"Der Zorn junger Männer" im BR:Tritt ins Gesicht

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Im Antigewalttraining probieren Straftäter die Opferrolle aus. (Foto: BR/filmworks/Waldemar Hauschild)

Die Doku "Der Zorn junger Männer" begleitet ein Jahr lang jugendliche Gewalttäter. Wer dranbleibt, sieht erstaunliche Eindrücke.

Von Martin Schneider

Ilja sagt, er sei übermütig gewesen, deswegen habe er jetzt die Gerichtsverhandlung. Übermütig bedeutet: 20 Tritte auf ein am Boden liegendes Opfer (Ilja: "Ja, das waren aber auf keinen Fall 20 Tritte"), Jochbeinbruch, ein Jahr und vier Monate ohne Bewährung. Ilja ist keine 20 Jahre alt.

Am Dienstagabend um 22:45 Uhr sendet der Bayerische Rundfunk im Rahmen seines Themenabends "Jugend und Gewalt" eine Dokumentation: Der Zorn der jungen Männer heißt der Film von Uli Kick und er beginnt maximal langweilig.

Ein kahler Raum mit Stuhlkreis, Holzboden und Holzwänden, in dem ein sogenanntes Anti-Aggressionstraining stattfindet. Das AAT ist eine Auflage, die Gerichte jugendlichen Gewalttätern aufgeben können. Wer einmal fehlt oder nicht teilnimmt, wandert in der Regel sofort ins Gefängnis.

Der Film begleitet dieses einjährige Training einer Gruppe mit neun jungen Männern. Kein Off-Kommentar, nur O-Töne. Das reicht völlig.

Man muss als Zuschauer ein bisschen kämpfen, weil der 90-Minuten-Film vielleicht eine halbe Stunde zu lang geworden ist. Das ist dann aber auch die einzige Kritik, die verfängt, denn wenn man dranbleibt, bekommt man erstaunliche Eindrücke in die Lebens- und Gedankenwelt dieser jungen Männer, die alle einen oder mehrere Opfer krankenhausreif geschlagen haben.

Die Teilnehmer vergessen irgendwann einmal, dass die Kamera dabei ist

Die große Leistung dieses Films ist es, keine Antworten für etwas zu liefern, wofür es keine Antworten gibt. Klar sind da Aspekte, die man bei dem Thema erwartet. Gewalt in der eigenen Familie. ("Ich hab von meinem Vater ein paar Mal mit der Faust eine bekommen. Aber das ist ja normal."), Alkohol ("Ich wollte bloß ein Bier trinken, aber dann ist es lustig geworden" - "Wie viele waren es dann?" - "Vier Maß und eine Flasche Wodka") oder die Vorstellung, dass nur eine Schlägerei eine Lösung sein kann ("Bedeutet 'sich wehren' für dich automatisch Gewalt?" - "Ja klar, was denn sonst?").

Was davon nun entscheidend war, dass die Faust und der Fuß nach vorne gegangen sind, wissen Ilja, Julius oder Santino oft selbst nicht so genau. Aber sie müssen sich in diesen Stuhlkreisen mit den Sitzungsleitern Thomas Adler und Bernd Täschlein zum ersten Mal überhaupt ernsthaft mit ihren Taten befassen ("Wisst ihr, was ein Jochbeinbruch bedeutet? Da rutscht das Auge aus der Höhle raus. Das Gesicht fühlt sich an, als ob man in einen nassen Lappen greift.").

Weil die Kamera über ein Jahr lang immer dabei ist, vergessen sie die Teilnehmer irgendwann und am Ende hat man tatsächlich den Eindruck, hier ein Stück Realität gesehen zu haben. Wie viel mehr kann eine Doku schon leisten?

Der Zorn junger Männer , BR, 10.11., 22.45 Uhr , Link zur Mediathek

© SZ vom 10.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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