Langsam fährt die Kamera den halbdunklen Korridor entlang, bis sie Halt macht vor einem Schriftzug: "Too much of a good thing can be wonderful", zu viel des Guten kann wunderbar sein. Das Mae-West-Zitat steht auf einem grauen Vorhang in der Galleria Pittsburgh Mills, einem großen Einkaufszentrum in Pennsylvania - doch der schöne Spruch ist nur Zeuge einer längst vergangenen Zeit.
Szenen und Momente aus der Galleria Pittsburgh Mills sind Teil einer Youtube-Serie über das Shopping-Mall-Sterben in den USA, produziert von Dan Bell, 40, einem Filmemacher. Vor zwei Jahren hatte Bell seine Mall aus Kindertagen in der Vorstadt von Baltimore besucht und fand den einst wuseligen Einkaufspalast als leblosen Ort vor. Er filmte das seltsame Wiedersehen. Einen zehnminütigen Film stellte er auf Youtube ein. Es war der Auftakt von inzwischen 43 Folgen seiner Dead Malls Series, eine Reihe atmenberaubend unspektakulärer Videos von stehenden Rolltreppen, "Sale!"-Schildern in Schaufenstern, einsamen Schuhverkäufern, menschenleeren Food Courts, stillgelegten Info-Ständen. Jedes Video verzeichnet Klickzahlen im hohen sechsstelligen Bereich, Bell scheint einen Nerv der Zeit zu treffen.
Die einstigen "Kathedralen des Konsums", die in den 1950er-Jahren aufkamen und in den Achtzigerjahren ihre Boomzeit hatten, sterben seit gut 15 Jahren vor sich hin. Damit siecht aber nicht einfach eine Branche, sondern eine amerikanische Institution, ein All American Place. Malls waren nie einfach nur Shoppingcenter. Die hässlichen, fensterlosen Riesenbauten in Steingrau oder Schlammbraun, die wie notgelandete Ufos in der Landschaft von Smalltown-Amerika stehen, ersetzten über Jahrzehnte den klassischen Marktplatz. Hierher fuhr man nicht nur zum Shoppen, hier ging man ins Kino, zum Zahnarzt, zum Friseur, man erledigte Bankgeschäfte und schloss Versicherungen ab. Teenager kamen zum Flirten, die Alten zum Kaffeetrinken, die Kleinen zum Schaukeln auf dem zentralen Spielplatz. Frühmorgens, vor Ladenöffnung, trafen sich die Mall Walker zum kollektiven Power Walk. Inzwischen können sie das ganztägig tun, niemand steht mehr im Weg, ab und zu huscht auch einer durchs Bild.
Grobkörnige Bilder erinnern daran, dass die Menschen früher noch nicht alles im Netz kauften
Dan Bell stimmt mit seinen ruhigen Bildern sentimental. Wahrscheinlich wäre es weniger traurig, wenn diese Stätten tatsächlich gestorben und geschlossen wären. Aber er filmt ein Wachkoma: Die Böden sind blitzsauber, eben weil sie kaum noch jemand betritt, vereinzelt stehen Kunden vor Schaufenstern, irgendwo brennt Licht, über allem tönt sanfte Musik aus Lautsprechern. Bell nimmt sich angenehm zurück, er lässt die Bilder für sich sprechen, dazwischen macht er einen guten Job als Reporter aus dem Off, erklärt die Gründe für den Niedergang (Immobilienblase geplatzt, Onlinehandel boomt) und spielt Designkritiker ("Hier das lachsfarbene Furnier des Servicecenters, so was von Eighties!"). Dazu spielt er grobkörnige Vor-Ort-Videos aus vollen Zeiten ein: toupierte Frauen in Schulterpolsterblazern, Massen bei Swimmingpool-Verkaufsaktionen, überlaufene Foodcourts.
Wo sind all die Menschen? Sie sitzen daheim, vor Bildschirmen shoppen, flirten sie und bestellen sich ihr Dinner im Internet.
Dead Mall Series , bei Youtube.