"Deutschland tanzt":Make Oliver Pocher great again

'Deutschland tanzt' First Live Show

Oliver Pocher macht den Trump.

(Foto: Getty Images)

Was tun mit TV-Sternchen ohne Anstellung? Immer schön weiter verwursten, notfalls im Glitzerdress oder als Trump verkleidet. ProSiebens neueste Verwurstungs-Show heißt: "Deutschland tanzt".

TV-Kritik von Ruth Schneeberger

Tanzen ist eines der schönsten Dinge, zu denen Menschen fähig sind. Vor allem, wenn man es selbst kann. Und damit ist es auch etwas, was man dem TV-Zuschauer vorsetzen kann, schließlich ist das der Kern des Fernsehens: Anderen Menschen zuzusehen, wie sie Dinge tun, die man eigentlich lieber selber tun würde, sollte oder müsste.

Ob Können fehlt, Antrieb, Geld oder Zeit ist egal. Der Bildschirm liefert garantiert irgendetwas aus der Welt der von einem selbst unerledigten Tätigkeiten, die andere umso lieber übernehmen: Renovieren. Kochen. Mit den Nachbarn streiten. Fußball spielen. Oder eben tanzen. Eigentlich praktisch. Das Schwitzen und bisweilen auch das Denken überlässt der TV-Zuschauer den Menschen auf dem Bildschirm, die sich stellvertretend bereitwillig zur Schau stellen.

Von diesen Menschen gibt es mittlerweile so viele im deutschen Showbetrieb außerhalb der klassischen Schauspielerei, dass die Sender kaum noch damit hinterherkommen, immer neue Formate zu produzieren für all die Darstellungsdarsteller, die sie in ihren bisherigen Formaten marktgerecht ausgespuckt haben. Es müssen also immer wieder neue Formate erfunden werden, um diese Menschen in Lohn und Brot zu bringen. Eines davon ist "Deutschland tanzt", mit dem ProSieben die RTL-Tanzshow "Let's dance" - sagen wir - interessiert imitiert.

Endlich eine eigene Show für Lena Gercke - die sie leider halb verschläft

Schon die Moderatorin stammt aus einer Eigenproduktion des Senders: Lena Gercke gewann die erste Staffel von Germany's Next Topmodel, seit Jahren fragt man sich, wann sie ihre eigene Show bekommt. Bei "The Voice of Germany" assistiert sie derzeit im Hintergrund, das aber nicht schlecht. An diesem Samstagabend ist sie schön wie immer, vorteilhaft gekleidet und passt farblich prima in den Saal, wirkt aber sediert. Ihr Co-Moderator Ingmar Stadelmann soll witzig sein, verliert sich nur leider in Altherrenhumor.

Das passt zum Rest der Sendung. Da sollen Promis, über deren Bekanntheitsgrad sich streiten lässt, tanzen, was bisweilen zum Problem gerät. Schauspieler werden zwar oft auch in Tanz ausgebildet, Nicht-Schauspieler aber eben oft nicht. Und Leuten, die schon in anderen Sendungen ihre liebe Mühe haben, ihren Auftritt irgendwie zu rechtfertigen, dabei zuzusehen, wie sie nun auch noch beim Tanzen straucheln, ist nicht wirklich abendfüllend. Außer man gehört zu den Leuten, die gerne verwackelte Kurzvideos sehen von Menschen, die überraschend in Swimmingpools fallen. Dafür muss man aber den Fernseher nicht anschalten.

Wir sehen also Wolfgang Lippert im weißen Kapitänskostüm Hip-Hop nachstellen. Lippert ist der, der mal "Wetten, dass?!" moderiert hat, bevor wieder der ewige Thomas Gottschalk übernommen hat, der nun zurück zum bayerischen Radio geht. Wir sehen außerdem den ehemaligen "Bachelor" Jan Kralitschka Tango nachstellen und hören dazu die Moderation sagen, dass beim Tango der Mann noch richtig Mann und die Frau noch richtig Frau sein darf. Wir sehen desweiteren ein Paar (Janni Hönscheid und Peer Kusmagk), das sich in der RTL-Sendung "Adam sucht Eva" nackt kennengelernt hat, aufgedreht und ausnahmsweise angezogen über die Bühne stelzen. Es kann nun mal einfach nicht jeder tanzen. Soll das für die Zuschauer womöglich ein Trost sein?

"Deutschland ist voller Drogen"

Noch ein paar andere Dinge gehen schief an diesem Abend. Um es spannender zu machen, dauert die Show geschlagene vier Stunden. In dieser Zeit treten 18 Tanzende für 16 Bundesländer gegeneinander an. Zu jedem von diesen gibt es einen quälenden Einspielfilm, am Ende wird schlimmerweise noch zu allen 16 "Partylocations" in allen Bundesländern geschaltet. Bestenfalls sind dort kreischende Menschen in rosa Glitzerkostümen zu sehen, schlechtestenfalls Cheerleader, Barbesucher aus Magdeburg oder Wohnzimmereinrichtungen aus der Hölle. Mal versagt die Akustik, so dass dieser eine Ex-Kandidat aus dieser ehemaligen Show, den man kaum erkennt, auch kaum verstanden wird.

Aus Bayern wird gleich ein ganz falsches Abstimmungsergebnis verlesen, im Hintergrund betrinken sich Frauen im Dirndl auf der Alm. "Deutschland ist voller Drogen", witzelt der Moderator, verkennt dabei allerdings, dass sich die Zustände beim Fernsehen nicht unbedingt auf das ganze Land übertragen lassen. Auch wenn das vielleicht besser wäre angesichts dieser Veranstaltung, die eher einer Karnevalssitzung aus den 60er Jahren ähnelt als einer neuen, frischen Show für das 21. Jahrhundert.

Aber gibt es nicht wenigstens schöne Menschen in phantasievollen Kostümen zu sehen, die sich toll bewegen? Nun ja. Model Shermine Shahrivar, zweifellos eine der schönsten Frauen im Lande, trägt eines dieser Glitzerdresses, die schon den Show-Standardtanz mit seinen festgetackerten Grinsegesichtern zu einer unerträglichen Angelegenheit machen, und statt zu tanzen legt sie einen halben Softporno aufs Parkett. Taynara Wolf, deren Mutter ihr das Tanzen nicht nur in die Wiege gelegt, sondern auch gezielt beigebracht hat, war bei GNTM zu sehr Tänzerin zum Modeln und ist hier zu sehr Model zum Tanzen. Aber vielleicht gibt es für sie ja später auch mal eine eigene Show.

Avelina Boateng, Schwester des gleichnamigen Fußballspielers, wird von der Jury für eine eher platte Darstellung einer Liebe zwischen Ost und West über den grünen Klee gelobt. Immerhin kann sie wirklich tanzen. Auch Moderatorin Janin Ullmann macht auf der Bühne eine gute Figur, ähnlich wie Künstler Friedrich Liechtenstein in seiner Paraderolle, einer Mischung aus Helge Schneiders Sergeij Gleithmann und dem späten Joe Cocker.

Eigentlich reißt den Zuschauer aber nur eine richtig mit: Kassandra Wedel aus München, Schauspielerin und gehörlos, legt einen wirklich beeindruckenden und schlicht mitreißenden Auftritt hin. Sie kann die Musik nicht hören, sondern nur die Bässe fühlen.

Aber am Ende gewinnt dann doch wieder Trump. Das heißt: Oliver Pocher, der Trump halbwegs treffend parodiert. Bevor jetzt aber wieder aufgeregte Kritik laut wird, dass schon wieder ein Trump gegen eine besser qualifizierte Frau obsiegt, seien diese Kritiker gleich beruhigt: Es gibt kommenden Samstag die Möglichkeit zur Revanche auf demselben Sender zur selben Zeit. Und nach dem Finale übernächsten Samstag wird die Sendung dann auch schon wieder beendet. Spätestens danach gehen wir dann wieder selbst tanzen. Versprochen?

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