Gleich zu Beginn des Gesprächs in einem Bonner Hotel will Heide Keller wissen, was sie denn falsch gemacht habe, dass sich die Süddeutsche Zeitung für sie interessiere. Man sagt ihr dann, dass sie nun, da sie als Chefstewardess Beatrice nach gut 36 Jahren das ZDF- Traumschiff verlasse, immerhin ein Stück deutscher Fernsehkultur repräsentiere. Aber so ganz will sie das nicht glauben, denn der Wolfgang Rademann habe in seiner bekannt schnoddrigen Art mal gesagt, wenn die Süddeutsche über ihn schreibe, müsse er überlegen, was er falsch gemacht habe. Da taucht er gleich am Anfang des Treffens auf, der Herr Rademann, jener Herr, der zwei der erfolgreichsten Reihen im deutschen Fernsehen erfunden hat, erst das Traumschiff, später die Schwarzwaldklinik. Er wird jetzt eine Stunde lang nicht mehr weggehen.
Vor bald zwei Jahren ist Rademann gestorben, aber im Gespräch mit Heide Keller ist er noch sehr lebendig. Er sitzt quasi mit am Tisch. Ganz oft schwärmt die 78-Jährige von ihm, von jenem Mann, der sie 1981 von einer eher mittelprächtigen Theaterkarriere weg auf das Traumschiff holte. Sie redet dann nicht selten im Präsens, und wenn man sie darauf hinweist, dann lacht sie laut und spricht spontan einen leeren Stuhl an, so als sei dieser der Herr Rademann. "Sag doch auch mal was", fordert sie dann.
Keller weiß natürlich, dass ihr Leben anders verlaufen wäre, hätte Rademann sie nicht entdeckt und engagiert für seinen Unterhaltungsdampfer, den er 1981 nach dem Vorbild der amerikanischen Serie Love Boat vom Stapel gelassen hatte. Damals war sie ein junger Hüpfer, der sich willig ablichten ließ in aufreizender Pose auf einem Surfbrett gemeinsam mit Sascha Hehn, der damals den Chefsteward spielte und nun in der letzten Keller-Folge am 1. Januar als Kapitän den Abschied seiner besten Kraft zur Kenntnis nehmen muss.
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"Einen Preis kriegen Sie nicht, aber Sie kriegen ein paar Titelbilder", lautete damals die Stellenumschreibung
Sascha Hehn war damals auch noch ein ziemlicher Niemand. Erst das Traumschiff und später die Schwarzwaldklinik machten seinen Namen zur Marke und ihn zum Hallodri der Nation. Da passte es gut, dass neben ihm eine agierte, die stets als seriöses Gegengewicht gesetzt wurde und bald mehr war als nur hübsches Beiwerk. Auch dazu hat Keller ein Rademann-Zitat über sich parat. "Wir haben sie als Kleiderständer engagiert, und jetzt hat sie sich entwickelt", habe er mal gesagt. So wie er halt war, der Rademann.
"Das Traumschiff ist sehr stark von seiner Seele geprägt", sagt Keller, und dann erzählt sie, dass sie keineswegs Rademanns erste Wahl war, dass sie eher auf Rang sieben rangierte, dann aber den Vorteil nutzte, dass sie früh dran war mit dem Vorsprechen. Da hat sie ihn wohl überzeugt. "Einen Preis kriegen Sie nicht, aber Sie kriegen ein paar Titelbilder", lautete damals die Stellenumschreibung.
Rademann wusste 1981 sehr wohl um die Sehnsüchte der Menschen, die er hemmungslos bediente. Er erfand im öffentlich-rechtlichen Rahmen quasi das Privatfernsehen, bevor es in Deutschland eingeführt wurde. Sein Traumschiff geriet dabei nie in stürmische See, es glitt stets bevorzugt durch seichte Gewässer und ist heute noch das, was es zu Beginn war: ein auf 90 Minuten gestreckter Film gewordener Groschenroman.
Das war in jenem Jahr ungewöhnlich, fügte sich aber in den allgemeinen Aufbruch der Zeit. Im Februar 1981 hatte Wetten, dass ..? Premiere gefeiert, im Sommer gingen hierzulande der Tatort-Kommissar Schimanski und die US-Soap Dallas an den Start. In den USA hob MTV ab, und in Bayern wurde Florian Silbereisen geboren. Man suchte nach neuen Ideen in den noch nicht von endlosen Sparrunden gebeutelten Sendern, und im ZDF zeigte man sich regelmäßig ein kleines Stückchen skrupelloser, wenn es darum ging, der ARD zu demonstrieren, wie das geht mit der leichten Unterhaltung.
Von Anbeginn an war das Traumschiff einem strengen Ritual verpflichtet. Zu dem gehören nach wie vor mehrere Erzählstränge, in denen mittelgroße Beziehungsprobleme verhandelt und immer gelöst werden. In einen der Stränge ist regelmäßig die Besatzung verstrickt, und in der Mitte des Films wird das jeweilige Reiseziel in klischeehafter Katalogqualität durchgeblättert. Am Ende steht das Captain's Dinner mit pathetischer Ansprache und dem von James-Last-Klängen untermalten Einmarsch des Küchenpersonals, das Torten mit Wunderkerzen durch den Saal trägt. Man tut der Serie sicherlich keinen Tort an, wenn man behauptet, dass die Geschichten nicht selten mit einem großen Einfaltspinsel auf den Bildschirm geklatscht werden. Subtilität und Metaebene muss man woanders suchen.
Dass sich so etwas durch die Jahre gehalten hat, während fast alles andere, was damals an den Start ging, entweder Geschichte ist oder stark an Bedeutung verloren hat, darf als kleines Wunder gewertet werden. Patin des Ganzen ist jedenfalls Heide Keller, weil sie als Beatrice zur ersten Stammbesatzung gehörte und nun von Bord geht. Auf eigenen Wunsch. "Als Alte weggehen wollte ich nicht. Ich wollte in Stöckelschuhen gehen", sagt sie und profitiert davon, dass man sie trotz des im Personalausweis hinterlegten Geburtsjahres 1939 nie in die Jahre kommen ließ. "Die Figur ist jung geblieben, weil ich das richtig fand", sagt sie und positioniert sich als Gegenbeweis für die These, dass das Fernsehen älteren Frauen keine Chance gibt. Nur mit der neuen HD-Technik, die seit ein paar Jahren das Licht auf dem Traumschiff dominiert, kam sie nicht klar. Das war früher besser, als noch auf Film gedreht wurde. "Mit dem neuen Licht kann man nicht mehr zaubern. Das gehört verboten für Frauengesichter über 30."
Ihre Beatrice hat auf jeden Fall alle überlebt. Liest man heute die Besetzungslisten der frühen Jahre, wirkt das in Teilen wie ein Gang über den TV-Friedhof. So viele sind gegangen. Nur Kellers Beatrice blieb an Bord auf den fünf verschiedenen Schiffen und mit den Legionen von Schauspielern, die Rademann stets mit der Aussicht auf eine große Kreuzfahrt mit kleinen Unterbrechungen für die nun einmal unvermeidlichen Dreharbeiten lockte. Auf die Art und Weise kamen auch solche, die sich ansonsten fürs Seichte zu schade waren.
"Ein Stück Fernsehgeschichte ist zu Ende gegangen" schrieb ihr Harald Schmidt nach der letzten Folge
Harald Schmidt, der von Rademann als Gentleman-Host geholt wurde und dann zum Kreuzfahrtdirektor avancierte, konnte sich nicht verkneifen, das schauspielerische Grundprinzip der Reihe in einen flotten Spruch zu gießen. "Drehort geht vor Drehbuch", hat er gesagt, und obwohl man das leicht als Schmähung all jener werten könnte, die ihr Herz ans Traumschiff verloren haben, hat ihm das niemand wirklich übel genommen. "Das hat ihm gefallen, dass ihm der Satz eingefallen ist", sagt Keller gnädig. Sie ist in der Hinsicht eine Instanz, denn seit der Jahrtausendwende schrieb sie unter dem Pseudonym Jac Dueppen öfter mal am Drehbuch mit, auch an dem der letzten Folge, in der sie dem Kapitän offenbart, dass sie hinter dem Tarnnamen steckt und einen Bucherfolg gelandet hat. Da verschwimmen dann die Ebenen tatsächlich ein bisschen. Und natürlich kommt auch wieder die Überfigur ins Spiel. "Rademann war ganz stolz, dass die doofe Keller gut schreiben kann", erinnert sie sich, stellt ihr Licht aber gleich wieder unter den Scheffel. "Ich habe nie den Eindruck erweckt, ich sei Goethe."
Nach dem letzten Drehtag hat sie Harald Schmidt eine SMS geschrieben. "Es ist vollbracht", stand darin. Schmidts Antwort war natürlich von äußerster Hochachtung geprägt. "Ein Stück Fernsehgeschichte ist zu Ende gegangen", schrieb er, dessen übersichtliche Mimenkunst sie charmant und treffend einordnet: "Er stellt sich als Schauspieler in die richtige Reihe." Mehr muss man da nicht sagen.
Natürlich hat sie geweint, als alles vorbei war, und noch ist ja auch noch nicht alles vorbei. Am Neujahrstag wird sie ihre letzte Folge anschauen. Danach will sie ihre alte Reiseschreibmaschine auspacken und ein Buch schreiben, das unter ihrem Namen im Herbst erscheinen soll. Kleine Geschichten, von ihrem Opa, von ihrem kleinen Bruder vielleicht und möglicherweise auch von dem Mann, der immer noch seine Hand über sie hält.
Fragt man Heide Keller, wie es für sie geworden wäre ohne Traumschiff, erwähnt sie erneut ihren Mentor. "Ich hätte wahrscheinlich weiter Theater gespielt und gehofft, dass einer wie Rademann kommt", sagt sie. Will man dann noch wissen, wie es mit dem Traumschiff weitergehen wird, jetzt, wo von der Urbesetzung nur noch der als Kapitän zurückgekehrte Sascha Hehn übrig ist und deutlich wird, dass solch ein Format eines aus der Urzeit des Fernsehens ist, antwortet sie hoffnungsvoll. "Die Redaktion wird versuchen, Rademanns Seele zu erhalten", sagt sie. Ahoi.
Das Traumschiff , ZDF, Neujahr, 20.15 Uhr.