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Deutsches "Wired": Von Dienstag an wird sich zeigen, ob das Magazin Wired auch hierzulande so Furore machen wird wie im Mutterland USA.

Von Dienstag an wird sich zeigen, ob das Magazin Wired auch hierzulande so Furore machen wird wie im Mutterland USA.

(Foto: Condé Nast)

Nur wenige Medienmarken genießen eine solche Verehrung wie das US-Magazin "Wired", das intellektuelle Zentralorgan der Geek-Kultur: Nach fünf Testausgaben erscheint am Dienstag die erste deutsche "Wired". Sie richtet sich nicht nur an die Netzgemeinde.

Von Niklas Hofmann

Die Redaktionsräume in zwei ehemaligen Fabriketagen in Berlin-Mitte hat Wired Germany gerade erst bezogen. Die Wände sind frisch geweißelt, Umzugskartons lehnen zusammengefaltet an der Wand und noch streifen Handwerker durchs Haus.

Vorhin hat einer von ihnen Nikolaus Röttgers Laptopkabel in einem Kabelkanal verschwinden lassen; da wird er sich gleich noch befreien müssen. Aber auch wenn in Berlin alles erst noch im Werden ist, so liegen doch schon Monate der Arbeit hinter Röttger, dem neuen Chefredakteur, und seinem Team.

Seit April wurde in der Hauptstadt und am Verlagsort München an Konzepten und Inhalten gearbeitet, diesen Dienstag kommt nun die erste generalüberholte Ausgabe der deutschen Wired in den Zeitschriftenhandel, parallel zum Start der neuen Website.

Es gibt nur wenige Medienmarken, die eine solche Verehrung genießen wie Wired, das intellektuelle Zentralorgan der technik- und internetverliebten Geek-Kultur, das in den USA seit 1993 erscheint.

Längst gibt es erfolgreiche Ausgaben in Großbritannien, Italien, Japan und Taiwan. Für den deutschen Markt hat Condé Nast einen längeren Anlauf gebraucht. Von den Konzepten der seit 2011 unregelmäßig erschienenen Testausgaben ist nun nicht viel geblieben.

Die Kollegen hätten ja unter ganz anderen Voraussetzungen gearbeitet, sagt Röttger, der zuletzt das Onlinemagazin Gründerszene.de geleitet und für Gruner + Jahr die Zeitschrift Business Punk entwickelt hat, mit vornehmer Zurückhaltung. "Es war aus Verlagssicht ein Reinfühlen in den Markt", ergänzt Ines Thomas von Condé Nast. "Dass das für eine Marke wie Wired nicht adäquat ist, ohne Website zu starten, war uns auch 2011 schon klar."

Netzauftritt gleichberechtigt neben Printheft

Nun steht der Netzauftritt von vornherein gleichberechtigt neben dem Printheft. "Früher haben wir Zeitschriften gelauncht, hier launchen wir eine Marke", drückte es Condé-Nast-Deutschland-Chef Moritz von Laffert am Donnerstag bei der Vorstellung in Berlin aus.

Die Inhalte sollen auf allen denkbaren Endgeräten optimal lesbar sein. Exklusivinhalte sollen im Netz über ein Mitgliedschaftsmodell angeboten werden. Für 45 Euro im Jahr - zum Preis der zehn jährlichen Printausgaben - kann man dann "Member" der Wired+-Community werden und Zugang zu weiteren Texten, aber auch aufwendig produzierten Videos und Fotostrecken erhalten. "Wir versuchen, Geschichten über alle Kanäle zu denken", sagt Nikolaus Röttger. Über Social-Media-Kanäle können die Wired+-Nutzer die Inhalte dann auch an nicht zahlende Leser weiter verschenken.

Nicht zu puristisch, aber ansprechend modern kommt das von Art Director Axel Lauer gestaltete Heft daher. Diese Anmutung versucht man durch typografische Elemente, luftiges Layout und opulente Fotoformate auch ins Web zu übertragen. "Respektvolle Werbung" soll online wie offline den Lesefluss nie stören oder unterbrechen.

Ungewöhnlicher aber noch als das schöne Äußere des Onlineauftritts ist dessen Konzeption als Themenwelt. Nicht nach Ressorts, sondern nach "Collections" gliedert sich die Seite. Alle Inhalte werden vielfach getaggt und können dann nicht nur nach Publikationsdaten, sondern nach Themen, Personen, Interessen sortiert werden, ähnlich wie Playlists bei iTunes oder Spotify. Später werden die Nutzer die Listen auch personalisieren dürfen.

Trotz allem ein General-Interest-Magazin

Neben dem Verkauf, Anzeigenerlösen und Membership-Einkünften soll das neue Medium finanziell noch andere Standbeine haben: Unter der Marke Wired werden in Zukunft auch Konferenzen und andere Veranstaltungen stattfinden, wie das in anderen Ländern bereits der Fall ist. Und Neuland betritt man in der Kooperation mit Hyper Island, einer international tätigen Fortbildungs- und Schulungsinstitution, die Röttger als ein "digitales Harvard" bezeichnet, mit der Wired ab 2015 in "Master Classes" und Seminaren Unternehmen auf die Online-Zukunft vorbereiten will.

Als ein General-Interest-Magazin, das Orientierung in Zeiten eines fundamentalen Wandels bietet, soll Wired funktionieren, nicht als Vereinszeitschrift der Netzgemeinde. Darum betont Röttger auch die vielen Seiten des Hefts, die nicht aus Digitalien berichten.

Eine Reportage über das sächsische Örtchen Storkwitz, unter dem Seltene Erden lagern, Kolumnisten wie Thomas Glavinic oder Alain de Botton, oder die Rubrik "What's inside", die diesmal in Sendung-mit-der-Maus-Manier die Inhaltsstoffe der scharfen asiatischen Sriracha-Soße erklärt.

Start-up-Denglisch

Doch die Liebe zu den Gadgets mag man nicht verleugnen. Die Technikkünstler des Applied Future Studio, über die im ersten Heft berichtet wird, führen den von ihnen entwickelten Kamerahelm, der Chamäleonblicke in verschiedene Richtungen erlaubt, auch bei der Heftvorstellung in Berlin vor. Und wenn man Röttger, vor allem aber dem für Events zuständigen Ex-Fernsehmoderator Ole Tillmann so zuhört, bekommt man den Eindruck, dass Wired Germany so etwas wie die TED-Konferenz unter den deutschen Publikationen werden könnte - mit anregenden Einblicken in Technik- und Wissenswelten, die einem sich sonst nicht eröffnet hätten, aber auch mit Ausrutschern in den anstrengenden Jargon des Self-Improvement.

Man muss es sonst nicht unbedingt mit dem Verein Deutsche Sprache halten, damit einem aufstößt, wenn von zehn Unterpunkten zur Titelgeschichte über die "Zukunft des Ich" gerade mal drei ohne Start-up-Denglisch auskommen, ohne Formulierungen wie "Like die guten Menschen", "Reposte Relevanz" oder "Leg einen Draft für die Zukunft an".

Dass Wired trotz aller Zukunftsbegeisterung den technologischen Entwicklungen keinesfalls nur affirmativ begegnen kann, ist Nikolaus Röttger aber klar. Es würde auch schwer zur Tradition der US-Wired passen, die schon Anfang der Neunziger Privatsphäre zu ihrem Titelthema machte und lange vor Snowden über den Datenspeicherwahn der NSA berichtete.

Nur ist in Deutschland die Grundeinstellung der Öffentlichkeit eine ganz andere. "Wir sind da auch paradox in unserem Verhalten", sagt Röttger. Einerseits regten wir uns über die Datensammelwut auf, aber andererseits "wollen wir ja, wenn wir in München am Odeonsplatz stehen, bei Google Maps genau sehen, wo der nächste EC-Automat ist". Diese komplizierten Deutschen muss die neue Wired nun mitnehmen in die Zukunft. Er stehe für einen nachdenklichen Umgang mit den Problemen der Technik, so Röttger, "aber ohne German Angst".

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