Deutsche TV-Krimis im Frauenrausch:Die neuen Ermittlerinnen

Frauenpower bei der Polizei: Isabell Gerschke, Lisa Martinek und Stefanie Stappenbeck beleben den deutschen Fernsehkrimi und überwinden Klischees.

Cathrin Kahlweit

Sie ist klein, natürlich ist sie klein, das sieht man selbst im Fernsehen, wo Menschen oft wie Riesen wirken, die in Wirklichkeit zerbrechlich und schmal sind. Sie denkt so schnell, wie sie isst und spricht, und sie ist auf dem Sprung: Stefanie Stappenbeck, die sich deutschen Krimifans als ehemalige Bundeswehrsoldatin in drei Folgen des Polizeirufs 110 ins Herz spielte, muss an den Set.

TV-Kommissarinnen

Im deutschen Fernsehen ermitteln drei neue, "echte Frauen": Stefanie Stappenbeck, Lisa Martinek und Isabell Gerschke.

Sie dreht im bayerischen Oberland einen Montagskrimi für das ZDF, ein Verbrechen im Dunst von Familiengeheimnissen, und sie, die junge Literaturagentin, glaubt als Einzige nicht, dass der Tote auf natürliche Weise gestorben ist.

Ein schönes Projekt, aber natürlich trauert sie dem Polizeiruf hinterher. Polizeiruf, das ist prestigereich wie der Tatort, das ist deutsche Fernsehtradition, deutsches Exportgut, das bringt mehr Aufmerksamkeit als fünf andere Projekte zusammen. Polizeiruf 110, eine der beliebtesten Krimi-Reihen des Öffentlich-Rechtlichen, ist ein ehemaliges Ost-Gewächs; seit 38 Jahren werden darin nun schon Kriminalfälle gelöst, bis zur Wende nur in der DDR, dann bundesweit.

Vorzeitiger Ruhestand

Allerdings findet man die junge, blonde Berlinerin Stefanie Stappenbeck nicht mehr in der Ausgabe aus München. Ihr Partner Jörg Hube ist gestorben, woraufhin das Dreamteam Stappenbeck-Hube aufgelöst und die Ermittlerin Ulrike Steiger schnell in den vorzeitigen Ruhestand geschickt wurde.

Sie hat genug anderes zu tun, so ist es nicht, gerade erst kommt sie, müde und ungeschminkt, von einem Casting in Paris, ihr erstes internationales Projekt mit dem Regisseur Jeremy Leven, sie ist stolz und ein bisschen aufgeregt. Dabei hat sie mit elf Jahren ihren ersten Film gemacht, wurde als beste Nachwuchsschauspielerin gekürt, hat die Goldene Kamera und den Deutschen Fernsehpreis, aber nun braucht es neue Herausforderungen. Ein Film mit Ulrich Tukur wäre schön, sagt sie, oder mit ein paar "tollen Frauen".

Mit zwei tollen Frauen, wie sie findet, steht derzeit ihre Kollegin Lisa Martinek für Das Duo im ZDF vor der Kamera. Elegant, im siebten Monat schwanger und sehr zufrieden sitzt sie vor dem Dreh in einem Hamburger Hotel; sie dreht gerade eine neue Folge gemeinsam mit Co-Ermittlerin Charlotte Schwab und Nina Kunzendorf als Verdächtige. Es geht um Geld in Zeiten der Finanzkrise, und um Liebe geht es auch, denn Martinek alias Kommissarin Clara Hertz hatte ein Verhältnis mit dem Chef der Bank, in dem die Tote gefunden wird.

Echte Frauen statt konsturierter Wirklichkeit

Lisa Martinek schätzt die Ambivalenz in ihrer Rolle, diese einsame, suchende Polizistin. Sie selbst lebt in sehr geordneten Verhältnissen, ist glücklich verheiratet, macht in der Regel nur vier Filme im Jahr, davon zwei Krimis. Aber an Clara Hertz mag sie das Singledasein, ihre Figur kommt aus chaotischen Familienverhältnissen, leidet an Bindungsangst. "Als Clara", sagt sie, "bin ich schnell im Denken und Handeln, aber das birgt die Gefahr von Flüchtigkeitsfehlern."

Die Figur hat sie selbst mitentwickelt, und sie liebt es, wenn es hoch hergeht. "Wenn ich nur sagen kann: Wo waren Sie gestern zwischen 20 und 22 Uhr?, dann habe ich nichts zu spielen." Mitreden, kreativ sein dürfen, sagt sie, sei eminent wichtig: "Auf dem freien Markt kann ich ein Drehbuch ablehnen, aber bei einer Reihe bin ich verpflichtet, den Film zu drehen, selbst wenn mir das Buch nicht gefällt. Und weil Charlotte Schwab und ich für eine Reihe stehen, versuchen wir, soweit als möglich für die Qualität zu kämpfen - für den Humor, der die Kommissarinnen ausmacht, und für ihre Eigenarten."

Humor, Eigenarten, Spiel, Emotionalität, eine Geschichte hinter der Geschichte - das ist ein Teil des Charmes dieser jungen Polizistinnen, deren Privatleben nicht nur wie Staffage wirken soll, so wie es bisweilen Kind und Mitbewohner in den Tatort-Krimis mit Maria Furtwängler tun.

Wirklichkeit und Klischees

Überhaupt: Krimis sind, so scheint es, der Deutschen liebste Fernsehbeschäftigung - wohl auch deshalb, weil rund um ein schön-schauriges Verbrechen im besten Falle ein wenig soziale Wirklichkeit abgebildet ist, manchmal aber nur das Klischee davon. Und weil zur sozialen Wirklichkeit in Deutschland heute auch starke Frauen gehören, schmücken die Redaktionen ihre Krimi-Reihen seit einigen Jahren zunehmend mit jungen, starken Polizistinnen, Profilerinnen und Polizeipsychologinnen.

Ulrike Folkerts und Maria Furtwängler mögen noch die Quotenköniginnen des Tatorts sein, und die herbe Hannelore Hoger als Bella Block oder die immer etwas mürrisch wirkende Sabine Postel als Bremer Kommissarin mögen ihre Position behaupten, aber der Generationenwechsel ist unverkennbar und unausweichlich.

Als die wunderbare Fotokünstlerin Herlinde Koelbl 2004 für eine Ausstellung in Berlin 15 prominente Fernsehkommissarinnen fotografierte, da inszenierte sie ihre Modelle - laut Begleittext - als Ikonen und Klischeebilder einer starken Weiblichkeit. Sie wählte dafür jene Fernseh-Berühmtheiten, die die alten Herren, den Alten und Derrick, abgelöst hatten - Iris Berben, Hannelore Elsner oder Senta Berger. Insgesamt 121 Schauspielerinnen waren im Buch zur Ausstellung gelistet, die in Kino und TV bereits ermittelt hatten. Mittlerweile aber müsste Koelbl ihre Fotogalerie grundlegend überarbeiten.

Denn zum Beispiel die Hallenser Beamten Schmücke und Schneider alias Jaecki Schwarz und Wolfgang Winkler haben mittlerweile eine rasante Blondine hinzubekommen: die Potsdamerin Isabell Gerschke. An diesem Sonntag ist sie in der Polizeiruf-110-Folge "Risiko" zu sehen (ARD, 20.15 Uhr), es geht um den Mord an einer Schülerin aus guten Verhältnissen, und Gerschke spielt die beiden gesetzten Herren, an deren Seite sie ermittelt, mit ihren großen Augen und ihrer brennenden Neugier an die Wand.

Gerschke ist neu in der Truppe aus Halle, und sie war, da ist sie ehrlich, ganz froh, dass das geklappt hat: "Im vergangenen Jahr lief es in den ersten Monaten so schlecht, dass ich dachte, ich kriege vielleicht kein gutes Angebot mehr. Es gibt ja solche Zeiten." Isabell Gerschke ist eigentlich Tänzerin, also hätte sie wieder mehr Tanzunterricht gegeben, das wäre auch okay gewesen - aber dann kam die Rolle als Polizistin, und plötzlich folgten auch wieder andere Angebote. "Ich könnte bis Weihnachten pausenlos drehen, aber ich habe eine Tochter, die jetzt eingeschult wird. Da überlegt man sich zweimal, was man annimmt."

Gerschke ist, was die Bühne des Lebens angeht, ein 31-jähriger Dinosaurier: Sie tanzt, seit sie vier ist, und als Zwölfjährige trat sie, zu DDR-Zeiten, in der Studiotour der Defa als Stepperin auf. Auf dem Schulhof wurde sie fürs Fernsehen gecastet, und als es dem Schuldirektor zu viel wurde mit der TV-Karriere der jungen Frau, da wechselte sie kurzerhand die Schule. Sie wollte mal Musical studieren, aber dann wurde es doch moderner Tanz, Schauspiel hat sie nie richtig gelernt.

Primadonna oder Polizistin?

"Wenn heute Kollegen fragen, auf welcher Schauspielschule warst du denn, und ich sagen muss, auf keiner, dann denke ich manchmal: Die haben recht, ich kann das gar nicht." Aber solche Anfälle vergehen, vor allem vor der Kamera, die sie bisher besser kennt als die Bühne beim Spielen. "Die Sprache im Theater ist eine ganz andere, ich hätte vielleicht das Gefühl, sie entfremdet mich von mir selbst, macht mich unauthentisch - eine Berührungsangst, aus übergroßem Respekt dem Theater gegenüber."

Wenn es nach dem Fernsehen geht, liegt auch die öffentliche Sicherheit Deutschlands zunehmend in den Händen von Frauen: In Rostocks Polizeiruf ermittelt eine junge Blondine, die kantige, energische Anneke Kim Sarnau. Jung, blond und tough ist auch Caroline Peters in den Eifel-Krimis Mord mit Aussicht. Und auch Stefanie Stappenbeck, gut beschäftigt und schwer verliebt, viel auf Reisen, auf der Suche nach Abenteuern und eigentlich kein Typ für eine lange Reihe mit vielen Dauerverpflichtungen, denkt derzeit wieder darüber nach, welcher Krimi als Nächstes kommen könnte.

"Man könnte doch zum Beispiel eine Journalistin und eine Polizistin zusammenspannen? Die eine hört was und gibt der anderen einen Tipp?" Komödien, Theater - und dann wieder Krimi, die Abwechslung, das ist ihr Traum. "Als Polizistin steht man oft nicht nur vor emotionalen, sondern auch vor körperlichen Herausforderungen, man gerät in extreme Situationen. Das erste Mal schießen zum Beispiel - das kostete Überwindung!"

Drehen in den Ferien

Sie spielt, seit sie als Elfjährige auf dem Schulhof angesprochen wurde. Das DDR-Fernsehen vereinnahmte das junge Mädchen, sie stand während der Schulzeit immer wieder vor der Kamera, und wenn es eng wurde mit den Noten, dann während der Sommerferien. "Wenn du Schauspielerin sein willst", sagte ihre Mutter, "dann geh' in eine Theatergruppe."

Stattdessen holte Thomas Langhoff die schmale Blondine an das Deutsche Theater in Berlin, mit der Schauspielausbildung wurde es nichts. "Macht nichts", sagt sie heute und lacht, "ich habe Körperarbeit und Gesang trainiert, und mich schauspielerisch weiterentwickelt, und je länger ich das mache, desto mehr Spaß macht es. Heute kann ich selbstbewusst sagen, ich bin Schauspielerin, und ich würde bei Gott nichts anderes wollen."

Tanzen, noch mehr tanzen, vom Primadonnenleben träumen, die Hochschule für Musik und Theater in Hamburg absolvieren, Kurzfilme drehen, dann doch erstmal beim Theater landen - auch Lisa Martinek hat in den vergangenen 20 Jahren viel ausprobiert und ist heute, mit 38, verdammt froh, dass alles so gut läuft.

"Wenn wir ehrlich sind, nehmen die Angebote nicht zwingend zu, wenn man älter wird", umso dankbarer ist sie, dass sie sich derzeit so vielseitig ausprobieren kann. "Wie viele Menschen gibt es, die glücklich mit ihrem Beruf sind?", fragt Martinek und fügt umgehend an, sie sei es, denn: "Ich wollte einen Beruf haben, bei dem ich kein Hobby brauche und mich nicht jeden Tag auf den Feierabend freue."

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