"Der Turm" in der ARD:So wie sie waren

Am Beispiel zweier Dresdner Familien erzählt Uwe Tellkamp in seinem Roman "Der Turm" vom Bildungsbürgertum in der DDR, das im schönen Schein Trost und Kraft fand. Kann man das verfilmen? Selbstverständlich, wenn man es kann.

Jens Bisky

"Der Turm" in der ARD

Dresden, Weihnachten 1982. Die Familie Hoffmann und Rohde.

(Foto: MDR/teamWorx/Nik Konietzny)

Uwe Tellkamps Erfolgsroman Der Turm war vielen ein Ärgernis; weder der Deutsche Buchpreis 2008 noch begeisterte Rezensionen haben daran etwas ändern können. Den einen missfiel, wie hier die DDR beschrieben wurde: als ein schwer erträgliches System und doch voller Neugier dafür, wie Menschen in ihm gelebt, sich durchgeschlagen und behauptet hatten. Andere störten sich am sprachlichen und erzählerischen Aufwand, den Tellkamp trieb, um den Arbeiter- und Bauernstaat poetisch zu vergegenwärtigen und ihn am Ende in einer Walpurgisnacht nebst Walpurgisnachtstraum zusammenbrechen zu lassen.

Seine "Geschichte aus einem versunkenen Land" erzählte in erster Linie von Familien aus dem Dresdner Bildungsbürgertum, die im schönen Schein Kraft und Trost fanden und doch erfahren mussten, dass sie der realen Ohnmacht nicht zu entkommen vermochten, solange sie ihren Untertanenstatus nicht infragestellten. Der Satz, die DDR sei ein Scheiß-Staat, war im Roman plausibel, aber er war nicht die Quintessenz des Buches, das mit einem überbordenden Reichtum an Figuren, Stimmen, Tonlagen, Perspektiven das Bild einer verwunschenen Gesellschaft heraufbeschwor.

Kann man das verfilmen? Selbstverständlich, wenn man es kann. Wer die ersten zwanzig Minuten des zweiteiligen Fernsehfilms Der Turm gesehen hat, wird sich die Frage nicht mehr stellen. So rasant und klug wie hier ist er selten in eine Geschichte hineingelockt worden. Die Lichter Dresdens schimmern in der Ferne, Dezember 1982, die Standseilbahn fährt den Elbhang empor.

Hausmusik und Kirchenbesuch

Darin sitzt der Schüler Christian Hoffmann (Sebastian Urzendowsky), in der Hand hält er eine Mathe-Arbeit, Note: 4. Aber es soll ja Weihnachten gefeiert werden. Mit dem Vater (Jan Josef Liefers), einem ehrgeizigen Chirurgen, macht er sich auf, einen Baum zu stehlen, das für den SED-Bezirkschef reservierte Exemplar schnappen sie dem Pfarrer vor der Nase weg. Die Chirurgie hat also wieder einmal den schönsten Weihnachtsbaum der Klinik vorzuweisen. Sie hat auch Patienten, die mitspielen und Alarm auslösen, damit die phrasenreiche Festrede des Chefarztes nicht bis zum bitteren Ende angehört werden muss.

Christian will Arzt werden, ordnet diesem Ziel alles unter. Sein Vater hofft auf den Posten des Klinikdirektors, mit der Sekretärin Josta (Nadja Uhl) hat er seit Jahren ein Verhältnis und eine gemeinsame Tochter. Seiner Gattin Anne (Claudia Michelsen) scheint der Familienfrieden wichtiger als alles andere, sie ist aufrichtig und harmoniebedürftig, so wie ihr Bruder Meno Rohde (Götz Schubert) auch. Schön wäre das Weihnachtsfest mit Hausmusik und Kirchenbesuch, hielte der Vater seinem Sohn nicht eine Standpauke wegen der versemmelten Mathe-Arbeit. Man müsse etwas wollen, etwas werden wollen. Der Sohn nimmt es hin und spürt Gemeinsamkeit mit dem Vater im Lachen über den kläglichen Weihnachtsbaum des Pfarrers.

Die Exposition ist grandios gelungen, den Drehbuchautor Thomas Kirchner kann man für seine Virtuosität nur bewundern: Binnen kurzem kennt der Zuschauer die vier Hauptfiguren - Christian, Richard und Anne Hoffmann sowie Meno Rohde - und ihre Beziehungen zueinander. Und gleich zu Beginn wird spürbar, wie der Sozialismus sich zwischen die Figuren und ihre Wünsche schiebt, wie er sie einander entfremdet, zu Tricks und Schummeleien ermuntert, aus denen Verrat erwachsen kann. Es haben ehrgeizige Chirurgen auch in nicht-sozialistischen Ländern schon Affären gehabt, hier aber wird der private Betrug zum Symbol eines gesellschaftlichen Abgrunds, einer unter Diktaturbedingungen verhängnisvollen Unehrlichkeit. Man ahnt sofort: Sohn und Mutter müssen sich von diesem Richard abwenden. So kommt es dann auch. Private und politische Emanzipation verlaufen parallel. Christian begreift, während er die Anpassungsleistungen in Schule und Nationaler Volksarmee erbringt, dass ihn der Dreck von Fressen, Saufen und Karriere nichts angeht, dass in seinem Leben Anderes wichtig ist. Anne, die liebevolle Ehefrau, erkennt in ihrem Mann, der von der Stasi erpresst wird und keinen Boden mehr unter die Füße bekommt, den größten Egoisten.

Wozu dann der Aufwand?

Die Konstellation ist nach gut zwanzig Minuten klar. Der Zuschauer erlebt im Fortgang, wie die Protagonisten sehend werden, ihre Lage erkennen und Schlussfolgerungen ziehen. Das ist ein bewährtes dramaturgisches Modell, besonders beliebt war es, als man noch nach dem "sozialistischen Realismus" suchte. Dass es trotz der Vorhersehbarkeit nicht langweilig wird, ist dem Regisseur Christian Schwochow zu danken, der mit Novemberkind bekannt wurde. Er versteht es, das Unausgesprochene mit zu inszenieren. "Wieder blieb das Schweigen, wie etwas, das nicht zu löschen war", heißt es im Roman - und dieses Schweigen, das plötzliche Verstummen von Gesprächen, weil alles schon gesagt ist und das Richtige, das treffende Wort nicht gesagt werden kann, wird hier mehrfach Ereignis. Auf solche Beklemmung oder auf Groteske und Pointen hin sind die rasch abwechselnden Szenen gebaut.

Sebastian Urzendowsky ist ein Glücksfall für diesen Zweiteiler. Er schafft es, die Lenkbarkeit, die Unsicherheit des Schülers ebenso glaubwürdig zu verkörpern wie später den Frust und den Zynismus des Soldaten, der erst im Militärgefängnis, verurteilt wegen Herabwürdigung des "Scheiß-Systems", zu sich findet.

Oberhaupt und Mittelpunkt dieser Familienaufstellung

Das ist alles gekonnt gemacht, und doch werden, je länger die Handlung voranschreitet, die Schwächen unübersehbar. Sie hängen fast alle mit der Figur des Vaters, mit Richard Hoffmann, zusammen. Der scheint von Anbeginn eine Luftnummer, ein Opportunist, der sich mehr zutraut, als er vermag, dessen Kraft höchstens für eine OP reicht. Jan Josef Liefers spielt ihn bedauernswert einschichtig als einen, der auf Wohlwollen, auf die Blindheit seiner Umgebung, angewiesen ist, weil es ihm an Charakter fehlt.

Ein Aufschneider. Was die wunderbaren Frauen in ihrer Lebenslust und Alltagsgewitztheit von ihm wollen, bleibt ein Rätsel. Da er, Oberhaupt und Mittelpunkt dieser Familienaufstellung, so schwach ist, wirken auch Hausmusik und Bücherlesen wie eine Marotte. Das Bildungsbürgerliche ist hier nur Fassade, nichts für die Handlung oder die Figuren Wesentliches. Auch Götz Schuberts Meno Rohde, der Mann der Bücher, mit Kontakten ins Zentrum der Macht, nach "Ostrom", wirkt leer und haltlos.

So kann man Tellkamps Turm lesen. Aber wozu dann der Aufwand? Die Verfilmung pointiert Konflikte und Motive aus dem Roman, aber dem großen Repertoire an DDR-Fernsehszenen und Filmbildern fügt sie nach grandiosem Beginn nichts Neues hinzu, wirkt wie ein liebevoll zusammengestellter Bilderbogen. So endet sie leider als Illustration von Zeitgeschichte, statt von der Fiktion her ein anderes Licht auf Geschehenes fallen zu lassen. Die Szenen am Dresdner Hauptbahnhof, den Anfang Oktober 1989 die Züge mit den Botschaftsflüchtlingen aus Prag passierten, gehörten zu den dramatischsten des Revolutionsherbstes. Im Film ist davon, von Mut und Angst, nichts zu spüren. Für die Gewaltsamkeit von Stasi und Armee, Mangel und Verfall wurden eindrucksvolle Bilder gefunden, nicht aber für die Befreiung.

Uwe Tellkamp, der inzwischen an einer Fortsetzung des Romans schreibt, ist mit dem Film hoch zufrieden, der Zuschauer hat den Eindruck, nun sei die DDR auserzählt, nur noch Wiederholung zu erwarten und legt sich beruhigt ins Bett.

Der Turm, ARD, 3. und 4. Oktober, 20.15 Uhr.

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