Süddeutsche Zeitung

Deutsche Serie:Schaut auf diese Kleinstadt

"Dark" ist die erste deutsche Netflix-Eigenproduktion. Die Erwartungen sind hoch. Jetzt hatten die ersten beiden Episoden in Toronto Premiere.

Von Patrick Heidmann

Gleich zwei Weltpremieren feierte Netflix an diesem Wochenende beim Filmfestival in Toronto, und sie hätten unterschiedlicher nicht sein können. Am Freitag präsentierte Superstar Lady Gaga mit einer Piano-Einlage vor 2000 Zuschauern den Dokumentarfilm Gaga: Five Foot Two. Nur ein Zehntel so viele Plätze hatte der Saal, in dem tags darauf die Uraufführung der ersten beiden Folgen der Serie Dark stattfand. Doch für die Netflix-Chefs, so hörte man es in Branchenkreisen, war es die deutlich bescheidenere Premiere, der das Hauptaugenmerk galt.

Dark ist die erste rein deutsche Eigenproduktion des Unternehmens; zehn Episoden umfasst die erste Staffel, produziert von der Firma Wiedemann & Berg, geschrieben und inszeniert von Jantje Friese und dem Schweizer Baran bo Odar, die schon für den Cyber-Thriller Who Am I - Kein System ist sicher zusammenarbeiteten. Man verspricht sich viel von der Serie, nicht nur was die Verankerung des Streamingdienstes auf dem deutschen Markt angeht, sondern auch mit Blick auf das internationale Publikum. Netflix-Chef Ted Sarandos persönlich soll großer Fan sein.

"Macht eine gute Serie", sei die einzige konkrete Anweisung von Netflix gewesen, berichtet Odar. Inhaltlich betritt Dark mit der Geschichte des fiktiven Örtchens Winden, in dem 33 Jahre nach einem ungeklärten Fall erneut mehrere Kinder verschwinden, nicht wirklich Neuland. Das Grauen lauerte schon bei Twin Peaks in der Provinz, die Serie nennen Friese und Odar als eine Inspiration, neben Fotoarbeiten von Gregory Crewdson. Es gibt allerlei Bezüge zu Stephen King (die an Shining gemahnenden Hotelflure!) und mit der Verquickung von Kleinstadtdrama und Mystery-Thriller hatte Netflix schon bei The O. A. und Stranger Things Erfolg. Selbst die Achtziger-Nostalgie hat in Dark ihren Platz.

Zumindest in den ersten beiden Folgen tut der Mangel an Innovation dem Gelingen keinen Abbruch, denn Atmosphäre und Spannung werden sorgfältig aufgebaut. Für die Einführung des Personals - zum umfangreichen Ensemble gehören unter anderem Louis Hofmann, Oliver Masucci, Jördis Triebel und Angela Winkler - nimmt sich die Serie viel Zeit, doch das Tempo zieht schon in der zweiten Episode an. Den kinotauglichen Look, der wenig gemein hat mit deutschem Serien-Einerlei, kombinieren Friese und Odar mit gutem Gespür fürs serielle Erzählen. Keine Frage, sie beherrschen die Technik des Cliffhangers am Ende jeder Folge.

Der Applaus in Toronto und die Publikumsreaktionen waren vielversprechend und lassen erahnen, dass Dark das Potential hat, auch außerhalb Deutschlands ein Publikum zu finden. Ob sich die in Dark gesetzten Erwartungen erfüllen, wird man auch bei Netflix erst in der Adventszeit wissen. Dann wird die Serie aller Voraussicht nach weltweit im Stream verfügbar sein. Und vorher erfährt auch niemand, was es wirklich damit auf sich hat, dass man sich am Ende der zweiten Folge plötzlich in einer anderen Zeitebene wiederfinden - damals, als der Schokoriegel Twix noch Raider hieß.

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Quelle:
SZ vom 11.09.2017
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