Deutsches Historisches Museum:Manipulation von allen Seiten

Eine Ausstellung in Berlin macht deutlich, wie herrschende Eliten Medien nutzen, um politische Öffentlichkeit zu formen - und zwar seit Jahrhunderten.

Von Julia Bergmann

1939: Eine Bauernfamilie sitzt in scheinbar religiöser Andacht in der guten Stube. Die Mutter hält ihr Kind, alle lauschen mit ernstem Blick. Heimeligkeit unterm Herrgottswinkel? Eher nicht. Denn dort, wo in katholischen Bauernstuben traditionell ein Jesus am Kreuz hängt, steht in dem Gemälde ein Volksempfänger, daneben ein Hitler-Porträt. Paul Mathias Paduas "Der Führer spricht" ist ein plumpes Propagandagemälde der Nationalsozialisten. Es ist in Kopie Teil der Ausstellung "Von Luther zu Twitter. Medien und politische Öffentlichkeit", die das Deutsche Historische Museum in Berlin bis April zeigt. Und es macht wie viele der 200 Exponate deutlich, wie herrschende Eliten im Lauf der vergangenen Jahrhunderte Medien nutzten, um politische Öffentlichkeit zu formen. Angefangen von der Erfindung des Buchdrucks bis hin zu Donald Trump und seiner Vorliebe für Twitter.

Untergliedert ist die Ausstellung in fünf große Bereiche. Pro Raum ein Medium. Der erste Abschnitt widmet sich der Erfindung des Buchdrucks, die es überhaupt erst möglich machte, dass eine größere Form der Öffentlichkeit entstehen konnte. Weiter geht es mit Radio und Printmedien, mit den ikonischen Bildern, die das Fernsehen in die Wohnzimmer der Welt sendete und damit die politische Kultur veränderte. Und sie wirft einen kritischen Blick auf das Internet und die damit verbundene Hoffnung auf mehr politische Mitsprache und Demokratisierung. Eine Hoffnung, die mittlerweile einen Dämpfer erfahren hat, immerhin sehen Kulturpessimisten und Medienexperten heute weltweit eher gegenteilige Effekte. Jeder Raum bietet dabei Informationen auch in leicht verständlicher Sprache, Gebärdensprache und Brailleschrift.

Die Kuratoren Melanie Lyon und Harald Welzer haben in jedem Bereich eine stimmige Atmosphäre geschaffen. Inmitten des Buchdruck-Raums thront eine gigantische hölzerne Kanzel - Sinnbild dafür, wie gerade während der Reformation gedruckte Schrift und mündliche Weitergabe ineinandergriffen. Immerhin konnte ein Großteil der Bevölkerung damals nicht lesen. Ein paar Meter weiter, im Radio-Raum, dröhnt die Musik der Dreißigerjahre aus den Lautsprechern der Volksempfänger. Zugleich plärrt aus einer kleinen schwarzen Kammer die Stimme Adolf Hitlers. Auditiv ist das damals neue Medium omnipräsent. Sich ihm zu entziehen: schwierig. Weiter drüben im TV-Raum flimmern aus aufgetürmten Röhrenbildschirmen jene Bilder, die sich ins kollektive Gedächtnis der Gesellschaft eingefressen haben. Die Mondlandung, das Kennedy-Attentat, die Schleyer-Entführung, der Fall der Berliner Mauer. Aber auch: der Vorspann von Wetten dass...? und Unser Sandmännchen. Allerdings nimmt diese Installation auch schon fast ein Drittel des TV-Bereichs ein, der damit im Gegensatz zu den anderen eher klein ausfällt. Fast völlig außen vor gelassen wird die Rolle des Kinos.

Das sind aber kleine Mankos einer Ausstellung, die ansonsten eindrücklich zeigt, wie sehr Medien bereits seit Jahrhunderten die Gesellschaft prägen. Sei es durch politische Eliten oder durch ihre Gegner. Ältestes Beispiel: das Spottbild eines Luthergegners, das den Reformator als sich selbst widersprechendes siebenköpfiges Monstrum zeigt. Die Reformer antworteten ein Jahr später: mit einer Darstellung des Papstes als siebenköpfigem Drachen der Apokalypse.

Von Luther zu Twitter. Medien und politische Öffentlichkeit. Deutsches Historisches Museum Berlin, bis 11. April 2021.

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