"Der Fremde" in der ARD:Alle Lebenslügen wieder auf dem Tisch

Wenn weggesperrte Emotionen den Gefühlshaushalt durcheinanderbringen: Die ARD-Reihe "Bloch" zeigt den oft wunderbar traurig ausschauenden Darsteller Vadim Glowna in einer seiner letzten Rollen. Als Opfer eines Schlaganfalls holt er noch einmal sein Inneres mit genial-fleischiger Mimik nach außen.

Moritz Baumstieger

Wenn den Helden im deutschen Fernsehfilm die Vergangenheit einholt, kramt er gerne eine verbeulte Blechkiste hervor. In ihr sind Erinnerungsstücke wie vergilbte Fotos, sie stehen für Geschichten, die besser vergessen wären. Sobald der Held den verstaubten Deckel öffnet, kommen alle Lebenslügen wieder auf den Tisch, die so lange weggesperrt waren: Komplexe, Eifersucht, Liebe, Verrat und Hass.

Bloch

Von der Vergangenheit eingeholt: Lorenz Haller (Vadim Glowna) hat eine richtige Leidenschaft für Ameisenhügel entwickelt. In der Ameisenkönigin sieht er ein Ebenbild seiner selbst: Nach kurzem Höhenflug der Flügel beraubt.

(Foto: SWR/Stephanie Schweigert)

In der Bloch-Episode "Der Fremde" trifft die Sache mit der Blechschachtel gleich zwei ältere Herren: die Titelfigur, den Psychologen Maximilian Bloch (Dieter Pfaff), und den Fabrikbesitzer Lorenz Haller, dem seit seinem Schlaganfall irgendwie der Gefühlshaushalt durcheinander geraten zu sein scheint.

Gespielt wird Haller von dem Ende Januar verstorbenen, oft wunderbar traurig ausschauenden Darsteller Vadim Glowna. Glownas heisere Stimme und Blochs Vorliebe zu Koteletten und schwarzen Westen hat Drehbuchautor Jörg Tensing in ein herausragendes rauchiges Johnny-Cash-Motiv übersetzt.

Lange bevor Bloch und sein Patient sich aussprechen und die Vergangenheit wieder in die Blechkiste sperren, diagnostiziert der Therapeut bei Haller eine "Affektinkontinenz". Und auch, wenn man vor allem bei älteren Herren hier zunächst schnell an etwas Anderes denken mag, bezeichnet dieses schöne Wort das Unvermögen, die eigenen Gefühle zu kontrollieren.

Bei Lorenz Haller strömen sie einfach alle gleichzeitig heraus, was vor allem dessen Tochter Jenni (Lisa Maria Potthoff) abbekommt, so dass sie sich aus Sorge um ihren Vater (und auch ein wenig aus Sorge um ihr Erbe) bald gezwungen sieht, bei Gericht einen Entmündigungsantrag zu stellen.

Reise in die Vergangenheit

Bloch nimmt daraufhin sie, den Vater und auch sich selbst mit auf eine Reise in die Vergangenheit, denn da ("Du musst dich fragen, wie alles angefangen hat!") liegen stets die Ursprünge aller Probleme begraben.

Bei einer Psychotherapie wird zwar viel geredet, das Entscheidende läuft aber im Kopf der Beteiligten ab. Vadim Glowna war ein großartiger Schauspieler, er wusste auch hier, sein Inneres mit genial-fleischiger Mimik nach außen zu holen. Lisa Maria Potthoff hingegen hat man dafür Bilder in die Rolle geschrieben, die so klischeehaft sind wie Blochs Blechdose: Großaufnahmen ihrer sich knetenden Hände, die Fingernägel bohren sich ins Fleisch; später rennt sie sich beim Joggen im Wald die Wut aus dem Bauch, steht noch spätabends regungslos am Fenster und guckt nachdenklich in die dunkle Nacht hinaus.

Dabei hört sie Johnny Cash. Nein, nicht ganz: Eine Coverversion auf einer alten Kassette, von den Mad Sad Men. So nannte sich die Country-Band von Bloch und ihrem Vater, als noch alles gut war. Aber das ist Vergangenheit.

Der Fremde, ARD, 20:15 Uhr.

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