"Der Spiegel" unter Wolfgang Büchner:Streit, Streit und noch mehr Streit

Wolfgang Büchner

Bald nicht mehr Spiegel-Chefredakteur: Wolfgang Büchner.

(Foto: dpa)

Über Monate haben sich die Querelen hingezogen, nun trennt sich der "Spiegel" von Chefredakteur Wolfgang Büchner. Die Stationen seiner kurzen Amtszeit - von der Causa Nikolaus Blome bis zum Konzept "Spiegel 3.0".

Von Matthias Kohlmaier

Nun ist das Trio also komplett. Die Wochenmagazine Stern, Focus und Spiegel haben sich binnen weniger Monate allesamt ihrer Chefredakteure entledigt. Was jedoch bei der Demission Dominik Wichmanns und Jörg Quoos' zumindest in der Außendarstellung eher leise vonstatten ging, das ist beim Spiegel das Ende eines etwas mehr als einjährigen Missverständnisses mit zahllosen Querelen um den bald ehemaligen Chefredakteur Wolfgang Büchner.

Neben Büchner wird, nach einer mehrmonatigen Übergangsfrist und sobald ein geeigneter Nachfolger gefunden ist, auch Geschäftsführer Ove Saffe gehen. Auf Büchner folgen ab Januar 2015 der bisherige stellvertretende Chefredakteur des Spiegels, Klaus Brinkbäumer, und der stellvertetende Spiegel Online-Chefredakteur Florian Harms.

Ob Cordt Schnibben mit diesem Ergebnis zufrieden ist? Der Spiegel-Reporter hatte vor Monaten seine Hoffnungen für die Zukunft des Blattes noch recht dezent via Twitter formuliert:

(Schnibbens Tirade in Richtung Büchner und Saffe, veröffentlicht am Abend der Trennung, lässt übrigens eine gewisse Zufriedenheit beim Spiegel-Reporter ob des Ausgangs der Geschichte vermuten.)

Die Partnerschaft zwischen Wolfgang Büchner und dem Spiegel ist also Geschichte. Eine Chronologie der vergangenen 15 Monate.

Der Beginn

Angefangen hat alles im April 2013 mit, wie das bei einem Chefredakteurswechsel meistens ist, einem Rauswurf. Georg Mascolo und Mathias Müller von Blumencron mussten gehen, sie hatten zuvor fünf Jahre lang den gedruckten Spiegel und Spiegel Online als Doppelspitze geleitet. Auf eine gemeinsame Zukunftstrategie, eine Möglichkeit, Print- und Onlineredaktion enger zu verzahnen, konnten sich beide nicht verständigen. Auch mussten sie sinkende Auflagen und schrumpfende Erlöse verantworten.

Die Art und Weise, wie das Wochenmagazin seine Chefredakteure schließlich vor die Redaktionstür setzte, wurde selbst von den eigenen Mitarbeitern kritisch gesehen. So erfuhren Mascolo und von Blumencron aus dem Hamburger Abendblatt von ihrer Entlassung. "Es ist unfassbar, was hier passiert", sagte damals einer aus der Redaktion zur SZ. "Völlig gespenstisch, wie hier mit Menschen umgegangen wird", sagte ein anderer. So ein Umgang schade nicht nur den Betroffenen, sondern vor allem der Marke Spiegel.

Nachfolger Wolfgang Büchner

Drei Wochen später stand der neue Chefredakteur fest: der bisherige dpa-Chef Wolfgang Büchner sollte Print- und Onlineredaktion vorstehen und die bis dato getrennten Lager in eine eng verbundene Zukunft führen. Büchner hatte sich zuvor während seiner vier Jahre bei der Deutschen Presse-Agentur einen Namen als Redaktionsmanager gemacht, als einer, der auch unpopuläre Entscheidungen durchsetzen kann. So führte er 300 zuvor über ganz Deutschland verstreute Mitarbeiter im Berliner Newsroom zusammen, änderte die Redaktionsstrukturen und die Preispolitik und machte dpa zum multimedialen Nachrichten-Monopolisten.

In Hamburg war Büchner von Beginn an kein Unbekannter, hatte er doch von 2008 bis 2009 bereits den Chefposten bei Spiegel Online innegehabt. Dennoch war das Echo auf Büchners Nominierung zweigeteilt. Als "Wunschkandidaten" hatte Geschäftsführer Ove Saffe Büchner vorgstellt. Er bringe alle Voraussetzungen mit, beide Redaktionen gemeinsam zu führen und "damit die publizistische Zukunft der Medienmarke Spiegel erfolgreich zu gestalten". Viele vermissten jedoch schreiberisches Renommee bei Büchner, der tatsächlich vor (und später auch während) seiner Zeit bei dem Hamburger Wochenmagazin nicht als Autor oder herausragender Intellektueller in Erscheinung getreten war.

Von Nikolaus Blome über den "Spiegel 3.0" bis zur Eskalation

Die Causa Blome

Dass Büchner eigene Vorstellungen vom Spiegel der Zukunft hatte, auch was das Personal betraf, wurde schon vor seinen eigentlichen Dienstantritt klar. Nikolaus Blome, ehemals stellvertretender Bild-Chef, sollte Büchners Stellvertreter werden - eine Personalie, mit der Büchner massiven Unmut in seiner neuen Redaktion heraufbeschwor. Büchner bot der Belegschaft schließlich als Kompromisslösung an, Blome doch nicht zum Stellvertreter zu machen, sondern ihm "nur" den Titel "Mitglied der Chefredaktion" zu verleihen und ihn zum Leiter des Haupstadtbüros zu machen.

Nach vielen weiteren - intern und extern - geführten Diskussionen trat Nikolaus Blome seinen neuen Job am 25. Oktober 2013 an. Zuvor hatte sich Blomes Vorgänger Konstantin von Hammerstein erfolglos auf juristischem Weg gegen seine Degradierung gewehrt. Von Hammerstein blieb nichts anderes übrig, als einen Posten als Autor in Berlin im Spiegel-Ressort "Deutschland 2" zu übernehmen.

Wolfgang Büchners "Spiegel 3.0"

Seit dem 1. September 2013, nur etwas mehr als 15 Monate lang, war Büchner Chefredakteur des Spiegels. Kleinere Scharmützel zwischen Chef und Redaktion gab es von Beginn an. Bedrohlich aber wurde es erst, als Büchner seine Vision vom Spiegel der Zukunft kommunizierte, eine Vision, die er im Notfall mit dem Vorschlaghammer durchzuprügeln bereit war.

"Spiegel 3.0" hieß das Konzept, wonach alle Ressortleiterposten im Haus zeitnah neu ausgeschrieben und eine gemeinsame Leitung für Print und Online hätte geschaffen werden sollen. Jedes Ressort sollte nach Büchners Willen von einem Onliner und einem Print-Journalisten gemeinsam gelenkt werden. Heftiger Aufruhr in der Redaktion war die Folge, viele interpretierten Büchners Schritt so, dass der Chefredakteur auf diesem Wege unliebsame Ressortleiter loswerden wolle. Die Belegschaft forderte schließlich von den Gesellschaftern (die Mitarbeiter KG hält 50,5 Prozent, der Verlag Gruner + Jahr 25,5 Prozent und die Augstein-Erben 24 Prozent), Büchners Pläne abzulehnen.

Auflage des "Spiegel"

Büchners Spiegel-Karriere in Zahlen: Hier finden Sie die Auflagenentwicklung des Spiegel laut IVW (Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern e.V.) seit dem dritten Quartal 2013.

Aber: Die Gesellschafter sprachen Büchner zur Überraschung aller ihr Vertrauen aus und begrüßten es, "dass die Chefredaktion und die Geschäftsführung das Projekt Spiegel 3.0 in enger Zusammenarbeit mit den Redaktionen von Spiegel und Spiegel Online verwirklichen wollen, sowohl was die Umsetzung als auch was den Zeitablauf angeht", wie es in einer Erklärung hieß. Das war Anfang August 2014.

Die Eskalation

Büchners Position schien durch das Votum der Gesellschafter gestärkt, obgleich 80 Prozent der Mitarbeiter die Pläne des Chefredakteurs in einer Petition ablehnten. Zur Ruhe kam das Nachrichtenmagazin aber nicht. Mitte September läutete Büchner selbst mit einem nur schwer verständlichen Manöver das Ende seiner Zeit als Spiegel-Chefredakteur ein. Den Print-Ressortleitern Lothar Gorris (Kultur) und Armin Mahler (Wirtschaft) bot er die Auflösung ihrer Verträge samt hoher Abfindungen und Urlaub zum Nachdenken an - ein Angebot, das beide nicht wahrnahmen und das Büchners Standing innerhalb der Redaktion wohl endgültig ruinierte.

Der ehemalige Spiegel-Online-Chef Büchner hatte es binnen eines Jahres nicht geschafft, Print- und Onlineredaktion auf einen gemeinsamen Weg zu führen. Dass er bei seinen Versuchen von den Onlinemitarbeitern insgesamt mehr Unterstützung erfahren hat - geschenkt. Die Onliner werden nicht nur deutlich schlechter bezahlt, sie sind auch keine Mitglieder der mächtigen Mitarbeiter KG.

In einem Brief, unterzeichnet von allen Print-Ressortleitern, hieß es, Büchner betreibe einen "Totalumbau". Der Versuch, zwei Kritiker (Gorris und Mahler) aus der Redaktion zu drängen, sei nur "als gezielter Angriff" zu werten, äußerten sich Spiegel-Mitarbeiter. Wenige Tage später wurde kolportiert, dass sich die Mitarbeiter KG endgültig gegen Büchner stellen wolle und bei Chefin Julia Jäkel um die Unterstützung von Mitgesellschafter Gruner + Jahr werbe. Eine Versammlung der Spiegel-Gesellschafter wurde für Freitag, den 26. September, einberufen. (Inoffizielles) Ergebnis: G + J wollen Büchner wohl so lange im Amt halten, bis ein geeigneter Nachfolger gefunden ist. Dann geschah einige Wochen lang wenig - mit Ausnahme der Nachricht, dass Wunschkandidat Giovanni di Lorenzo die Büchner-Nachfolge dankend abgelehnt hat.

Auch bei der Feier zum 20. Geburtstag von Spiegel Online kam es - entgegen diverser Vermutungen - nicht zum Eklat. Das Finale ließ noch bis Anfang Dezember auf sich warten. Wolfgang Büchner meldete sich nur indirekt zu Wort und änderte sein Twitter-Profil. Wo er sich tags zuvor noch als Spiegel-Chefredakteur vorgestellt hatte, stand am Donnerstag, dem 4. Dezember, plötzlich: "Ever tried. Ever failed. No matter. Try Again. Fail again. Fail better."

Was sonst noch passiert ist

So sehr das Experiment, den Redaktionsmanager Wolfgang Büchner an der Spitze des Spiegels zu installieren, fehlgeschlagen sein mag, in den vergangenen 15 Monaten sind trotzdem auch wegweisende Änderungen beim Hamburger Wochenmagazin auf den Weg gebracht beziehungsweise umgesetzt worden.

Als Reaktion auf die veränderten Lesegewohnheiten wird der Spiegel von Januar 2015 an nicht mehr montags, sondern samstags erscheinen. Bei der Ankündigung des neuen Publikationstages soll Wolfgang Büchner sogar Applaus von den Ressortleitern bekommen haben - ein seltener Moment der Einigkeit. Ein neues Layout (Stichwort: Orange) hatte Büchner während seiner Amtszeit auch zu verantworten. Lesen Sie hier, was SZ-Kollege Gerhard Matzig vom neuen Look hält:

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