Degeto-Chef Jurgan muss gehen:Erst Millionen verheizt, dann Vertrauen verspielt

Circa 400 Millionen Euro wird den ARD-Filmeinkäufern der Degeto jährlich zugewiesen - für den bisherigen Chef Hans-Wolfgang Jurgan war das anscheinend nicht genug: Vor drei Wochen mussten die ARD-Anstalten ihrer Film GmbH 23 Millionen Euro vorfinanzieren. Der Senderverbund zog nun die Konsequenz und setzte Jurgan vor die Tür.

Die ARD-Filmeinkäufer der Degeto standen seit Monaten wegen finanzieller Ungereimtheiten in der Kritik. Die Degeto hatte nicht nur 2011, sondern offenbar schon 2010 Liquditätsprobleme. Doch wie konnte das sein? Circa 400 Millionen Euro beträgt ihr Jahresetat, für ungefähr 250 Millionen Euro werden TV-Filme bestellt, gefördert und auch Engagements als Kino-Co-Produzent geschlossen.

Fototermin 'Der letzte Patriarch'

Der Geschäftsführer der Degeto, Hans-Wolfgang Jurgan, muss mit arbeitsrechtlichen Schritten gegen sich rechnen.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Vor dei Wochen mussten die ARD-Anstalten ihrer an sich schwerreichen Film GmbH 23 Millionen Euro vorfinanzieren. Offensichtlich konnte die Degeto bestehende Verbindlichkeiten (z.B. Ratenzahlungen für vereinbarte Filmprojekte) nicht bedienen.Bei derart schwerwiegenden Verfehlungen war es nur eine Frage der Zeit, bis personelle Konsequenzen gezogen werden mussten.

Und die haben sich nun eingestellt: Hans-Wolfgang Jurgan ist ab sofort nicht mehr Geschäftsführer der Degeto Film. Seine sofortige Abberufung gab die ARD-Tochter am Dienstag nach einer Gesellschafterversammlung bekannt und zog damit die Konsequenzen aus den "gravierenden organisatorischen Mängeln", welche die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG und die WDR-Revision erkannt hatten.

Als Begründung führen die Gesellschafter, bestehend aus den Landesrundfunkanstalten und deren Werbetöchtern, an, dass für die Gesellschafterversammlung und den Aufsichtsrat der Degeto das notwendige Vertrauensverhältnis zu Jurgan nicht mehr gegeben sei. Die Geschäftsabläufe hätten zu große Mängel aufgewiesen.

Noch schwerwiegender für Jurgan: Ihm wird vorgeworfen, seine Berichts- und Informationspflicht gegenüber dem Aufsichtsrat verletzt zu haben. Deshalb habe man neben Jurgans sofortiger Abberufung auch arbeitsrechtliche Prüfungen beschlossen.

Der Aufsichtsrat setzte zudem eine Arbeitsgruppe ein, die die Strukturen der Degeto überprüfen solle. Zur neuen Vorsitzenden des Aufsichtsrats wurde RBB-Intendantin Dagmar Reim gewählt.

Strukturen auf dem Prüfstand

Die Degeto hatte den Angaben zufolge in den Jahren 2010 und 2011 mehr Programm als ursprünglich in den Etats geplant in Auftrag gegeben. Im September hatte Jurgan schließlich bekanntgeben müssen, dass man bei der Degeto das Budget für die Produktionsvergabe bis 2013 erschöpft habe und kein weiteres Geld mehr zur Verfügung stehe.

Ein Schaden ist der ARD nicht entstanden, sie will wohl die Summe aufbringen, indem sie über vier Jahre hingweg jährlich ihre Auftragsvergabe um circa sieben Millionen Euro kürzt.

Wie es zu der Fehlplanung gekommen ist, wird nun seit gut zwei Monaten von einer Prüfgruppe unter Vorsitz des Hessischen Rundfunks (HR) untersucht. Auch externe Wirtschaftsprüfer sind dabei. Die Strukturen der Degeto sind dabei allesamt auf dem Prüfstand.

Der HR hatte Ende Oktober mitgeteilt, dass die ARD die Liquidität der Degeto sicherstellen und sämtliche eingegangene Verpflichtungen für Produktionsvorhaben erfüllen werde. Damit werde die "überplanmäßige Auftragsvergabe" bei der Degeto keine negativen Auswirkungen auf bestehende Verträge mit Produzenten haben, hieß es.

Reitz ab sofort alleinige Geschäftsführerin

Erst vor wenigen Tagen war bekanntgeworden, dass die bislang neben Jurgan amtierende Ko-Geschäftsführerin Bettina Reitz möglicherweise von Juni 2012 an zum Bayerischen Rundfunk (BR) zurückkehrt. BR-Intendant Ulrich Wilhelm habe dem Rundfunkrat vorgeschlagen, Reitz als Fernsehdirektorin zu berufen, hatte ein Sendersprecher bestätigt.

Reitz war erst im Mai in die Geschäftsführung der Degeto eingestiegen. Zuvor war sie Leiterin des Programmbereichs Spiel-Film-Serie beim BR.

Reitz ist ab sofort alleinige Geschäftsführerin. Nebenamtlicher Degeto-Geschäftsführer ist ARD-Programmdirektor Volker Herres.

Jurgan hatte den Posten seit 2001 inne. Er war seit 1991 als Prokurist für die Degeto tätig. Gesellschafter der in Frankfurt ansässigen Degeto, der gemeinsamen Filmeinkaufsorganisation der ARD, sind die Landesrundfunkanstalten der ARD beziehungsweise ihre Werbetöchter.

Die Degeto erwirbt Lizenzen an Fernsehsendungen aller Art, auch in Form von Kofinanzierungen, Produktionsbeteiligungen und Auftragsproduktionen. Dies sind vor allem Spielfilme und Serien für die Programme ihrer Gesellschafter.

Dazu gehören "Das Erste" einschließlich des Vorabendprogramms, der Kinderkanal "Ki.Ka", "3sat", "Arte", "Phoenix", das digitale Programmangebot "Einsfestival" sowie die Dritten Programme. Außerdem betreut sie Auftrags- und Koproduktionen, vor allem für die Hauptabend-Sendeplätze an Freitagen.

Im "Ersten" sind am Freitagabend traditionell gefühlsbetonte Liebes- und Heimatfilme aus dem Hause Degeto zu sehen. Kritiker sprechen angesichts dieses quotenmäßig durchaus erfolgreichen Genres zuweilen von einer "Degetoisierung" in der ARD.

Mit Hilfe der Degeto kamen aber auch Produktionen wie Dominik Grafs preisgekrönte Krimiserie "Im Angesicht des Verbrechens" auf den Bildschirm.

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