Deutsches Fernsehen:Was kostet die Welt?

Im Sommer zeigt sich besonders deutlich, wie unwiederbringlich das klassische Fernsehen seine Alleinstellung verloren hat. Bezahlsender und Streamingdienste sind auch hierzulande längst etabliert. Ist das kostenlose TV bald Geschichte?

Von Katharina Riehl

Wer in den vergangenen Wochen seine Abendunterhaltung im deutschen Fernsehprogramm suchte, der traf dort viele alte Bekannte. Die ARD zeigt schon seit Ende Juni nur noch alte Episoden des "Tatort", am kommenden Sonntag endet die Sommerpause. Im ZDF waren die Kriminalfälle wochenlang ebenfalls gut abgehangen, die Satire-Sendung "Heute-Show" ist noch im Sommerurlaub, der des RTL-Quiz "Wer wird Millionär" endet an diesem Montag.

Die öffentlich-rechtlichen und privaten Sender stellen während des Sommers auf Wiederholungsschleife, Krimireihen, Ratespiele und Talkshows pausieren, bis man das Publikum wieder vor dem Fernseher vermutet. Das war immer so, und dass dieser Umstand 2017 so viel deutlicher auffällt als noch vor zehn Jahren, liegt vor allem daran, dass sich das Fernsehen und die damit verbundenen Gewohnheiten so radikal verändert haben. Zu keiner anderen Jahreszeit kann man besser beobachten, wie unwiederbringlich das klassische Fernsehen seine Alleinstellung verloren hat.

Pay-TV galt in Deutschland lange als Lachnummer. Heute finanziert Sky die Prestige-Serie der ARD

Es ist jetzt ziemlich genau drei Jahre her, dass der Streamingdienst Netflix sein Angebot nach Deutschland brachte, ein US-Unternehmen, dem die deutsche Idee der Sommerpause fremd ist; jede Woche werden hier und beim Konkurrenten Amazon neue Serien und Filme freigeschaltet. Und bei Sky, dem Bezahlsender, erreicht die neue Staffel des amerikanischen Serienhits Game of Thrones gerade Woche für Woche Rekordwerte - mitten im Sommer.

Entstanden ist eine parallele Fernsehwelt, die keine Jahreszeiten kennt, sondern nur ein anspruchsvolles, zahlendes Publikum, das stetig wächst. Im Juli lud der Verband der deutschen Privatsender VPRT die Presse zu einem Termin, um seine aktuellen Erfolgszahlen zu verkünden: 2016 gab es rund 7,6 Millionen Pay-TV-Abonnenten, 105 Bezahlsender wie Sky, Fox oder TNT kann man derzeit in Deutschland empfangen. Und bereits kurz vor Ostern hatte eine repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov ergeben, dass fast jeder dritte Deutsche inzwischen Streamingdienste nutzt.

All diese Zahlen ergeben ein Bild, das hierzulande noch immer überrascht: Pay-TV ist längst ein erfolgreicher Markt geworden; die Zeiten, in denen Leo Kirchs Träume vom Bezahlfernsehen Premiere hießen und gutmütig belächelt wurden, sind lange vorbei. Stattdessen stellt sich plötzlich die Frage, ob das kostenlose, frei empfangbare Fernsehen in Deutschland ein Auslaufmodell sein könnte.

Es gibt zwei Aspekte, die wichtig sind für diese Frage, einen inhaltlichen und einen technischen, und für beide spielt der monatliche Rundfunkbeitrag eine wichtige Rolle. Denn so richtig kostenlos ist das deutsche Fernsehen ja nie gewesen, jeden Monat zahlt jeder in diesem Land gemeldete Wohnungsinhaber 17,50 Euro Rundfunkbeitrag, und wenn es nach den Anstalten geht, soll dieser Beitrag künftig wieder steigen. Viele Beobachter hielten den deutschen Markt für Anbieter von Bezahlfernsehen aller Art für besonders schwierig - weil ja ohnehin jeder schon zahlt.

Dass es heute anders aussieht, hat verschiedene Ursachen. Da ist zum einen das finanzielle Machtverhältnis zwischen den globalen Konzernen und den deutschen Sendern, das sich besonders gut an den Sportrechten ablesen lässt. Zwar zeigen ARD und ZDF nun doch die Olympischen Spiele, beim deutschen Lieblingssport Fußball können die gebührenfinanzierten Sender aber nicht mehr mithalten. Die Champions League läuft von der kommenden Saison an erstmals komplett im Pay-TV.

Und auch all die viel gelobten Serien findet das eher junge, eher gebildete, eher urbane Publikum vor allem im Pay-TV. Dass ARD und ZDF mit ihren Serien-Versuchen bislang nicht mithalten können, liegt auch an der kreativen Behäbigkeit der Sender. Es gibt aber auch hier eine finanzielle Komponente: Dass die ARD gerade erstmals gemeinsam mit einem Pay-Sender eine Serie gedreht hat - Tom Tykwers opulentes Babylon Berlin - zeigt, dass man allein mit öffentlich-rechtlichem Geld nicht überall mitspielen kann. Babylon Berlin läuft diesen Herbst bei Sky, erst im Jahr drauf in der ARD. Dass man sich weiter verzichtbar macht, nimmt der öffentlich-rechtliche Sender für sein Prestigeprojekt in Kauf.

Die Deutschen lernen, für ihr Fernsehen zu bezahlen, womit man bei der technischen Komponente wäre, ohne die sich die Frage nach der Zukunft kaum beantworten lässt. Denn die Wahrheit ist: Wirklich kostenlos ist auch das klassische deutsche Fernsehen immer seltener. Im März dieses Jahres fand eine technische Umstellung statt, die zwar nur neun Prozent der deutschen Haushalte betraf, aber doch einen Kurswechsel bedeutete. Alle, die ihr Fernsehen über eine DVBT-Antenne empfangen, mussten auf den Standard DVBT-2 umstellen, in dem Privatsender wie RTL plötzlich kostenpflichtig wurden. 5,75 Euro kostet der Empfang künftig, dafür wird im schärferen HD ausgestrahlt.

Die Möglichkeit, mehr Sender oder TV-Bilder in einer höheren Auflösung zu empfangen, hat in den vergangenen Jahren schon viele Zuschauer zu zahlenden Kunden gemacht; die einen bezahlen ohnehin Kabelgebühr, bei Satellitenempfängern gibt es beide Varianten: Während das klassische SD-Signal kostenlos ist, müssen sie für HD-Bilder bezahlen. Das Bundeskartellamt hat die Sender verdonnert, bis mindestens 2022 auch ein kostenloses Signal zur Verfügung zu stellen, danach dürften die Privatsender es abstellen.

Auch der normale TV-Empfang ist längst für viele kostenpflichtig. Man hat sich ans Zahlen gewöhnt

Ob das 2022 so kommt, ist fraglich, die Zahl der HD-Nutzer ist dafür wohl noch zu gering; die privaten Sender brauchen möglichst viel Reichweite, um ihre Werbung verkaufen zu können. 64 Prozent der Haushalte sollen zwar via Satellit HD empfangen können, damit aber hauptsächlich die öffentlich-rechtlichen Programme sehen, für die keine Zusatzkosten anfallen. Dem Vernehmen nach sollen es bei den Privatsendern weniger als 20 Prozent sein.

Sofern man also den Rundfunkbeitrag außen vor lässt, wird das kostenlose Fernsehen in Deutschland wohl so schnell nicht völlig verschwinden. Tatsache ist aber, dass dank Kabelgebühr, DVBT-2 und HD-Satellitenempfang immer weniger Menschen wirklich kostenfrei fernsehen. Den Streaminganbietern und Pay-Sendern hat das den Zugang zum deutschen Markt erleichtert. Man hat gelernt zu zahlen.

Der klassische TV-Konsum ist laut Marktforschung bislang übrigens noch stabil. Das liegt auch daran, dass es heute für jede Zielgruppe einen eigenen Sender gibt, Sixx für Frauen, Sat 1 Gold für Senioren, RTL Nitro für junge Männer. Ein Erfolgsrezept dieser Kanäle ist übrigens ein gut bekanntes: Wiederholungen, das ganze Jahr.

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