"Der weite Weg der Hoffnung" auf Netflix:Nicht gut, aber schrecklich gut gemeint

Der weite Weg der Hoffnung (Originaltitel First They Killed My Father: A Daughter of Cambodia)
Produktionsfoto

Zu gut einem Drittel besteht "Der weite Weg der Hoffnung" aus Nahaufnahmen des Gesichts der neunjährigen Hauptdarstellerin Sareum Srey Moch

(Foto: Netflix)

Angelina Jolie hat für Neflix einen Spielfilm über die Morde der Roten Khmer in Kambodscha gedreht. Wer sich für eine gute Sache mal so richtig langweilen will, wird damit viel Freude haben.

Von Johanna Adorján

Im Jahr 2000 drehte Angelina Jolie in Kambodscha Teile der Comicverfilmung Lara Croft: Tomb Raider. Bis dahin war sie das wild child Hollywoods gewesen, trug Schmuck mit dem Blut ihres damaligen Lebensgefährten um den Hals und machte auch sonst durch allerlei Irrsinn auf sich aufmerksam; für die Rolle einer Psychopathin in dem Film Durchgeknallt erhielt sie einen Oscar. Der Kurzaufenthalt in Kambodscha beendete diesen Teil ihres Daseins, als blättere man in einer Biografie eine Seite um und läse von da ab von einem anderen Menschen. Jolie entdeckte ihren großen Kinderwunsch, adoptierte einen Jungen aus Kambodscha und war mit einem Mal politisch erweckt.

Seither ist sie Botschafterin des UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR, bereist mit ihrer auf eine gute halbe Fußballmannschaft gewachsenen Kinderschar die Welt, um auf alle möglichen Missstände aufmerksam zu machen und wirkt bei öffentlichen Auftritten nicht weniger seriös als die englische Königin, vielleicht seriöser. Die erstaunliche Metamorphose von wild nach heilig vollzog sich vor den Augen einer gebannt hinstarrenden Öffentlichkeit und war viel spannender als jede Filmrolle, die Angelina Jolie je spielte - aber inzwischen steht sie ja sowieso lieber hinter der Kamera. Seit Freitag ist ihre neue Regiearbeit auf Netflix zu sehen.

Sie hat schon einmal ein politisches Drama inszeniert, In the Land of Blood and Honey (2011), das vom jugoslawischen Bürgerkrieg handelte; es war hölzern, aber mitunter auch ergreifend, alle Schauspieler stammten aus der Region, gedreht wurde auf Bosnisch. Diesmal hat sie sich der Geschichte des Herkunftslandes ihres ersten Adoptivsohns angenommen, Maddox, der im Abspann auch einen Credit als Executive Producer hat (Maddox Jolie Pitt ist 16 Jahre alt). Ein einziges Mal läuft eine weiße Komparsin durchs Bild, an ihrem Fotoapparat sofort als Journalistin zu erkennen, ansonsten spielen in diesem Film ausschließlich Kambodschaner, und es wird Khmer gesprochen, also die Landesprache, anfangs auch ein wenig Französisch, gegen Ende dann auch mal Vietnamesisch, eben je nach politischer Lage.

Die Umstände dürften bekannt sein: Von 1975 bis 1979 herrschten in Kambodscha die Roten Khmer unter Führung von Pol Pot, deren Ziel es war, jeglichen Fortschritt auf null herunterzuschrauben und die Bevölkerung zu Landarbeitern zu versklaven. Binnen 48 Stunden wurde im April 1975 die Hauptstadt Phnom Penh evakuiert, ihre zwei Millionen Einwohner wurden in Zwangsmärschen aufs Land verschickt. Intellektuelle wurden hingerichtet, es reichte das Tragen einer Brille oder das Beherrschen einer Fremdsprache, um auf der Stelle erschossen zu werden. Etwa ein Viertel der Bevölkerung kam während der kurzen Schreckensherrschaft der Roten Khmer ums Leben. Auf sogenannten Killing Fields kam es zu Massentötungen, Babys wurden umgebracht, man schlug sie an Bäumen tot. Nur wenige hohe Rote Khmer wurden zur Rechenschaft gezogen, Pol Pot etwa lebte bis 1997 im Untergrund, dann wurde er von seinen ehemaligen Parteikollegen zu lebenslanger Haft verurteilt, starb aber wenige Monate darauf 1998, mutmaßlich durch Selbstmord.

Man kann sich vorstellen, dass diese entsetzlich dunkle Vergangenheit in Kambodscha selbst, wo nahezu jeder Angehörige verlor, noch lange nicht aufgearbeitet ist. Und es spricht einiges dafür, dass Angelina Jolie ihren Film vor allem für ein kambodschanisches Publikum gemacht hat. Das ist natürlich sehr ehrenwert. Der weite Weg der Hoffnung ist die Verfilmung des Buchs First they killed my Father (2000), die Kindheitserinnerungen von Loung Ung, die fünf Jahre alt war, als die Roten Khmer in Phnom Penh einmarschierten. Ihre Eltern überlebten die Arbeitslager nicht, sie und ihre Geschwister wurden auseinandergerissen, sie wurde zum Kindersoldaten ausgebildet. Mit ihr zusammen hat Jolie auch das Drehbuch geschrieben; als Produzent stand ihr der bekannte kambodschanische Regisseur Rithy Panh zur Seite, dessen Dokumentationen über die Roten Khmer vielfach ausgezeichnet wurden.

Mehr als zwei Stunden lang jagt hier ein Leid das nächste

Erzählt wird aus der Perspektive eines kleinen Mädchens, das nach und nach alle Familienmitglieder verliert und mit ansehen muss, wie Menschen ermordet werden, das hart arbeiten muss, hungert und irgendwie überlebt. Das alles basiert ja auf einer wahren Geschichte, weshalb sich, angesichts des ganzen real erlebten Leids, schlechtes Gewissen regt, da normale Filmkritik-Maßstäbe anzulegen, aber es ist nun einmal ein Spielfilm daraus gemacht worden, warum auch immer, also vielleicht so: Wenn man sich für eine gute Sache mal so richtig langweilen will, dann wird man an Der weite Weg der Hoffnung viel Freude haben. Mehr als zwei Stunden lang jagt hier ein Leid das nächste, ist alles schlimm und wird immer noch schlimmer, ist jeder Rote Khmer unsagbar böse und jeder normale Kambodschaner unendlich gut, schreibt einem eine klebrige Filmmusik autoritär jedes Gefühl vor, das man an dieser Stelle zu haben hat (meistens: böse Vorahnung).

Zu gut einem Drittel besteht der Film aus Nahaufnahmen des Gesichts der neunjährigen Hauptdarstellerin Sareum Srey Moch, die auch sehr süß aussieht und mit beeindruckender Natürlichkeit spielt, doch irgendwann stellt sich eine gewisse Ermüdung ein, in ihren stets ernsten Zügen etwas Neues entdecken zu wollen.

Das Drehbuch lebt von der Idee, wann immer es sonst nicht weitergeht, auf eine Traumsequenz zurückzugreifen, und man muss sagen, es lebt nicht gut davon. Dann liegt also die kleine Loung nachts im Arbeitslager auf ihrer kargen Pritsche, und auf einmal wird die Musik fröhlich, und man weiß sofort: Jetzt kommt ein Traum. Oder die kleine Loung liegt nachts im Arbeitslager auf ihrer kargen Pritsche, und zack, sieht man sie lachen und ihre Geschwister auch, und die Eltern erst, und alle lachen sich liebevoll zu, so wie es nur Filmfamilien tun, denen etwas Schlimmes zustoßen wird, und dann weiß man auch: yup, Traum.

Aber, wie gesagt, an diesen Film kritisch heranzugehen, ihn auf so etwas Profanes wie eine gelungene Dramaturgie hin abzuklopfen oder darüber zu urteilen, ob die Dialoge gut sind, die man ja ohnehin nur untertitelt mitbekommt (es sei denn, man versteht Khmer), fühlt sich an, als solle man öffentlich darüber urteilen, ob Mutter Teresa eigentlich eine Schönheit war.

Der weite Weg der Hoffnung ist vielleicht nicht der beste Film aller Zeiten. Aber er ist schrecklich gut gemeint. Und andersherum.

Der weite Weg der Hoffnung, bei Netflix.

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