Süddeutsche Zeitung

Denver Post:Eine Zeitung rebelliert offen gegen ihren Eigentümer - einen Hedgefonds

  • Die Denver Post hat ihren eigenen Eigentümer öffentlich angegriffen. Der Hedgefonds Alden Global Capital verlange Sparrunde um Sparrunde von dem Blatt, ziehe selbst aber Millionen Dollar aus dem Zeitungsgeschäft ab, heißt es in einem Leitartikel.
  • Darin fordert das "Editorial Board" dazu auf, Alden die Zeitung abzukaufen, bevor sie endgültig stirbt. Heute arbeiten weniger als 70 Journalisten für die Post, früher waren es mehr als 250.
  • Eine Gruppe von Unternehmern hat bereits 10 Millionen Dollar gesammelt. Doch ob Alden Interesse an einem Verkauf hat, ist unklar.

Von Thierry Backes

Chuck Plunkett hat seinen Plan bis zuletzt geheim gehalten. Der Leiter des Meinungsressorts der Denver Post hat ihn den Kollegen verschwiegen, seiner Chefredakteurin, der Verlagsleitung sowieso und dem Besitzer erst recht. So hat keiner verhindern können, dass Plunkett die "Perspectives Section" in der vergangenen Sonntagsausgabe kapert, um gegen den New Yorker Hedgefonds Alden Global Capital zu rebellieren. Alden hatte 2011 die Kontrolle über die Tageszeitung übernommen und fährt seitdem einen harten Sparkurs über das Tochterunternehmen Digital First Media (DFM), das zu den größten Zeitungshäusern der USA zählt.

Wie bei vielen lokalen Blättern bröckelt auch das Geschäftsmodell der Denver Post (Auflage: 170000 im Schnitt); sie muss sparen. Der Knackpunkt ist in diesem Fall allerdings ein anderer. In dem zentralen, von Plunkett lancierten Leitartikel wirft das "Editorial Board" Alden vor, viele Millionen aus dem Zeitungsgeschäft herauszuziehen, um es in fachfremde Branchen zu investieren. Dafür gibt es in der Tat Belege, seit ein Minderheitsaktionär von DFM Alden vor Gericht gezerrt hat.

"Alden fährt eine zynische Strategie, wenn es den Inhalt und die Qualität der Zeitung konstant herunterschraubt, während es die Abopreise ständig anhebt", schreibt das Blatt. "Damit verstecken sich die Hedgefonds-Manager hinter dem Narrativ, dass eine adäquat ausgestattete Redaktion auf einem digitalen Markt nicht mehr überleben kann." Das Narrativ aber sei falsch, die DFM profitabel. Nur eben nicht profitabel genug für gierige "vulture capitalists" - Heuschrecken aus New York.

Die "Denver Post" arbeitet nun in einem fensterlosen Raum im Industriegebiet

Als Plunkett 2003 bei der Denver Post anfing, arbeiteten noch mehr als 250 Reporter, Fotografen und Layouter für das Blatt. Anfang des Jahres waren es noch knapp 100, heute sind es weniger als 70. Mitte März hatte Chefredakteurin Lee Ann Colacioppo die jüngste Entlassungswelle angekündigt, die dritte in drei Jahren. Knapp zwei Dutzend Kollegen haben ihren Schreibtisch seither geräumt, bis zum 1. Juli müssen mindestens fünf weitere gehen.

Und das, obwohl die Post im Januar eine Paywall hochgezogen hat, um mehr Erlöse im Netz zu generieren. Und obwohl die Redaktion ihre Räume in Downtown Denver aufgegeben hat, um Miete zu sparen. Die Belegschaft arbeitet jetzt in der Druckerei jenseits der Stadtgrenze. Dort gibt es nicht ein einziges Fenster, was immerhin den Vorteil hat, dass man nicht direkt auf die Ölraffinerie nebenan blicken muss.

"Wir hatten gehofft, dass uns diese Maßnahmen ein bisschen Ruhe verschaffen", sagt Wirtschaftsredakteur Joe Rubino. Aber: "Alden interessiert es nicht, ob wir erfolgreich sind oder nicht. Alden saugt das Blatt aus und hört damit erst auf, wenn nur noch ein Gerippe übrig ist." Im Gespräch mit Rubino und in seinen Tweets spürt man viel aufgestaute Wut. Doch wenn man ihn fragt, wie die Stimmung in der Redaktion ist, sagt er: "Wir sind verhalten optimistisch seit Chucks Aktion."

Der Leitartikel belässt es nicht bei seiner Kritik an dem Hedgefonds und dem Appell, die Strategie zu überdenken. "Wenn Alden nicht für guten Journalismus einstehen will, sollten sie die Post an jemanden verkaufen, der das tut." Ein Flaggschiff wie die 125 Jahre alte Post, die allein in den vergangenen 20 Jahren fünf Pulitzer-Preise gewonnen hat, sei eine "nötige öffentliche Institution". Die Zivilgesellschaft müsse einen besseren Journalismus einfordern, bevor die Post ganz verschwinde und die Stadt ohne Zeitung dastehe: "Es ist Zeit für die Menschen aus Colorado (...), sich einzubringen und dafür zu sorgen, dass Denver die Redaktion bekommt, die es verdient."

100 bis 125 Millionen US-Dollar sind wohl nötig für einen Verkauf

Als Chuck Plunkett die Texte ins Netz stellte, hatte er ein "unglaublich befriedigendes Gefühl", erzählte er in einem Podcast von Vox.com, das Gefühl, das Richtige getan zu haben. "Wenn das bedeutet, dass ich meinen Job verliere, indem ich für meine Leser einstehe, dann heißt das, dass ich nicht für die richtigen Leute arbeite", sagte er der New York Times, die seine publizistische Revolte aufgriff und auf der eigenen Titelseite platzierte.

Auch andere US-Medien berichteten; das mag auch daran liegen, dass die Denver Post zwar das wichtigste, aber nur eins von knapp 100 Blättern ist, die unter dem DFM-Spardiktat stehen. Im Februar erst hat man den Boston Herald dazugekauft.

Plunkett dürfte also viele Kollegen in ähnlichen Situationen aufgerüttelt haben. Auch in Colorado redet man jetzt über das Thema. Michael B. Hancook, Bürgermeister von Denver, sagte, man stehe der Post zur Seite und wolle helfen, eine Lösung zu finden - "gerade in einer Zeit, in der die Presse und Fakten unter Dauerfeuer aus dem Weißen Haus stehen". John Hickenlooper, Gouverneur von Colorado, sagte dem Rolling Stone: "Ich wünschte, (Alden) würde (die Post) verkaufen, um ehrlich zu sein." Denn: "Jeder Bundesstaat und jede Stadt (...) sollte eine unabhängige Zeitung haben, eine unabhängige Stimme."

Unternehmer aus Colorado Springs - ausgerechnet aus dem konservativen Gegenpart zum liberalen Denver - haben inzwischen ein Angebot zur Übernahme der Post auf den Tisch gelegt. Die Gruppe "Together for Colorado Springs" rund um John Weiss, Gründer des Colorado Springs Independent, will Bürgschaften in Höhe von zehn Millionen US-Dollar gesammelt haben und sucht weitere Geldgeber.

Zehn Millionen werden aber kaum reichen, um Alden Global Capital zufriedenzustellen. Wirtschaftsredakteur Joe Rubino sagt, 100 bis 125 Millionen seien nötig, damit der Hedgefonds anbeißt. Ob Alden an einem Verkauf interessiert ist, ist allerdings offen: Weder der Hedgefonds noch die DFM antworten auf Presseanfragen.

Ein anderer Fall aus den USA zeigt indes, dass journalistischer Protest durchaus funktionieren kann. Die Mitarbeiter der Los Angeles Times haben wegen ähnlicher Kürzungen so lange Stimmung gegen das Medienunternehmern Tronc aus Chicago gemacht, bis dieses die Zeitung für 500 Millionen Dollar an den Medizinunternehmer Patrick Soon-Shiong verkauft hat.

Chuck Plunkett will so weit gar nicht denken. Er sagt: "Es sieht so aus, als ob der Leitartikel und die 'Perspectives Section' die Diskussion verändert haben. Zu viele Leser wussten nichts über die tiefen Probleme, die ein Hedgefonds als Besitzer mit sich bringt. Ich hoffe, dass wir das Narrativ in Frage gestellt haben, dass der Niedergang von Redaktionen nur auf die digitale Revolution zurückzuführen ist. (...) Und selbst wenn nicht: Die Artikel haben die Leute zum Reden und Nachdenken gebracht. Jetzt hoffen wir, dass sie handeln."

Lesetipp: In dem hervorragenden Meinungsstück "The Denver Post's protest should launch a new era of "calling B.S." stellt Ken Doctor, ein profunder Kenner der amerikanischen Zeitungsindustrie, den Coup aus Denver in Bezug zu anderen Protestbewegungen und ruft Redaktionen dazu auf, ebenfalls gegen gierige Eigentümer zu rebellieren.

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SZ vom 16.04.2018/tba
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