Der Blumenkübel aus Neuenkirchen:Scherben bringen Klicks

Das Sommerloch ist verschwunden - der Redakteur einer Münsteraner Lokalzeitung hat es mit einem zerbrochenen Blumenkübel gestopft. Die Geschichte des jüngsten Netz-Phänomens.

Lena Jakat

Das Sommerloch ist verschwunden. Nicht etwa in den Sintfluten, die vom Himmel kommen, oder in Naomi Campbells Schmuckkasten. Nein: Ralf Heimann hat einen Blumenkübel darauf gestellt. Heimann ist Redakteur bei der Münsterschen Zeitung und Urheber des jüngsten Internet Memes. So heißen jene Nachrichten oder Ideen, die sich sprunghaft im Netz verbreiten und dort eine Kettenreaktion auslösen.

Zerbrochener Blumenkübel ist neuer Star im Netz

Das Bild, das eigentlich keines ist - zu der Meldung die eigentlich keine ist: In der Nacht zum Dienstag zerbrachen Unbekannte diesen Blumenkübel vor einem Altersheim im Münsterland.

(Foto: dpa)

Unbekannte Vandalen hatten in der Nacht zum Dienstag einen Buchsbaumbehälter vor dem örtlichen Seniorenheim umgestoßen. Ihrer Chronistenpflicht nachkommend, berichtete tags darauf die Münstersche Zeitung: "Fassungslos waren die Bewohner des Antoniusstift, als sie am Dienstagmorgen vor die Tür sahen: Einer der zwei Blumenkübel vor dem Eingang des Altenheimes wurde umgestoßen und lag zerbrochen vor dem Eingang."

Aufgeschrieben hatte die Meldung eine Praktikantin der Redaktion. Und dank der Gesetze des Netzes wurde ihr zuteil, wovon alle Praktikanten dieser Welt träumen: Mit ihrer Geschichte in den Abendnachrichten zu landen. Nunja, zumindest auf heute.de hat es die Meldung geschafft.

Ihr Kollege Ralf Heimann verbreitete die Meldung aus bislang ungeklärten Motiven am 5. August um 12.04 per Twitter weiter: "In Neuenkirchen ist ein Blumenkübel umgefallen." Ähnlich relevant wie die Sache mit dem Sack Reis in China oder dem Fahrrad in Peking, möchte der konservative Nachrichtenkonsument denken. Was eine Meldung wert ist und was nicht, definiert die Netzgemeinde allerdings völlig neu.

Satirische Massenpanik

Blitzartig verbreitete sich der Blumenkübel über Twitter. Der Begriff rangierte bei dem Micro-Blogging-Dienst am Donnerstag unter den fünf am häufigsten benutzten Begriffen weltweit.

An der satirischen Massenpanik um die Scherben in Neuenkirchen - übrigens ein 14.000-Seelen-Ort im Münsterland - beteiligten sich auch durchaus respektable Vertreter der Netzgemeinde: Man erwäge, ein ZDF-Spezial zum Thema zu senden, ließ der Senderaccount ironisch verlauten. Volker Beck, Parlamentarischer Geschäftsführer und menschenrechtspolitischer Sprecher der Grünen, ließ sich ebenfalls nicht lumpen: "Gerüchten zufolge gibt es Zuständigkeitsstreitigkeiten beim Blumenkübel zwischen BMI (Bundesministerium des Innern, Anmerkung der Redaktion) BMLEV (für Landwirtschaft, Ernährung und Verbraucherschutz), und BMWi (für Wirtschaft und Technologie)", streute Beck bei Twitter. "Wir arbeiten fieberhaft an einem Blumenkübel-Maßnahmenkatalog. Wollen aber zunächst Regierungsvorlage abwarten."

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie ein Missverständnis aus dem braven Blumenkübel pornographische Inhalte machte.

Sprachprobleme und Bekennervideos

Schwer hatten es allerdings Twitter-Nutzer, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind - allen voran die Amerikaner : Who the f*** is blumenkubel?, fragten sie sich. Schnell kamen sie zu dem Schluss: Bei den gemeinhin als Pornographie-Weltmeister geltenden Deutschen müsse es sich bei diesem Begriff eindeutig um eine "German Sex Position" handeln.

Der Blumenkübel inspirierte auch die Kreativen im Netz. Auf der Video-Plattform YouTube tauchten alsbald Clips zum Desaster von Neuenkirchen auf: die Meldung als "dramatisierte Lesefassung", herzerweichend vorgetragen und in Traueroptik. Ein Clip, der den angeblichen Täter bei einer Wiederholungstat in Flagranti erwischt. Und schließlich tauchte das Bekennervideo auf: "Hiermit übernimmt die Gruppe 'Free the Flowers' die volle Verantwortung für die Vorkommnisse Montagnacht in Neuenkirchen", verliest ein vermummter Mann eine Erklärung. Er ist ganz in schwarz gekleidet, von Orchideen umgeben und für seine disziplinierten Lachmuskeln zu bewundern.

Längst hat sich auch bildblog.de des Kübels angenommen. Der Chef des Online-Portals hat dem Internet-Phänomen sogar einen eigenen Song gewidmet. "Ein Ende des Hypes ist nicht abzusehen // keiner traut sich mehr auf die Straße zu gehen", reimt Lukas Heinser launig. "Alle haben Angst vor den Kübelschubsern."

Während die Praktikantin der Regionalzeitung dank der Gesetze des Netzes inzwischen auch die Schattenseiten des Ruhms zu spüren bekam - ihre Redaktion schirmt sie vom Rest der überspannten Medienwelt ab - hat der unverhoffte Ruhm ihres kaputten Buchsbehälters den Bewohnern des Altersheims ein Happy End beschert: Es fand sich ein Sponsor, der den kaputten Kübel ersetzte - samt Buchsbaum.

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