Deutsches Fernsehballett:Teure Flamingoherde

Deutsches Fernsehballett

Die Tänzerinnen des MDR-Fernsehballett waren für manch einen eine "Augenweide". Jetzt steht das Ballett vor dem Aus.

(Foto: Andreas Lander/dpa)

Das Deutsche Fernsehballett steht vor dem Aus. Manche betrauern das Hinscheiden der "Hupfdohlen", aber vielleicht ist die Flamingo-Revue sowieso zu viel Puderzucker fürs Auge.

Von Joseph von Westphalen

Nachrichten aus einer anderen Welt: Das Deutsche Fernsehballett steht vor dem Aus. Zu teuer. Aha. Ich wusste mit der Meldung nichts anzufangen. Absolut nichts. Keine Bilder im Kopf. War ich der einzige Ignorant?

Hier hilft nur eine Blitzumfrage bei Freunden. Es muss nicht immer gleich Wikipedia sein. Ergebnis: Von sieben befragten Personen haben sechs noch nie etwas von einem "Deutschen Fernsehballett" gehört. Beruhigend, im Unwissen nicht so allein zu sein. Einer glaubte sich zu erinnern, dass in der grauen Vorzeit des Fernsehens in Quizsendungen von Hans-Joachim Kulenkampff Ballettbeine geschwungen wurden. Ein anderer ist heimlich mit dem Smartphone ins Netz gegangen, und widerlegt die Aussage des Zeitzeugen. Er liest vor, dass in Kulenkampffsendungen aus Kostengründen auf das Ballett verzichtet wurde. Es fallen die Namen Peter Frankenfeld, Wim Thoelke, Carolin Reiber. Alle versichern glaubhaft, diese Sendungen seinerzeit nie gesehen zu haben.

Dann der Sprung aus der nicht mehr zu bewältigenden Vergangenheit in die Gegenwart. Unsicher werden Namen wie Carmen Nebel und Florian Silbereisen ins Spiel gebracht. Haben die vielleicht etwas mit dem Deutschen Fernsehballett zu tun? Drei der sieben Befragten haben die Namen noch nie gehört. Keiner kennt die einschlägigen Sendungen, niemand weiß, wie Carmen Nebel aussieht, nur einer kann eine vage Beschreibung von Florian Silbereisen abgeben: freundliches Ohrfeigengesicht mit Föhnfrisur. Alter der Befragten: 25 bis 65. Die Alten sind zufrieden, dass die Jungen auf dem Gebiet auch nicht Bescheid wissen. Einer nennt die Revuetänzerinnen "Hupfdohlen".

Keine nostalgischen Gefühle

Jetzt ist ein Blick ins Internet doch unvermeidlich. Und eine Korrektur. Dohlen sind das nicht. Wenn schon Federvieh, dann Flamingos. Diese fremden Vögel stehen einem allerdings immer noch näher als das Ballett. Wenn ich lesen oder hören würde, dass ein Zoo beschlossen hat, sich von seiner Flamingoherde zu trennen, weil die langbeinige Geschöpfe in der Unterhaltung zu teuer sind und von immer weniger Opas mit ihren Enkeln bewundert werden, würde ich das mit mehr Bedauern zur Kenntnis nehmen als das Hinscheiden der Tanztruppe. Auch beim bestem Traditionserhaltungswillen und kann ich keine nostalgischen Gefühle aufbringen.

So kalt und herzlos will man aber auch nicht sein. Immerhin dienten all diese Sendungen irgendwelchen guten Zwecken. Aktion Sorgenkind. Krebshilfe, all das. Muss man das respektieren? Schweißt das nicht Millionen von Menschen jahrelang am Samstagabend friedlich zusammen? Muss man dafür nicht die grässliche und krampfhafte Verbreitung von guter Laune in Kauf nehmen? Bücher fallen einem ein, die geschrieben werden müssten: Sozialgeschichte des Miefs und des schlechten Geschmacks.

Nein, man will nicht mit so arroganten Vokabeln kommen wie Harald Schmidt seinerzeit mit dem "Unterschichtenfernsehen". (Die Unterhaltungsklassiker aus den 1960er bis 1980er Jahren dürfte Schmidt damit gar nicht gemeint haben, an denen hat er sich eher gelabt.) Man ist auch noch nicht alt und bockig genug, so wunderbar pauschal wie Marcel Reich-Ranicki 2008 in seiner Rede zur Ablehnung des Deutschen Fernsehpreises das Gros der Fernsehunterhaltungssendungen als letzten Dreck abzutun. Obwohl es verlockend wäre, sich Worten des alten Wüterichs anzuschließen. Andere anonyme Alte trauern und beklagen in erstaunlich rüstigen Internetkommentaren das Hinscheiden ihres geliebten Balletts, das sie als "Augenweide" empfunden haben und als gerechte Entschädigung für immer unverständlicher werdende Tatortkrimis.

Unschöne Bewegungslosigkeit

Vielleicht sollte man das drohende Ende des DFB als ein popkulturelles Phänomen ernster nehmen. Das Kürzel DFB wurde dem Ballett übrigens gerichtlich verboten, weil der Deutsche Fußball-Bund DFB göttergleich kein identisches Kürzel neben sich dulden wollte. Wenigsten im Abgang und Abgesang mögen der Tanztruppe die drei Buchstaben gegönnt sein. Vielleicht kündigt sich hier ein Umbruch in der Fernsehlandschaft an. Handelt es sich um den Vorboten eines Artensterbens, das man in der wenig urigen Welt der Medien eher als ein Formatsterben bezeichnen müsste? Werden demnächst auch Unterhaltungssendungen wie Wetten dass ..? eingestellt werden?

In unschöner Bewegungslosigkeit vor der Glotze sieht man gern beweglichen und gelenkigen Körpern zu. Daher auch die Beliebtheit von Sportsendungen. So schlimm wie Rennrodeln war das Deutsche Fernsehballett aber nicht. Es war und ist sauberer als jeder Sport. Es gibt keinen hässlichen Dopingverdacht, keine Urinproben, keine kriminellen Sportärzte und verlogenen Funktionäre. Und die unvermeidlichen Begattungsandeutungen des Balletts sind sehr viel weniger lächerlich als die aufeinanderklebenden Rennrodlerpaare, die an kopulierende Mistkäfer erinnern.

Wenn nur die massive Stimmungsmache und die puderzuckerartige Musik und nicht wären! Aber vielleicht waren Revuetänze schon in ihrer Blütezeit im späten 19. Jahrhundert entnervend und haben nur durch die Bilder von Toulouse-Lautrec einen unverdienten Charme bekommen. Erstaunlich flotte Fitnessakrobatik hat das DFB aber auch im Programm.

Mitgift des MDR

Das Deutsche Fernsehballett ist ein Kind der DDR. Vor über 50 Jahren wurde es dort gegründet. Der Mitteldeutsche Rundfunk hat es nach der Wiedervereinigung als Mitgift in die ARD eingebracht. Wer Studien zur Verschiedenheit und Verschmelzung der ost- und westdeutschen Spießigkeit betreiben möchte, sollte sich alte und aktuelle Auftritte des DFB anschauen. Bei Youtube gibt es genügend zu sehen.

Das DFB ist schon seit längerem in privater Hand und wird von den Sendern nur gebucht. Es gab zu wenig Aufträge. Der Geschäftsführer geht davon aus, dass das Ballett das Frühjahr nicht überlebt. Lassen wir das Lästern. Man kann sich ein Fernsehen vorstellen, bei dem man sich an volkstümliche Sendungen zurücksehnt.

Im vorigen Jahr tanzte das DFB vor dem Diktator von Tschetschenien. Das brachte der Truppe viel Kritik. Nein sagen ist schwer, wenn man Geld braucht. Diktatoren mögen Ballett und Frauen mit langen Beinen und zahlen gute Honorare. Vielleicht sollte das DFB bei Putin anfragen. Internationale Fernsehübertragung des Spektakels von Moskau aus. Dann aber bitte keine künstliche Can-Can-Ausgelassenheit, sondern mit ein paar feurig blasphemischen Pussy Riot Nummern die ganze Welt auf die inhaftierten Regimegegnerinnen aufmerksam machen. Nur dieser Auftritt könnte das Deutsche Fernsehballett noch retten.

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