Deutsche Debattenkultur:Wenn nur noch Frauke Petry reden will

Deutsche Debattenkultur: "Schade, dass der MDR es nicht durchgezogen hat", konnte Frauke Petry nach Absage der MDR-Sendung sagen.

"Schade, dass der MDR es nicht durchgezogen hat", konnte Frauke Petry nach Absage der MDR-Sendung sagen.

(Foto: AFP)

Die Empörung über einen Tweet des Radiosenders MDR Sachsen lief wie nach Drehbuch ab. Am Ende stehen die Rechten zu oft als die Souveränen da.

Kommentar von Kathleen Hildebrand

Wenn im Deutschland des Jahres 2018 über polarisierende Themen diskutiert werden soll, dann läuft das sehr oft so ab: Die Besonnenen und die Extremen werden an einen Tisch gerufen, sie geben sich gesprächsbereit. Dann kommt die eine Provokation, die dann doch zu viel ist. Die Besonnenen sagen ab. Am Ende stehen die Provokateure von rechts außen als die Souveränen da. Vor allem aber wird: nicht geredet.

Das jüngste Beispiel für diese Empörungsspirale liefert die Hörer-Diskussionssendung "Dienstags direkt" des Radiosenders MDR Sachsen. Sie sollte sich der im typischen Talkshow-Modus formulierten Frage "Politisch korrekt oder korrekt politisch?" widmen. Am Ende wurde sie ein paar Stunden vor Beginn abgesagt, weil zwei der vier geladenen Gäste nicht mehr diskutieren wollten.

Was war passiert? In einem Tweet, der für die Sendung werben sollte, stellte der MDR Sachsen die Frage "Darf man heute noch 'Neger' sagen?" Es gab heftige Kritik, der Sender musste sich entschuldigen. Zwei der Diskutanten, die sächsische Landtagsabgeordnete der Linken, Kerstin Köditz, und der Politikwissenschaftler Robert Feustel, sagten ab. Das Thema sei in eine Richtung gedreht worden, die vollends indiskutabel sei. So weit, so richtig. Die Sache ist nur: In der Folge konnte die ehemalige AfD-Politikerin Frauke Petry, die ebenfalls eingeladen war, beteuern, wie sehr sie bedaure, dass die Sendung nicht stattfinde. Sie hätte doch so gern mit der Gegenseite diskutiert. Die Linken stehen als überempfindliche Schmollbacken da, die Frau von rechts außen als die einzige mit Mut.

Möglichst großer Knall, möglichst hohe Prominenz

Das Traurige ist, dass am Anfang dieser exemplarischen Geschichte eines gescheiterten Ideenaustauschs bestimmt nur die allerbesten Absichten standen. "Politische Korrektheit" - man könnte auch sagen: der Respekt vor Minderheiten und die Absicht, sie nicht mit Sprache zu diskriminieren - ist ein Thema, das viele Menschen beschäftigt. Manche fürchten, dass durch zu viele Regeln die Meinungsfreiheit beschnitten werden könnte, andere die Verrohung des Diskurses. Darüber lohnt es sich zu diskutieren.

Doch schon bei der Besetzung so einer Diskussionsrunde geht es los. Wen lädt man ein? Experten, die abwägen und relativieren? Schalten die Zuschauer dann nicht weg? Lädt man Betroffene ein, also Angehörige von Minderheiten? Oder sind die im Zweifel nicht prominent genug, wobei man natürlich fragen kann, woran das nun wieder liegt. Am Ende solch redaktioneller Erwägungen siegen meist die Regeln der Aufmerksamkeitsökonomie: Möglichst großer Knall, möglichst hohe Prominenz. Und dann wird Frauke Petry eingeladen und, wie im aktuellen Fall, der sehr konservative frühere Journalist Peter Hahne.

Es ist diese Besetzung, die man dem MDR zum Vorwurf machen kann. In sie ist Vorbereitung geflossen, über sie wurde gewiss nachgedacht. Nur eben nicht gründlich genug. Der Tweet hingegen, der die Empörung ausgelöst hat, ist etwas anderes. In ihm zeigt sich nicht mehr als der verunglückte Versuch, mit einem Reizwort Aufmerksamkeit zu erregen. Der MDR hat eingeräumt, dass das ein Fehler war. Das sollte reichen.

Aber letztlich war er es, der zur Absage von Kerstin Köditz und Robert Feustel geführt hat. Die Absage der besonnenen Diskutanten gehört zum Skript des fehlgeschlagenen Debatten-Versuchs. Auch das ist Diskussionskultur 2018: Man spricht nicht mit den Schmuddelkindern. Und das ist in diesem Fall schade. Denn wer bereit ist, mit Frauke Petry zu diskutieren, wird wohl auch einen verunglückten Tweet des gastgebenden Senders im Gespräch kritisieren können. Köditz und Feustel hätten auf den Fehler des Senders hinweisen können. Das wäre kurz unangenehm gewesen. Und vielleicht gerade deshalb sehr effektiv.

Zugegeben: Natürlich wäre auch dieser Kommentar hier nie geschrieben worden, wenn es den Tweet vom MDR Sachsen nicht gegeben hätte. Die Regel, nach der Aufmerksamkeit vor allem über Empörung und Streit statt über Ausgleich und Verständnis entsteht, funktioniert, keine Frage. Aber wenn sie dazu führt, dass am Ende gar nicht mehr geredet wird, dann zerstört sie die Debattenkultur.

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