt hat. Und dem gegenüber: Die schreckliche Welt da draußen, aus der diese Menschen kommen, die von Magenblutungen erzählen, weil sie so lange im Hungerstreik waren. Von ermordeten Verwandten und von ihrer Überzeugung, sterben oder zumindest leiden zu müssen, falls sie abgeschoben werden.

"Die Asylentscheider" ist ein sehr guter Dokumentarfilm. Das liegt daran, dass er nicht urteilt, sondern eben nur dieses Unwohlsein erzeugt, nicht mehr, aber auch auf gar keinen Fall weniger. Man versteht, dass die Entscheider nicht nach der ganz großen Gerechtigkeit fragen können, sondern nur nach Richtlinien. Man fühlt sich vielleicht unwohl damit als Zuschauer, aber man sieht auch, dass es den Entscheidern nicht anders geht. Sie hadern mit ihrer Machtposition. Sie haben Wege gefunden, damit zu leben. "Kann man nicht auch mal ein Auge zudrücken?" zitiert eine Entscheiderin, was sie oft gefragt wird. "Kann man", sagt sie, "aber dann sind wir willkürlich."

"Auf dünnem Eis - Die Asylentscheider" läuft am Dienstag um 21.15 auf Arte.

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