Deutsches Fernsehen:Welterklärer gesucht

In diesem turbulenten Nachrichtensommer wird wieder die Forderung laut: Deutschland braucht einen öffentlich-rechtlichen News-Kanal. Doch politisch ist das nicht gewollt.

Von Hans Hoff

Am Samstag wurde es Anja Reschke zu blöd. "Immer die gleiche langweilige Leier gegen das Fernsehen! Wird nicht gesendet, gibt's Kritik, wird gesendet, genauso", twitterte die Innenpolitik-Chefin des NDR. Tatsächlich findet sich dieser Tage immer jemand, der das Vorgehen der öffentlich-rechtlichen Sender falsch findet. Einmal sind es ungelenke Aussagen, mal stört die Tatsache, dass ein Sender vorübergehend zum Normalprogramm zurückkehrt. Und zuverlässig erklingt dann auch die Frage, ob es angesichts der Weltlage nicht dringend angeraten wäre, einen öffentlich-rechtlichen Nachrichtenkanal zu schaffen.

Das klingt erst einmal sehr gut und geht von der Annahme aus, dass in solch einem Sender rund um die Uhr journalistische und technische Fachkräfte aller Art in Bereitschaft sind, die bei Bedarf dann in Windeseile aktivierbar sind, quasi wie bei der Feuerwehr - oder bei CNN, der Mutter aller News-Kanäle. Gerne werden solche Visionen flankiert von der Frage, warum ARD und ZDF nicht einfach ihre bestehenden Infosender umfunktionieren.

Die Antwort ist einfach: Weil sie nicht dürfen. Sowohl für Phoenix als auch für Tagesschau 24 und ZDF Info, den "Informationskanal mit Schwerpunkt auf Dokumentationen und Reportagen", ist in diversen Staatsverträgen ausdrücklich festgelegt, dass diese Sender keinesfalls Rund-um-die-Uhr-Nachrichtenkanäle sein dürfen. Nachrichten den ganzen Tag, wie zum Beispiel bei CNN, das ist nicht erlaubt.

Als etwa Phoenix im April 1997 erstmals auf Sendung ging, dauerte es keine zwei Monate, bis der Privatsenderverband VPRT bei der EU-Kommission in Brüssel vorstellig wurde und den öffentlich-rechtlichen Konkurrenten einen Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht vorwarf. Fritz Pleitgen war damals als WDR-Intendant Miterfinder von Phoenix und erinnert sich noch sehr lebhaft daran, wie er schwören musste, dass Phoenix kein Nachrichtensender werde, sondern ein "Ereignis- und Dokumentationskanal". Phoenix habe nie den Auftrag gehabt, ein Nachrichtenkanal zu sein, präzisiert eine Sendersprecherin. "Unsere Aufgabe ist es, die Hintergründe von politischen Ereignissen abzubilden, Zusammenhänge herzustellen und Themen so verständlich zu machen. Für eine aktuelle Berichterstattung im Sinne eines 24-Stunden-Nachrichtenkanals reichen unsere finanziellen und personellen Kapazitäten nicht aus." Phoenix hat einen Jahresetat von 35 Millionen Euro.

Deutsches Fernsehen: Phoenix (o.) ging 1997 auf Sendung - unter der Bedingung, kein Nachrichtensender, sondern ein Kanal etwa für Bundestagsdebatten zu sein. CNN (u.) dient oft als Beispiel für kompetente Live-Berichterstattung. Screenshots: SZ

Phoenix (o.) ging 1997 auf Sendung - unter der Bedingung, kein Nachrichtensender, sondern ein Kanal etwa für Bundestagsdebatten zu sein. CNN (u.) dient oft als Beispiel für kompetente Live-Berichterstattung. Screenshots: SZ

Im Radio macht die ARD vor, wie Newssender funktionieren. Im TV wäre es ungleich komplizierter

Auch Pleitgen hält nichts von einer Phoenix-Umwandlung, sieht aber angesichts der sich rasant verändernden Nachrichtenlage durchaus Bedarf für echte Rund-um-die-Uhr Information. "Es wäre gut fürs Publikum, wenn es einen öffentlich-rechtlichen Nachrichtenkanal gäbe." "Vom System her hätten wir die ideale Ausgangslage", sagt er und verweist auf das dichte Korrespondentennetz im In- und Ausland. So etwas habe nicht einmal die BBC.

Pleitgen vertritt damit dieselbe Haltung wie kürzlich Ulrich Deppendorf in einem Interview. Der pensionierte Leiter des ARD-Hauptstadtstudios hatte im Tagesspiegel einen Nachrichtenkanal gefordert und die ARD aufgefordert, solch ein Projekt notfalls auch alleine zu stemmen, wenn das ZDF nicht mitmache.

Natürlich finden solche Gedanken auch heute nicht den Gefallen des VPRT. Der fürchtet stärkere Konkurrenz für n-tv und N24, die zwar auch gerne Dokus über Bagger zeigen, aber eben doch als Nachrichtenkanäle firmieren. "Nicht jedes tatsächliche oder vermeintliche Defizit von ARD und ZDF darf eine Debatte zur Steigerung des Umfangs des öffentlich-rechtlichen Angebotes nach sich ziehen. Gerade in den Hauptprogrammen steht ARD und ZDF jede Menge Fläche zur Verfügung", sagt Tobias Schmid. Der Vorstandsvorsitzende des VPRT weist daraufhin, dass es trotz des wieder mal lauter vorgetragenen Wunsches nach einem Nachrichtenkanal in der Politik gerade anders laufe. "Wir gehen davon aus, dass auf Basis der jetzigen Gesetzeslage ein Rund-um-die-Uhr-Kanal nicht möglich ist", sagt Schmid.

Angesichts der gesetzlichen Lage ist durchaus bemerkenswert, was Kai Gniffke, Chefredakteur von ARD aktuell, zum Thema zu sagen hat: "Wir haben einen Nachrichtenkanal", findet er und verweist auf Tagesschau 24, den Digitalableger, der vor allem das aktuelle Angebot des Anstaltenverbundes bündelt, auch eigene Sendungen produziert und zwischen zahlreichen Nachrichtenblöcken ebenfalls Dokus zeigt. Gniffke ist zufrieden mit seinem Angebot und stellt die Frage, ob man wirklich mehr brauche, und ob es immer live sein müsse. Die Ansicht vom bereits bestehenden Nachrichtenkanal hat er jedenfalls relativ exklusiv, sonst wären Politik und Wirtschaft wohl längst auf den Barrikaden.

Deutsches Fernsehen: N-tv (o.) gehört zur RTL-Gruppe. Besonders die Privatsender wollen einen öffentlich-rechtlichen News-Kanal verhindern. ARD und ZDF (u.) geraten bei Großlagen oft die Kritik - weil sie nicht senden oder das Falsche. Screenshots: SZ

N-tv (o.) gehört zur RTL-Gruppe. Besonders die Privatsender wollen einen öffentlich-rechtlichen News-Kanal verhindern. ARD und ZDF (u.) geraten bei Großlagen oft die Kritik - weil sie nicht senden oder das Falsche. Screenshots: SZ

Auch vom potenziellen Partner ZDF kommt wenig Rückenwind für Pleitgen und Deppendorf. "ZDF und ARD bieten auch ohne Nachrichtenkanal Nachrichten und Hintergrundinformationen - fast - rund um die Uhr", sagt ein ZDF-Sprecher und verweist auf die vielen Magazine und die Netzpräsenz. Zudem sieht sich das ZDF in dieser Angelegenheit nicht im Zugzwang: "Über die Einführung eines öffentlich-rechtlichen Nachrichtenkanals muss die Politik entscheiden."

Die Politik allerdings tut sich mit solchen Entscheidungen erfahrungsgemäß schwer, wie man sehr schön beobachten kann am Digitalsender ZDF Kultur, dessen Abschaffung lange gewollt und spät beschlossen wurde, und der als reitende Leiche in der Dauerwiederholungsschleife immer noch über die Bildschirme geistert.

Der Weg zu einem öffentlich-rechtlichen Nachrichtenkanal ist also steinig, und der größte Fels liegt bei der ARD quasi auf dem Flur. Käme ein solcher Sender, würde die Konzentrierung von Kräften und Finanzen das föderale System der ARD gehörig durcheinanderwirbeln. Eifersüchtig wird schon jetzt in den Anstalten darauf geachtet, dass ja nicht zu viel Informationskompetenz und Geld in den Verbund abfließt, dass also nicht die Macht von Intendanten und Chefredakteuren in den einzelnen Ländern geschmälert wird.

Ohnehin verfügt die ARD, die ja im Radio vormacht, wie man Information rund um die Uhr organisiert, mit der Hamburger ARD-aktuell-Redaktion, in der die Tagesschau entsteht, über eine schlagkräftige Einheit, die sich aber bei besonderen Ereignissen stets noch mit der Programmdirektion am anderen Ende der Republik abstimmen muss. Selbstständig dürfen die Nachrichtenleute nur im größten Notfall Sendungen verschieben oder unterbrechen, wie etwa während des Türkei-Putsches einen Tatort. So etwas muss mit München abgestimmt werden, was Zeit und Kraft kostet, auch wenn die ARD-Oberen gerne behaupten, alles laufe prima.

Mit einem Nachrichtenkanal ginge da sicherlich vieles schneller und reibungsloser. Ob die Kritik am Programm dann weniger harsch ausfiele, darf bezweifelt werden. Irgendetwas gibt es immer zu bemängeln, nicht nur im Nachrichtengeschäft.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: