Es war 23.45 Uhr und die Show eigentlich zu Ende, von der Studiodecke löste sich bereits das erste Konfetti. Die verfrüht fallenden Glitzerfetzen purzelten herab auf eine Frau, der noch nicht zum Feiern zumute war. Maren Kroymann, Ehrenpreisträgerin des Abends, hatte noch ein Anliegen. Eines, das bestimmt einige im Saal teilten, das aber nur die Kabarettistin ansprach. Kroymann adressierte den "Elefanten im Raum" - so bezeichnete Laudatorin Hazel Brugger kurz zuvor den Komiker unter ihnen, gegen den es Anschuldigungen wegen grenzüberschreitenden Verhaltens gibt, den die deutsche Comedybranche aber monatelang ignoriert hatte.
Vor Kroymann hatten Hazel Brugger und ihr Ehemann das erste Zeichen des Abends gesetzt. Sie trugen Shirts mit dem Schriftzug "Konsequenzen für Comedian XY", angelehnt an das Hashtag #KonsequenzenFürLuke, unter dem Social-Media-Nutzer seit Monaten Forderungen posten, die Anschuldigungen gegen Luke Mockridge aufzuarbeiten. Dem Komiker warfen mehr als zehn Frauen in einem Spiegel-Bericht grenzüberschreitendes Verhalten bis hin zu sexuellen Übergriffen vor. Mockridge bestreitet die Vorwürfe, die Staatanwaltschaft hat die Ermittlungen mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt. Brugger und Co. haben seitdem dennoch mehrfach ihre Solidarität mit den anklagenden Frauen betont. Gleichzeitig kritisieren sie die Rückendeckung für Mockridge, auch aus der Comedyszene.
Interview:"Als Frau achte ich genau darauf, wie Frauen erzählt werden"
Schauspielerin Alwara Höfels über Rollenstereotype im deutschen Film, den alten weißen Mann und die Serie "Mein Freund, das Ekel", in der sie eine alleinerziehende Analphabetin spielt.
Auf der Rückseite der Shirts, mit denen Brugger und ihr Mann bei der Comedypreis-Gala aufkreuzten, schreiben sie: "Künstler ohne Rückgrat sind Künstler ohne Geschmack".
Die Veranstalter des Preises des Cologne Comedy Festivals ließen Moderator Steven Gätjen eine schriftliche Erklärung vorlesen, warum Mockridges Netflix-Serie ÜberWeihnachten nachträglich von einer Nominierungsliste gestrichen wurde - "aufgrund der öffentlich geführten Diskussionen", hieß es darin. Details wurden darin nicht genannt.
Kroymann übersprang die übliche Dankesrede und fand deutliche Worte
Daran störte sich die frisch gekürte Ehrenpreisträgerin Kroymann so sehr, dass sie in ihrer Rede die üblichen Dankesworte übersprang und deutliche Worte fand: "Ich hätte gerne gehabt, dass Verantwortliche für diesen Preis - und auch von dem Sender - die Eier gehabt hätten, zu sagen: Wir solidarisieren uns nicht nur mit unserem beliebten Künstler, sondern mit den Frauen, die betroffen sind." Weiter sprach sie den Wunsch aus, die Frauen zu respektieren und ihren Geschichten Glauben zu schenken.
Luke Mockridge war jahrelang das Gesicht von Sat 1 - dem Sender, gegen den Kroymann gerade zum Rundumschlag ausholte. "Geht's noch jemandem so wie mir, dass ich Frauen einfach vermisst habe auf der Bühne?", fragte sie nach der mehr als dreistündigen Gala in den Saal hinein. "Und wer hat sich das Kleid ausgedacht, das die fabelhafte Kollegin trägt, die die Preise bringt?" 13 Jahre sind vergangen, seit Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki den Fernsehpreis für sein Lebenswerk auf der Bühne abgelehnt hatte. Kroymanns Moment ist bedeutsamer, weil sie es eben nicht tat. Was nämlich hängen bleibt, sind keine persönlichen Befindlichkeiten, sondern der Inhalt ihrer Rede, in der Kroymann, die Diskriminierung als lesbische Medienmacherin nur zu gut kennt, für alle Frauen einstand, nicht nur für die aus ihrer Branche.
Die einzige in der Kategorie Podcast ausgezeichnete Frau blieb zuhause und hütete die Kinder
Es ist nicht das erste Mal, dass speziell der Comedypreis in der Kritik steht, Frauen zu benachteiligen. Im vergangenen Jahr schob man eine Kategorie für weiblich geprägte Podcasts hinterher, nachdem in der ursprünglich herausgegebenen Nominierungsliste weniger Frauen aufgetaucht waren (keine) als Menschen, die Thomas Schmitt heißen (zwei). Auch um Shitstorms wie diesen künftig zu verhindern, legte man die Bürde der Nominierung in diesem Jahr vollständig in die Hand der Fans, die im Vorfeld für ihre Favoriten online abstimmen konnten. Resultat: In der aus unerfindlichen Gründen erneut gemischten Podcast-Kategorie schaffte es diesmal eine Frau auf die Liste - Amira Pocher, als Co-Moderatorin der Sendung, die sie mit ihrem Mann Oliver betreibt. Der erschien zur Verleihung allerdings allein, weil - kein Scherz - Amira zuhause saß und auf die Kinder aufpasste.
Auch ansonsten kann man sich fragen, ob eine Preisverleihung noch Sinn ergibt, die man angesichts des nun vollends basisdemokratischen Abstimmungsverfahrens und der ereignisarmen Show genauso gut mithilfe einer Teletext-Umfrage durchführen könnte. Der lästige Pflichttermin, den diesmal neben Dauer-Schwänzern wie Jan Böhmermann unter anderem auch die Gewinnerin Carolin Kebekus sausen ließ, wird wohl kaum einem abgehen, wie an den vielen müden Gesichtern im Saal abzulesen war. Selbst der als bester Newcomer ausgezeichnete Kawus Kalantar wirkte mehr verdutzt als ausgelassen freudig, als man ihn zu seiner Überraschung auf die Bühne rief.
Ja, man kann definitiv Besseres mit seiner Zeit anfangen, als den Comedypreis zu verfolgen. Maren Kroymann hatte auch dazu Ideen. "Ernährt euch gesund, umarmt Bäume, macht Yoga, habt guten Sex", gab sie jungen Künstlerinnen mit auf den Weg, nachdem sie im Alter von 72 gerade die versammelte Branche aufgerüttelt hatte. "Achtet auf euch, damit ihr noch nicht tot seid, wenn euch die späte Ehrung erreicht."