Der Reporter als Star:Schreibwerkstatt

New York Times

Das New York Times Gebäude in New York City.

(Foto: Mark Lennihan/AP)

Mit der TV-Serie "The Weekly" lässt die "New York Times" Zuschauer große Recherchen nachvollziehen. Damit etabliert das Medienunternehmen ein Meta-Format für Fans und solche, die es werden sollen.

Von Christian Zaschke

Zum Gebäude der New York Times bitte", sagt Brian Rosenthal, Reporter des Blattes, als er in der zweiten Folge der neuen Fernsehserie The Weekly in ein Taxi steigt, und fügt hinzu: "Ecke 8th Avenue und 40th Street". Dem Fahrer hätte es vollkommen gereicht, wenn der Reporter einfach die Adresse genannt hätte, aber auf diese Weise teilt Rosenthal den Zuschauern nebenbei mit, wo sich das Hauptquartier der ehrwürdigen Times in Manhattan befindet. Das ist insofern konsequent, als es in The Weekly vordergründig um Reportagen geht, letztlich aber vor allem um die New York Times.

Vor gut einem Jahr hatte das Blatt angekündigt, dass es künftig auch Fernsehen machen will, vor einer Woche ist das Projekt angelaufen. Immer sonntags läuft auf dem Kabelsender FX eine neue Folge von The Weekly, die am Tag darauf auch auf dem Streamingdienst Hulu abrufbar ist. FX ist in den USA in 90 Millionen Haushalten erhältlich, Hulu teilte unlängst mit, dass man mittlerweile 20 Millionen Abonnenten habe. Zunächst sind 30 Folgen von je 30 Minuten Länge geplant. In jeder Episode folgt die Kamera Reportern der Zeitung, die an großen Geschichten arbeiten.

In der ersten Folge ging es um eine Schule in Louisiana, die erstaunlich viele Schüler auf die besten Universitäten des Landes schickte. Die Times fand heraus, dass die Schule an den Noten herumdokterte, ohne das Wissen der Schüler. Das ist eine spannende Geschichte; wer die Times regelmäßig liest, kannte sie schon aus dem Blatt. Was man in der Fernsehshow als Mehrwert bekam, waren natürlich zum einen die Gesichter und Stimmen der Protagonisten, zum anderen aber auch die Gesichter und Stimmen der Journalisten. Man sieht sie zum Beispiel zweifeln, ob sie mit ihren Recherchen nicht den Schülern mehr schaden als jenen, die hinter dem Betrug stecken. Das ist ein gewagtes Format, weil eher unklar ist, ob die Zuschauer tatsächlich einer Art Werkstattbericht zusehen wollen. Es ist eine Form von Meta-Journalismus, in der die eigentliche Geschichte und deren Aufbereitung durch die Reporter miteinander verwoben sind.

Eine Folge greift etwa Suizide von überschuldeten Taxifahrern auf, über die das Blatt berichtet hatte

Die zweite Folge, in der Brian Rosenthal mit dem Taxi zum Gebäude der Times fährt, dreht sich um die New Yorker Taxi-Industrie. Monatelang hat Rosenthal recherchiert, es ist eine faszinierende Story darüber, wie durch eine Art Schneeballsystem der Preis für Taxi-Lizenzen auf mehrere Hunderttausend Dollar gestiegen ist, was natürlich kein Mensch bezahlen kann, der seinen Lebensunterhalt als Taxifahrer verdient. Die allermeisten Taxifahrer in New York sind Einwanderer, viele sprechen schlecht Englisch und verstanden nicht, welche finanziellen Verpflichtungen sie mit dem Erwerb der Lizenz eingegangen waren. Das ist schlimm genug. Besonders schlimm wird es aber, wenn Rosenthal berichtet, dass nicht wenige Fahrer den Suizid als einzigen Ausweg aus den Schulden sahen. Auch diese Geschichte war zuvor im Blatt erschienen.

Die Idee zu The Weekly entstand, weil der Podcast The Daily, den die Times seit gut zwei Jahren veröffentlicht, sich als äußerst erfolgreich erwiesen hat. Auch in diesem Audio-Format geht es darum, wie Geschichten des Blattes zustande kamen. Reporter Michael Barbaro interviewt seine Kollegen, die Auskunft über ihre Arbeit geben. Anfangs herrschte die Ansicht, dass die Geschichten in The Daily zum gleichen Zeitpunkt erscheinen müssten wie in der Zeitung, aber bald setzte sich die Erkenntnis durch, dass sich auch Texte aufbereiten lassen, die bereits früher im Blatt erschienen waren. Sam Dolnick, einer der Produzenten von The Weekly, sagt: "Wir haben gesehen, dass wir im Podcast Geschichten aus dem Blatt auch noch viele Wochen später besprechen können. Es hat so gut wie nie eine Beschwerde von jemandem gegen, der sagte: ,Hey, das habe ich doch schon in eurem Magazin gelesen.'" Daher funktioniert The Weekly nun nach dem gleichen Prinzip.

Produzent Dolnick sagt: "Journalismus steht unter Beschuss wie niemals zuvor. Und auf Facebook stehen alle möglichen falschen Geschichten, unter denen eine neun Monate dauernde Investigation der Times eben auch nur irgendeine Geschichte ist." The Weekly soll nun zum einen den 4,5 Millionen Abonnenten der Zeitung zeigen, wie seriös, solide und mit welch enormem Aufwand das Blatt arbeitet, zum anderen soll ein völlig neues Publikum für den Journalismus der New York Times gewonnen werden. Nicht zuletzt, das ist die Hoffnung im Hauptquartier an der Ecke 8th Avenue und 40th Street, soll mit dem Projekt auch Geld verdient werden.

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