DDR-Serie "Sedwitz" im Ersten:Elender Furz

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Der West-Grenzer Hubert "Hubsi" Weißpfennig (Stephan Zinner, rechts) halbnackt im Wald. Was das soll? Nicht so ganz klar bei "Sedwitz". (Foto: MDR/BR/Günther Reisp)

"Sedwitz" ist "nicht ganz ernst gemeint" - genau da beginnt das Problem. Dabei ist die ehemalige DDR doch eigentlich kein humorfeindliches Sujet.

Von Cornelius Pollmer

Die Formulierung, etwas sei "nicht ganz ernst gemeint", ist in aller Regel als Alarmsignal zu deuten, als eine wild blinkende Warnbake. Oft verbirgt sich hinter dieser Formulierung ein Eingeständnis: Ist jetzt nicht so richtig lustig geworden. Sorry. Aber vielleicht merkt's ja keiner!

Die Presseheft-Prosa deutscher Fernsehproduktionen ist in aller Regel gut gemeint. Das muss man ganz ernsthaft so formulieren, und das gilt auch für jenen humoristischen Versuch, der an diesem Donnerstag im Ersten anläuft. Im zugehörigen Pressetext lauten die ersten beiden Sätze: "Muss die Geschichte des Mauerfalls neu geschrieben werden? Eine mögliche und nicht ganz ernst gemeinte Antwort auf diese Frage gibt die neue sechsteilige Serie Sedwitz."

Das also "nicht ganz ernst gemeinte" Szenario in Sedwitz ist folgendes: Der Ost-Grenzer Ralf Pietzsch (Thorsten Merten) setzt sich an die Sterbepritsche eines Pilzsammlers und bekommt von diesem den Schlüssel für ein Trafo-Häuschen. Von diesem Häuschen führt ein Tunnel in den Westteil des fiktiven, thüringisch-fränkischen Grenzortes Sedwitz. Pietzsch geht durch diesen Tunnel und dann passieren halt Sachen, so lange die Sendezeit reicht.

Am Ende des Tunnels bleibt es schlicht

Auf der DDR-Seite von Sedwitz wird einmal mehr die eher oberflächliche Charakterstudie vom tapsigen Ossi betrieben. Wer die Geduld aufbringt, auf den Tunnel und damit den Westen zu warten, wird nicht belohnt. Man hofft auf Licht, aber am Ende des Tunnels bleibt es schlicht.

Regie bei Sedwitz führte Paul Harather, der einst den großen Film Indien drehte, mit dem noch größeren Josef Hader. Im Stab finden sich zudem die Namen vieler Schauspieler, die seit Jahren an jenem Zubrot nagen, das die DDR in ihrem filmischen Nachleben bis heute verlässlich abwirft. Am Kader und an den Kadern liegt es also nicht. Andererseits hat auch Borussia Mönchengladbach einen ordentlichen Kader und trotzdem die ersten drei Spiele der Meisterschaft verloren. So ist Fußball. So kann auch Fernsehen sein.

Die ehemalige DDR ist kein grundsätzlich humorfeindliches Sujet, im Gegenteil. Es gibt viele lustige Fiktionen über sie, einige kommen sogar ohne Gehässigkeit und prinzipielle Geringschätzung des Ostens aus. Sedwitz aber fehlt es an Präzision und an einer schlüssigen Idee. Es wird ausgestrahlt, aber es strahlt fast nichts aus.

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Augenfällig wird das zum Beispiel an der Figur des Hubert Weißpfennig (Stephan Zimmer). Der West-Grenzer Weißpfennig wird wie der Ost-Grenzer Pietzsch mit einem Rufnamen beschädigt, der ebenfalls nicht ganz ernst gemeint sein kann: Hubsi. Der Hubsi erzählt also dem Ralle, was er so gelernt hat vom Leben. Fünf verschiedene Frauentypen gebe es, sagt der Hubsi, und vergibt sogleich Länderpunkte: "Die Ungarinnen haben mehr Feuer, die Polinnen haben längere Beine." Etwas später bewirbt sich der Hubsi um den noch zu stiftenden Joachim-Herrmann-Preis 2015. Er redet irgendwas vom Wirt und dass dieser ein "Kuckucks-Halbneger" sei. Ist natürlich alles nicht so ganz ernst gemeint.

Was man als Ost-Grenzer in Sedwitz eben so macht: Ralle (Thorsten Merten) und seine Kollegen schaffen Antiquitäten in den Westen. (Foto: BR/Günther Reisp)

Der Wirt wiederum panscht Jahrgangswein und setzt "Kalbsleber vom Schwein" auf die Karte. Und wenn Pietzsch im Westen heldenhaft einen Zauberwürfel als Geburtstagsgeschenk für seinen Sohn besorgt, dann freut sich seine Frau nicht nur darüber, dass sie so einen liebenden Vater zum Mann hat. Sie sagt lieber noch dazu: "Kannst ooch gerne an mir so bissel rumschrauben." Warum sie das sagt? Womöglich, um noch mal klar zu machen, dass in der DDR eben alle ständig an allem rumgeschraubt haben. Womöglich aber auch, weil genau solche Sätze eben fallen, wenn man die Dinge nicht ganz ernst meint.

Gleich am Anfang wird auch im Westen, Verzeihung, gebumst. Der Hubsi macht, "dass die Heide wackelt", er macht, na klar, "eine Grenzerfahrung". Der Ralle steht da noch auf dem Wachturm, Sedwitz-Ost, und spricht mit seinem Major. Als er den Hubsi hat, Verzeihung, bumsen sehen, sagt der Major zum Ralle: "Wir brauchen mehr Ernst." Aber auch das ist natürlich nicht ganz ernst gemeint.

Selbst brauchbare Ideen werden versenkt

Selbst brauchbare Ideen werden in Sedwitz leider versenkt, bevor sie sich entfalten können. Da ist, auf dem Flur eines fränkischen Gymnasiums, ein Mann, von Beruf Kurzreisenveranstalter. Er macht sich angenehm nüchterne Gedanken über die mathematischen Vorteile von Kurzreisen, aber man hört ihm kaum zu, weil zuvor Gesagtes noch im Raum steht wie ein elender Furz. Der Herr Kurzreisenveranstalter hatte überlegt, ob man schwul werden könne, wenn man das Blut eines Homosexuellen gespendet bekäme. Dann reiste er gedanklich nach Namibia zu einem, der dort vom Affen gebissen worden sei.

Der Hubsi hätte all das bestimmt lustig gefunden. Der Ralle aber sitzt nur da und schaut eher verständnislos. Schlechte Nachricht für Sedwitz, gute Nachricht für uns alle: Deutschland im Jahr 2015 ist mehr Ralle als Hubsi.

Sedwitz , ARD, donnnerstags, 23.30 Uhr.

© SZ vom 03.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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