Süddeutsche Zeitung

Deniz Yücel:Bissiger Humor und Liebe zur Wahrheit

Als Journalist hat Deniz Yücel unbeirrt Missstände benannt. Dass er während seiner Haft mehrere Journalistenpreise gewann, liegt auch an diesem ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit.

Von Carolin Gasteiger

Nun ist es vorbei mit dem Dummrumsitzen. So nannte Deniz Yücel seine Zeit in Haft, während der ihm unter anderem der Theodor-Wolff-Preis oder der Leipziger Medienpreis verliehen wurden. In Abwesenheit. Fürs "Dummrumsitzen", wie er es nannte. An diesem Freitag kommt er, nach gut einem Jahr, wieder frei.

Ausgezeichnet wurde Yücel zu Recht. Dass ihm Gerechtigkeit und Wahrhaftigkeit am Herzen liegt, zeigt sich nicht nur in seinen Texten. Der 44-jährige Journalist betonte in einem Interview jüngst, dass er "für schmutzige Deals (...) nicht zur Verfügung" stehe. Yücel, 1973 im hessischen Flörsheim geboren, liegen Gerechtigkeit und Menschenrechte mehr am Herzen als die eigene Freiheit. Ihm, der schon als Schüler Demonstrationen gegen den Irak-Krieg organisierte, der in Berlin studierte und sich später als politischer Autor von taz und Jungle World mit bissigen Kommentaren nicht zurückhielt. Nein, einen wie auch immer gearteten Tauschhandel wolle Yücel für seine Freilassung nicht eingehen, erst recht nicht, solange etliche türkische Journalisten hinter Gittern sind.

Als Yücel am 14. Februar 2017 in Istanbul festgenommen wurde, war er gerade knapp zwei Jahre als Türkei-Korrespondent für die Welt tätig. Ursprünglich sollte er als Autor über verschiedene Themen schreiben. Aber die Leidenschaft für die Türkei, die er seit seiner Jugend ausgiebig bereist hat, war so stark, dass er einen anderen Job bekam: Türkei-Korrespondent.

Sein Ton war schon immer prägnant - und polarisierte. Yücel nannte Thilo Sarrazin schon mal "eine lispelnde, stotternde, zuckende Menschenkreatur" oder wünschte ihm einen Schlaganfall. Dieser Stil bescherte ihm einerseits eine große Fangemeinde, andererseits sorgte er für harsche Kritik. Als er dann aber ein Interview mit dem PKK-Anführer führte und in einem späteren Artikel Zweifel daran äußerte, Fetullah Gülen stecke hinter dem Militärputsch im Juli 2016, brachte er die empfindliche türkische Regierung endgültig gegen sich auf. Der Vorwurf: Volksverhetzung sowie Terrorpropaganda für die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK. Recep Tayyip Erdoğan nannte Yücel im türkischen Fernsehen einen "ajan terörist", eine Mischung aus Terrorist und Spion. So hatte der Präsident auch Can Dündar, den nach Deutschland geflüchteten ehemaligen Cumhuriyet-Chefredakteur, genannt.

Während Yücel in der Türkei in Haft saß, formierte sich in Deutschland eine ungeahnte Solidarität. Seine Schwester organisierte Autokorsos, Freunde und Kollegen wandten sich ans Auswärtige Amt und die Bundeskanzlerin, machten den Hashtag #freedeniz populär. Zuletzt lasen Prominente wie Anne Will oder Herbert Grönemeyer Texte des Journalisten in Berlin vor und zeigten sich dabei voller Humor, wie es Yücel gefallen würde. Seine ehemalige taz-Kollegin Doris Akrap hat die Texte gerade als Buch herausgebracht. Der Titel: "Wir sind ja nicht zum Spaß hier."

Nach 100 Tagen veröffentlichte die Welt einen Artikel, den er seinen Anwälten diktiert hatte. Darin beschreibt er die Haftbedingungen im eineinhalb Autostunden von Istanbul entfernten Silivri-Gefängnis, in dem viele Journalisten und Intellektuelle sitzen:"Manchmal brüllen wir von Hof zu Hof." Oder er spreche durch den Schlitz unter der Zellentür hindurch mit Nachbarn. Yücel feierte nicht nur seinen 44. Geburtstag in Silivri, sondern heiratete dort auch seine Lebensgefährtin Dilek Mayatürk-Yücel.

Eine Anklageschrift gegen Yücel veröffentlichte die Staatsanwaltschaft erst nach seiner Freilassung. Sie fordert darin 18 Jahre Haft. In einem Artikel, den er nach 100 Tagen im Gefängnis in der Welt veröffentlicht hat, schreibt Yücel: Er werde dieses Gefängnis nicht durch eine Hintertür verlassen, sondern durch jene Vordertür, durch die er es betreten habe. Nun, nach genau 367 Tagen, ist es soweit.

Mit Material von dpa

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