Süddeutsche Zeitung

Serie "Der unwahrscheinliche Mörder":Zwei Schüsse in der Winternacht

Wer hat Olof Palme erschossen? 35 Jahre nach dem Attentat auf den schwedischen Regierungschef nimmt die Netflix-Serie "Der unwahrscheinliche Mörder" die Ermittlungen noch einmal auf.

Von Stefan Fischer

Stig Engström atmet schwer. Dann läuft er davon mit watschelnden Schritten. Er wäre leicht einzuholen für jeden, der das wollte. Ein Mann Anfang fünfzig, unsportlich. Mehrmals droht er auf dem verschneiten Gehweg auszurutschen. Am rechten Handgelenk baumelt eine Handtasche, ein altmodisches, ja, lächerliches Accessoire. Es steht sinnbildlich für Engström und dessen Leben - auch er sieht unvorteilhaft aus und wird mehr geduldet als gemocht. Wohin ihn das Leben treibt und was sich unterwegs an Bewahrenswertem ansammelt, darüber bestimmen andere.

Das allerdings weiß man anfangs der schwedischen Netflix-Serie Der unwahrscheinliche Mörder noch nicht. Man weiß nicht einmal, ob Engström die zuvor aus dem Off knallenden Schüsse abgefeuert hat. Er starrt auf das leblose Opfer und dessen schockierte Frau, taumelt dann wie ein waidwundes Tier davon durch Stockholms Straßen. Eine mitleiderregende Person, die einen sofort auf merkwürdige Weise fesselt.

Der Tote ist Olof Palme, Schwedens Premierminister, ermordet am 28. Februar 1986. Der Täter ist bis heute nicht zweifelsfrei identifiziert. Vieles weist auf Engström hin. Doch der lebt nicht mehr, also kann kein Verfahren gegen ihn geführt werden, an dessen Ende man womöglich klarer sähe.

Alle sind gleich? Eine Lebenslüge der schwedischen Gesellschaft

An der Oberfläche geht es in den fünf Folgen, basierend auf Recherchen des Journalisten Thomas Pettersson, um die Polizeiarbeit. Um Schlampereien und strategische Fehlentscheidungen. Um einen Apparat, der nicht gerüstet ist: Weil erst Wählscheibentelefone ausgegeben werden müssen, damit dafür abgestellte Beamte Hinweise aus der Bevölkerung entgegennehmen können, für deren Sichtung es aber kein abgestimmtes Vorgehen gibt. Bei der Erstellung eines Phantombildes muss die deutsche Polizei helfen.

Die eigentliche Geschichte dieser Serie ist eine andere. Sie handelt von einer Lebenslüge der schwedischen Gesellschaft als egalitärem Gemeinwesen. Die Witwe des Premiers (Cilla Thorell) ist eine monströse Diva. Ansonsten spielen Frauen keine Rolle. Nicht in der Polizei, nicht in den Familien. Die Hilf- und Sprachlosigkeit, mit der Margareta Engström (Eva Melander) das immer merkwürdigere Gebaren ihres Mannes lange Zeit hinnimmt, ist verstörend.

Und die Männer? Wollen Karriere machen, der Oberschicht angehören, sich nicht einer sozialdemokratischen Gleichmacherei unterwerfen, die sie Olof Palme anlasten. Hans Holmér (Mikael Persbrandt), der anfangs die Ermittlungen leitet, gelingt das. Oder ein paar Kerlen, die Engström in ihrem Freundeskreis dulden - als einen, auf den sie herabblicken können. Engström lässt sich das gefallen, um dazuzugehören.

Wie Robert Gustafsson diesen Stig Engström spielt, beeindruckt: Engström ist jovial und konziliant, obschon tief gekränkt. Getrieben, ohne die Fähigkeit zu strategischem Handeln verloren zu haben. Geltungssüchtig, aber zugleich devot. Gustafsson legt die Figur nicht eindeutig fest, vor allem pathologisiert er sie nicht. Im Verlauf von Der unwahrscheinliche Mörder wird die Frage, ob Engström Palme erschossen hat, immer spannender. Weniger aufgrund faktischer Details und Indizien, sondern schlicht aus der Überlegung heraus: Könnte der unwahrscheinliche Fall, dass dieser Mensch aus gekränkter Eitelkeit zum Mörder wird, doch eingetreten sein? Die Serie gibt darauf erfrischend widersprüchliche Antworten.

Der unwahrscheinliche Mörder, Netflix.

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